Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind aktuell nicht abzuschätzen. Je länger die Krise andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass vor allem mittelständische Unternehmen massiv betroffen sein werden.
Einzelnen Branchen wird dann in weiten Teilen sogar die Insolvenz drohen. Wie können Unternehmen aktuell gegensteuern? Bietet sich eine Veränderung des Geschäftsmodells an oder gibt es andere betriebsinterne Gestaltungspotenziale? Darauf antworten Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Florian Kalbfell-Werz sowie die beiden Arbeitsrechtler Dr. Tina Kärcher-Heilemann und Dr. Ralf Kittelberger.
DATEV magazin: Was müssen die Betriebe jetzt aktuell an möglichen Maßnahmen quasi sofort in die Wege leiten?
Florian Kalbfell-Werz: Cash ist King. Dieses Motto, welches man eher aus der Start-up-Welt kennt, ist momentan essenziell für alle Unternehmen. Das heißt, als Unternehmer benötige ich jederzeit einen aktuellen Überblick über meine Liquiditätslage. Aufbauend auf einer angepassten Unternehmensplanung – unter Berücksichtigung des Umsatzverlusts durch die Pandemie – sollte daher als erstes eine aktuelle und integrierte Liquiditätsvorschau – ideal acht bis 13 Wochen – erstellt werden. In dieser Vorschau ist es ratsam, mögliche liquiditätssichernde Maßnahmen, wie etwa Kurzarbeitergeld, Corona-Soforthilfe Zuschuss, KfW-Schnellkredit, Steuerstundungen oder eine Stundung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen und verschiedene Szenarien abzubilden.
Durch eine integrierte 13-Wochen-Liquiditätsvorschau ist man auch bestens gerüstet für insolvenzrechtliche Fragestellungen. Aber auch wenn die Insolvenzantragspflicht durch das COVID-19-Gesetz derzeit ausgesetzt ist, kann es ratsam sein, kurzfristig einen Spezialisten für das Insolvenzrecht mit ins Team zu nehmen, um auf alle Szenarien vorbereitet zu sein.
DATEV magazin: Müssen sich die Unternehmen neu positionieren, also quasi von ihrer Struktur, Strategie und dem Produktportfolio her neu aufstellen?
Florian Kalbfell-Werz: Das mussten die Unternehmen nicht erst jetzt, also aufgrund der Corona-Krise, sondern auch schon davor. Die großen amerikanischen Tech-Unternehmen machen es vor, was es heißt, Innovationen voranzutreiben und Geschäftsmodelle auf den Kopf zu stellen. Es reicht nicht mehr, die kontinuierliche Verbesserung des Bestehenden zu verfolgen, vielmehr gilt es, neue digitale Geschäftsmodelle zu schaffen und alte Denkmodelle über Bord zu werfen. Die Corona-Krise kann hierfür den Beschleuniger geben. Ein weiteres Thema, das im Zuge der Corona-Krise neu gedacht werden muss, ist das Working-Capital-Management. Galt es vor der Krise noch möglichst just in time zu produzieren sowie zu liefern, stellen einige Unternehmen nun vermehrt auf höhere Lagerhaltung um – alles eine Folge der aktuell teilweise abgeschnittenen Lieferwege. Das bindet jedoch Kapital und plötzlich passen lang eingespielte Bilanzkennzahlen nicht mehr. Auch solche Folgen sind nun stärker in den Fokus zu nehmen.
DATEV magazin: Welche Maßnahmen zur Veränderung des Geschäftsmodells kommen in Betracht?
Florian Kalbfell-Werz: Umstrukturierungen und Schließungen vor allem unrentabler Bereiche – ein Beispiel aus der Flugbranche ist die Causa Germanwings – kann eine Folge veränderter Geschäftsmodelle sein. In erster Linie aber geht es darum, die Innovationsprozesse in den Unternehmen auf den Kopf zu stellen, um schneller neue Produkte auf den Markt zu bringen und dadurch sein Geschäftsmodell zu verändern angesichts der radikalen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft.
