Vertragsverhältnisse in Zeiten von Corona - 12. Mai 2020

Pflicht zum Handeln

Aufgrund der aktuellen Krise sind Geschäftsführer unter Umständen verpflichtet, bestehende Verträge neu zu verhandeln, um jegliches Haftungsrisiko auszuschließen.

Die Corona-Pandemie wird für die meisten Unternehmen hierzulande einschneidende Folgen haben. Um diese Auswirkungen abzufedern, hat die Bundesregierung mit dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 27. März 2020 (COVID-Gesetz) reagiert. Flankiert wird dieses Gesetz durch Hilfsgesetze der Länder. All das bietet vielen Betroffenen die Chance, wirtschaftlich zu überleben. Gleichwohl können die Maßnahmen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einem massiven staatlichen Eingriff in die Regeln der Marktwirtschaft ein weiterer staatlicher Eingriff in das Vertragsrecht folgte. Verbraucher und Kleinstunternehmer dürfen Leistungen in Zusammenhang mit einem Dauerschuldverhältnis verweigern, die Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen wurde beschränkt. Sukzessive wurden die Maßnahmen Ende April/Anfang Mai 2020 wieder gelockert, die Artikel des COVID-Gesetzes werden nach und nach außer Kraft treten, Artikel 2 wird mit Ablauf des 31. Dezember 2020 als letzter Artikel auslaufen. Aber auch wenn alle Beschränkungen aufgehoben sind, wird unsere Wirtschaft noch lange an den Verwerfungen der Pandemie zu leiden haben. Wie im Artikel „Neue Verträge aufgrund Corona?“ erläutert, ist unter Umständen der Anwendungsbereich des § 313 BGB durch die Corona-Pandemie eröffnet. Daneben könnten Geschäftsführer verpflichtet sein, bereits geschlossene Verträge neu zu verhandeln, um sich nicht schadenersatzpflichtig zu machen.

Pflichten des Geschäftsführers

Ob für den Geschäftsführer eine Pflicht zum Handeln besteht, ist fraglich. Sofern er verpflichtet sein sollte, bestehende Verträge proaktiv neu- beziehungsweise nachzuverhandeln, könnte eine Haftung auf Schadenersatz in Betracht kommen, wenn er dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist § 43 Absatz 1 GmbHG, wonach die Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden haben.

Sorgfaltsmaßstab

Indem sich der Wortlaut des § 43 Absatz 1 GmbHG auf die Angelegenheiten der Gesellschaft bezieht, wird deutlich, dass der hier bestehende Sorgfaltsmaßstab auf die Obliegenheiten des Geschäftsführers zugeschnitten ist, was der Wortlaut des § 43 Absatz 2 GmbH unterstreicht. Nach dieser Vorschrift haftet der Geschäftsführer bei einer Verletzung seiner Obliegenheiten.

Anwendungsbereich

Damit ist der Kern des Anwendungsbereichs das Leitungsverhalten des Geschäftsführers und eine Generalklausel für seine Treuepflicht. Der Geschäftsführer muss wie ein selbstständiger, treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens handeln. Also muss er stets danach streben, den Gesellschaftszweck zu fördern. Der dabei anzuwendende Maßstab ist objektiv und unabhängig von subjektiven Merkmalen des Geschäftsführers wie Alter, Herkunft, Vorkenntnisse. Bei einem Verstoß gegen § 43 GmbHG aufgrund eines dieser Merkmale kommt allenfalls eine Haftungsminderung nach § 254 BGB in Betracht. Die hier in Rede stehenden Obliegenheiten des Geschäftsführers sind, bestehende Verträge in Anbetracht des zu erwartenden Umsatzeinbruchs daraufhin zu überprüfen, ob diese noch für das Unternehmen wirtschaftlich tragbar und sinnvoll sind. Sollte das nicht der Fall sein, muss in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob dies auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Diese Obliegenheit entspringt weder Weisungsbeschlüssen noch Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag. Es handelt sich auch nicht um Organisationspflichten. Vielmehr ist sie Ausfluss der ureigensten Kernaufgabe des Geschäftsführers, das Wohlergehen und den Fortbestand der Gesellschaft nach Kräften zu fördern.

Haftungsumfang

Verletzt der Geschäftsführer die vorgenannte Obliegenheit und tritt dadurch ein Schaden bei der Gesellschaft ein, muss er diesen Schaden ersetzen. Umfang und Form des Schadenersatzes richten sich nach den §§ 249 ff. BGB. Obwohl damit grundsätzlich Naturalrestitution geboten ist, wird bei den im Raum stehenden Fällen regelmäßig nur Wertersatz möglich sein (§ 251 BGB). In diesem Rahmen ist auch entgangener Gewinn ersatzfähig (§ 252 BGB). Es folgt aus dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot, dass durch Pflichtverletzung erzielte Vorteile von den Einbußen in Abzug zu bringen sind (Vorteilsanrechnung beziehungsweise -ausgleichung). Den Geschäftsführer trifft keine Haftung, wenn durch vermeintlich unwirtschaftliches Geschäft gleich hohe oder gar höhere Verluste mit laufenden Kosten abgewendet werden.

Fazit

Für einen Geschäftsführer besteht die Verpflichtung, proaktiv bestehende Verträge neu zu verhandeln oder ein bestehendes Kündigungsrecht auszuüben. Kommt der Geschäftsführer dieser Verpflichtung nicht nach, setzt er sich der Inanspruchnahme einer persönlichen Haftung aus.

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Zum Autor

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Dr. Philip Rödiger LL.M.oec.

Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Steuerrecht und Fachberater (DStV e.V.) für Unternehmensnachfolge mit Kanzleisitz in München.

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