Corona-Gesetzgebung - 14. April 2020

Änderungen im Gesellschafts- und Gemeinschaftsrecht

Die Corona-Pandemie birgt nicht nur erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung, die zu Recht im Mittelpunkt der Bemühungen von Staat und Gesellschaft stehen. Auch die Beschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit sowie der wirtschaftlichen Betätigung von Unternehmen werden nach aktuellem Stand noch einige Zeit anhalten.

Der Deutsche Bundestag hat auf Grundlage einer Formulierungshilfe der Bundesregierung, die wenige Tage zuvor veröffentlicht wurde, am 25. März 2020 ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen (im Weiteren: CoronaG). Nach Zustimmung durch den Bundesrat am 27. März 2020 wurde das Gesetz noch am selben Tag im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. 2020 I 569 ff.). Es hat weitreichende Auswirkungen auf weite Teile der Bevölkerung. Das neue Gesetz bringt zudem aber auch zahlreiche Neue-rungen für verschiedene Bereiche des Gesellschaftsrechts mit sich.

Für welche Gesellschaften gelten die neuen Regelungen?

Die Änderungen betreffen insbesondere Kapitalgesellschaften, wie die Aktiengesellschaft, die GmbH, die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und die Europäische Aktiengesellschaft (SE), daneben aber auch den Verein und die Genossenschaft. Das Gesetz enthält auch Regelungen zur Wohnungseigentümergesellschaft, der Stiftung und der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Regelungen zu Personengesellschaften fehlen allerdings. Das ist wohl ein gesetzgeberisches Versehen, hat aber – wie unten noch ausgeführt – tiefgreifende Auswirkungen auf diese Gesellschaften.

Worum geht es im Kern?

Die behördlichen Maßnahmen, insbesondere die Einschränkung von Versammlungsmöglichkeiten, beeinträchtigen erheblich die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften, insbesondere AG, KGaA, SE, GmbH und die Genossenschaft. Diese können anstehende Haupt- beziehungsweise Gesellschafterversammlungen nicht wie geplant abhalten und notwendige Beschlüsse nicht fassen, wie beispielsweise die Feststellung des Jahresabschlusses, die Gewinnverwendung sowie die Bestellung von Organmitgliedern, oder aber auch existenznotwendige Kapitalmaßnahmen. Die Unsicherheit ist groß. Ein Aktionär versuchte bereits vergeblich, eine für Mai angesetzte Hauptversammlung einer Bank im einstweiligen Rechtsschutz untersagen zu lassen (Verwaltungsgericht Frankfurt a.M., Az. 5 L 744/20.F). Das Gericht entschied, es sei nicht sicher, ob die Hauptversammlung überhaupt stattfinde oder aber die Gesellschaft ausreichende Sicherheitsvorkehrungen treffen werde. Eine Entscheidung in der Sache stehe damit noch aus. Gesellschaften, die eine Hauptversammlung planen, müssen daher im Fall anhaltender Beschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie mit weiteren Versuchen von Aktionären rechnen, auf diesem Wege die Versammlungen zu verhin-dern. Um die Abhaltung von Hauptversammlungen trotz der Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten sicherzustellen, sieht das Gesetz weitreichende Erleichterungen vor, um Hauptversammlungen ohne physische Präsenz zu ermöglichen.

Erleichterung der elektronischen Teilnahme

Der Vorstand einer AG kann laut § 118 Abs. 1 S. 2 Aktiengesetz (AktG) auch ohne eine Satzungsgrundlage entscheiden, dass Aktionäre elektronisch an der Hauptversammlung teilnehmen und ihre Stimmen elektronisch abgeben (§ 118 Abs. 2 AktG). Zudem kann er zulassen, dass Aufsichts-ratsmitglieder per Video zugeschaltet werden (§ 118 Abs. 3 S. 2 AktG) beziehungsweise die Hauptversammlung elektronisch übertragen wird (§ 118 Abs. 4 AktG). Diese Regelungen sind keine Neuerungen im Aktienrecht, sondern machen sie auch einer Vielzahl von Gesellschaften zugänglich, die keine entsprechenden Satzungsregelungen haben und somit – jedenfalls bei anhaltenden Versammlungsbeschränkungen – nicht handlungsfähig wären. Entsprechendes gilt auch für die Genossenschaft. Beschlüsse der Mitglieder können abweichend von § 43 Abs. 7 S. 1 Genossenschaftsgesetz (GenG) auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies nicht in der Satzung vorgesehen ist. Das CoronaG modifiziert auch das Procedere der Generalversammlung (§ 46 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 6 Nr. 4 GenG): Die Generalversammlung kann auch im Internet auf der Homepage der Genossenschaft einberufen werden. Über die Art der Stimmabgabe und der Einberufung ent-scheidet der Einberufende, also grundsätzlich der Vorstand.