DATEV magazin: Reichen die Zuschüsse beziehungsweise Kredite oder sind sie für die meisten Betriebe aufgrund ihrer finanziellen Größe nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Florian Kalbfell-Werz: Wie nun auch die Politik erkannt hat, reichen die Zuschüsse für einige Wirtschaftsbereiche, wie etwa die Gastronomie, bei weitem nicht aus. Dies ist erst der Anfang. Wenn der Lockdown länger andauert, werden die Probleme auch in anderen Industrien deutlich größer. Die Kreditklemme – Folge des sehr bürokratischen Verfahrens, um die dringend benötigte Liquidität zu erlangen – ist ein großes Problem für die mittelständischen Unternehmen. Wenn es sechs Wochen dauert, bis ein Kredit genehmigt und ausgezahlt wird, kann es schon zu spät sein. Der von der Politik auf den Weg gebrachte KfW-Schnellkredit kann erst seit dem 23. April 2020 von den Hausbanken technisch beantragt werden. Man darf gespannt sein, ob die Kredite nun auch schnell ausgezahlt werden können. Die Schweizer haben vor vier Wochen vorgemacht, wie es geht. Das Problem, dass viele Unternehmer jedoch haben, ist, dass sie überhaupt nicht genau abschätzen können, in welcher Höhe der Kredit beantragt werden soll. Die Ungewissheit über die Länge des Lockdown ist für die meisten Unternehmen schlichtweg nicht seriös einzuschätzen. Daher sollte die Politik schnellstmöglich einen Fahrplan hinsichtlich einer Lockerung der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen aufstellen und kommunizieren. Dann wird für die Unternehmer alles auch wieder planbarer.
DATEV magazin: Der Bundesarbeitsminister sagte, dass kein Arbeitsplatz aufgrund von Corona verloren gehen soll. Ist dieser fromme Wunsch realisierbar?
Dr. Ralf Kittelberger: Wohl kaum. Diese Einschätzung ergibt sich allein aus der Statistik, wonach die Zahl der sich in Kurzarbeit befindlichen Betriebe zehnmal höher ist als in der Finanzmarktkrise. Das sind aktuell 720.000, seinerzeit waren es rund 70.000. Nachdem sich schon vor der Corona-Pandemie die Stimmen gemehrt haben, die eine Rezession aufkommen sahen, dürfte eine solche nun konkret zu erwarten sein. Das wird insbesondere diejenigen Unternehmen treffen, deren Geschäftsmodelle schon unter Druck gekommen waren. Folglich ist zu erwarten, dass die Corona-Krise dies nicht verbessert, sondern allenfalls verschiebt und als Katalysator wirkt. Sehr häufig fallen daher Sätze, dass am Ende der Pandemie die Welt eine andere sein wird, was sicher in erster Linie für die Wirtschaft gelten wird. Viele Unternehmen werden die Phase der Kurzarbeit zur Orientierung nutzen müssen, um überhaupt seriös einschätzen zu können, ob Auftragsrückgänge vorübergehend und damit überbrückbar sind. Anders als in der Finanzmarktkrise ist derzeit sogar der Vertriebsbereich betroffen. Zu erwarten ist, dass sich die Märkte nicht kurzfristig vollständig erholen werden und mithin eine erhöhte Unsicherheit besteht, die zahlreiche Unternehmen nicht nur zu Einstellungsstopps, sondern auch zu Entlassungen zwingen werden, um ihren Bestand zu sichern. Letztlich wird es entscheidend darauf ankommen, wie der Übergang in die neue Normalität nach Corona weltweit gelingt. Insbesondere bei den kleineren und mittleren Unternehmen, die zahlenmäßig die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Deutschland stellen, wird man gespannt sein, ob das gelingt. Für diesen Bereich existieren häufig weder eine politische Aufmerksamkeit noch ausreichend Liquiditätsreserven, um solche Ausnahmezeiten länger zu überbrücken.
DATEV magazin: Also wird es bei vielen Unternehmen ohne betriebsbedingte Kündigungen nicht gehen, oder?
Dr. Ralf Kittelberger: Nein, viele Unternehmen werden über den Aspekt krisenbedingter Anpassungen hinaus auch organisatorische Maßnahmen treffen müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Nichts Anderes wird ihnen übrigbleiben, um in einem härter werdenden globalen und zunehmend digitalisierten Markt zu bestehen. Das Stichwort der Transformation wurde oft genannt, aktuell wird ihre mittlerweile nicht mehr abzustreitende Bedeutung ganz klar. Die notwendigen Umstellungen werden sicher nicht ohne betriebsbedingte Entlassungen gehen, wobei diese nicht flächendeckend auf mangelnde Aufträge oder Auslastung gestützt werden, sondern auch oder sogar vornehmlich wegen des Umbaus der jeweiligen Organisation erfolgen dürften. Ein Punkt hierbei ist die Frage nach der erforderlichen Qualifikation der Mitarbeiter und dem Anforderungsprofil. Nicht jede Fortbildung wird das gewünschte Niveau erzielen beziehungsweise notwendige Ergebnis bringen. Folglich wird es fast automatisch zu Trennungen kommen, aber auch Neueinstellungen geben. Spannend wird sein, ob es gelingt, zunächst unbeschadet aus der Corona-Krise zu kommen. Wenn die Phase des Lockdown aber länger andauern sollte, werden sich die bisher angesprochenen Effekte überlagern.
DATEV magazin: Gibt es hier Gestaltungspotenzial, wie etwa Altersteilzeit für ältere Arbeitnehmer oder ein Sabbatical?
Dr. Tina Kärcher-Heilemann: Grundsätzlich besteht Gestaltungspotenzial. Dieses dürfte aber vor allem im Bereich der Tarifpartner anzusiedeln sein, denn der Gesetzgeber hat in diese Richtung bisher keine Signale gesandt. Bei Unternehmen, die nicht unter Tarifverträge fallen, dürfte eine Gestaltung insoweit nur bei sehr rentennahen Arbeitnehmern realistisch sein. Es ist zu erwarten, dass viele Betriebe finanziell ohnehin angespannt sein werden und über Entlassungen nachdenken müssen. Daher wird der Bereitschaft zu gegebenenfalls großzügigeren Lösungen eine natürliche Grenze gesetzt sein. Gestaltungen in der Krise sind erfahrungsgemäß eher schwierig, sofern sie nicht politisch vorgegeben sind.
DATEV magazin: Die aktuelle Krise ist für uns Berater zwar eine Herkules-Aufgabe, bietet aber auch Chancen, sich kompetent zu positionieren. Dabei ist jedoch aufgrund der Komplexität der Anforderungen zwingend ein interdisziplinärer Ansatz zu verfolgen, oder?
Dr. Tina Kärcher-Heilemann: Das ist in der Tat zu erwarten. Wie schon angedeutet, wird es entscheidend darauf ankommen, wie und wann die Beschränkungen aufgrund des Corona-Virus aufgehoben werden beziehungsweise in welchem Zustand die Unternehmen aus dieser Krise kommen. Vor diesem Hintergrund kann es sehr schnell – vergleichbar zur Finanzmarktkrise – dazu kommen, dass es ohne einen interdisziplinären Ansatz nicht gelingen wird, das Überleben so mancher betroffenen Unternehmen zu sichern.
Florian Kalbfell-Werz: Die besten Ergebnisse in der Beratung der von uns betreuten Firmen beziehungsweise Unternehmern wurden schon immer dann erzielt, wenn die Rädchen ineinandergreifen und die unterschiedlichen Disziplinen perfekt miteinander zusammenarbeiten. Gerade jetzt in dieser Krise zeigt es sich wieder sehr deutlich, dass Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte sowie die Betriebe und Unternehmer noch enger zusammenrücken müssen.
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