Virtuelle Hauptversammlung

Der Vorstand einer AG kann beschließen, dass die Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen rein virtuell, also ohne Möglichkeit der physischen Teilnahme, abgehalten wird. Dies ist ein Novum im Aktienrecht, da bislang nur die virtuelle Teilnahme an einer Präsenzhauptversammlung möglich war. Die Gesellschaft muss für die Wahrung zentraler Aktionärsrechte sorgen, wie beispielsweise die elektronische Stimmrechtsausübung, die Fragemöglichkeit auf elektronischem Wege sowie die Möglichkeit zur Erhebung von Widerspruch gegen die Beschlussfassung unter Verzicht auf das erforderliche Erscheinen in der Hauptversammlung. Als erste Aktiengesellschaft aus dem DAX plant die Bayer AG ihre Hauptversammlung virtuell abzuhalten. Das Gesetz gibt dem Vorstand für die virtuelle Hauptversammlung weitgehende, unseres Erachtens zu weitgehende Möglichkeiten, das Auskunftsrecht für die Aktionäre zu gestalten. Insbesondere kann er anordnen, dass Aktionäre ihre Frage bis zu zwei Tage vor der Hauptversammlung bei der Gesellschaft einreichen müssen; auch die Beantwortung der Fragen liegt im Ermessen des Vorstands.

Beschränkung der Anfechtbarkeit

Das Gesetz enthält zudem weitreichende Beschränkungen der Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Im Kern sollen Beschlüsse nicht aufgrund technischer Probleme oder Störungen bei der Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung angefochten werden können. Das Gesetz schießt allerdings über das Ziel hinaus und erfasst auch Mängel bei der Ausgestaltung des Auskunftsrechts, was die Aktionärsrechte empfindlich einschränkt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn dem Vorstand vorsätzliches Handeln vorzuwerfen ist – der Nachweis wird allerdings kaum jemals zu führen sein.

Weitere Einzelmaßnahmen

Ergänzend zu den bisher geschilderten Maßnahmen sieht das Gesetz noch weitere punktuelle Erleichterungen zur Abhaltung der Hauptversammlung vor:

  • Die Einberufungsfrist für eine Hauptversammlung ist auf 21 Tage verkürzt.
  • Die ordentliche Hauptversammlung kann im gesamten Geschäftsjahr abgehalten werden, nicht nur innerhalb der ersten acht Monate (gilt nicht für die SE).
  • Der Vorstand kann auch ohne Satzungsermächtigung eine Vorabdividende an die Aktionäre ausschütten.


Alle diese Entscheidungen des Vorstands bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Dieser kann die nach dem CoronaG notwendigen Beschlüsse auf elektronischem Wege fassen, auch wenn die Satzung oder die Geschäftsordnung das nicht vorsieht. Es ist daher gleich, ob ein Mitglied der Beschlussfassung außerhalb einer Präsenzsitzung widerspricht. Bislang fehlt eine Regelung zur Verkürzung der Einberufungsfrist für Aufsichtsratssitzungen. Gesellschaften sollten die Fristen in der Satzung oder Geschäftsordnung bei der Hauptversammlungsplanung sicherheitshalber im Auge behalten, wenn sie eine Beschlussfassung per Video- oder Telefonkonferenz planen. Für Vorstand und Aufsichtsrat von Genossenschaften erleichtert das CoronaG die Arbeit noch weitergehender als für die AG: Alle Sitzungen des Vorstands oder Aufsichtsrats, auch gemeinsame Sitzungen, können stets im Umlaufverfahren oder als Telefon- oder Videokonferenz abgehalten werden. Diese Erleichterung gilt grundsätzlich, also nicht beschränkt auf Beschlussfassungen mit Bezug zum CoronaG.

Entsprechende Geltung für KGaA und SE

Die Regelungen gelten entsprechend für die KGaA. Ähnliche Regelungen finden sich auch für die Generalversammlung der Genossenschaft sowie der Mitgliederversammlung des Vereins. Für die SE gelten die Regelungen zur AG ebenfalls weitgehend analog. Die SE muss ihre Hauptversammlung allerdings innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahrs abhalten. Der deutsche Gesetzgeber kann hier nichts Abweichendes regeln, da ihm die Gesetzgebungszuständigkeit fehlt.

GmbH-Gesellschafterversammlungen

Gesellschafter einer GmbH können nach dem Entwurf Beschlüsse außerhalb von Gesellschafterversammlungen fassen, auch ohne dass sämtliche Gesellschafter diesem Verfahren zustimmen.

Weitere Änderungen

Weitere Änderungen betreffen Vereine, Stiftungen, Genossenschaften und Wohnungseigentümergemeinschaften. So bleiben etwa die Vorstände von Vereinen und Stiftungen, die Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder von Genossenschaften sowie die Verwalter von Wohnungseigentü-mergemeinschaften, sofern deren Bestellung im Jahr 2020 enden sollte, dennoch bis zur Abberufung oder Bestellung eines Nachfolgers im Amt. Bei Wohnungseigentümergemeinschaften gilt der zuletzt beschlossene Wirtschaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort. Darüber hinaus kann bei der Genossenschaft statt der Generalversammlung auch der Aufsichtsrat den Jahresabschluss feststellen.

Wie lange gelten die neuen Vorschriften?

Die neuen Vorschriften gelten nur für Haupt- und Gesellschafterversammlungen im Jahr 2020. Die Regelung zu den Vereins- und Stiftungsvorständen sowie Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern von Genossenschaften gelten nur für im Jahr 2020 ablaufende Bestellungen und im Jahr 2020 statt-findende Mitgliederversammlungen von Vereinen. Allerdings ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ermächtigt, die Regelungen durch Rechtsverordnung ohne Zu-stimmung des Bundesrats höchstens bis zum 31. Dezember 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Auswirkungen der COVID-19-Pandemie geboten erscheint. Die neuen Regelungen zum Wohnungseigentümerrecht gelten unbefristet.

Offene Fragen

Dem Gesetz merkt man an, dass es mit heißer Nadel gestrickt ist. Es fehlen vollständig Regelungen zu den Gesellschafterversammlungen bei den Personengesellschaften (insbesondere OHG und KG), obwohl sie den Großteil der Gesellschaften in Deutschland ausmachen. Auch diese Gesell-schafterversammlungen können in Zeiten der COVID-19-Pandemie, wenn überhaupt, nur virtuell stattfinden. Im Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (Bundestags-Drucksache 19/18158) heißt es, die Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung seien „in großem Maße ana-logiefähig“. Doch Gesetzesqualität hat diese Aussage nicht, sodass die Rechtslage unklar ist. Beschlüsse, die in einer virtuell durchgeführten Gesellschafterversammlung ohne Zustimmung aller Gesellschafter gefasst wurden, drohen alleine aus diesem Grund nichtig zu sein. Sehr problema-tisch ist auch die Regelung zu Auskunftsrechten der Aktionäre in der Hauptversammlung. Das Gesetz sieht vor, dass der Vorstand nach „pflichtgemäßem, freiem Ermessen“ entscheiden kann, ob und welche Fragen er wie beantworte. Nach der Gesetzesbegründung soll den Aktionären kein Auskunftsrecht zustehen, sondern nur die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Das Auskunftsrecht gemäß § 131 AktG wird damit sehr weitgehend eingeschränkt, obgleich dies anerkanntermaßen ein Grundrecht der Aktionäre ist. Warum das Corona-Virus sich auf das verfassungsrechtlich anerkannte Auskunftsrecht auswirken soll, ist nicht erkennbar und wird weder in der Formulierungshilfe der Bundesregierung noch in der Gesetzesbegründung erläutert. Auch ist unklar, ob und wie Aktionäre Sach- oder Geschäftsordnungsanträge in der virtuellen Hauptversammlung stellen können. Eine gesetzliche Regelung entsprechend der Einreichung von Fragen sieht das Gesetz nicht vor.

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