Aussetzung der Insolvenzantragspflicht - 14. April 2020

Zwei Termine im Auge behalten

Nahezu alle Betriebe sind hierzulande von der Corona-Pandemie betroffen. Das wirtschaftliche Überleben erfordert vorausschauende Kontrollmaßnahmen und spezielle Prüfindikatoren im Unternehmen. Zudem ist die Beschäftigung mit zwei Stichtagen von heute an eine ernstzunehmende Vorgabe, um mit Blick auf die Zukunft jede Haftungsgefahr auszuschließen.

Mit den Regelungen zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – ein Teil des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht – wurden die Parameter für einen Insolvenzantrag hierzulande gelockert. Die relevanten Grundlagen dazu können Sie ausführlich meinem Beitrag „Notwendige Maßnahmen in einer Ausnahmesituation“ entnehmen. Demzufolge sind nun zwei Stichtage für die weitere Beratungspraxis von zentraler Bedeutung: der 1. Oktober 2020 und der 1. April 2021. Der erste Stichtag markiert das vorläufige Ablaufdatum der oben genannten Aussetzungsregelung, da sie in der jetzigen Form für die Zeit-spanne vom 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 gilt. Darüber hinaus enthält das Gesetz eine Verordnungsermächtigung für das Bundesjustizministerium (BMJV), wonach die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch einfache Rechtsverordnung bis zum 31. März 2021 verlängert werden kann. Somit wäre im Fall einer Verlängerung der alternative Stichtag der 1. April 2021.

Rahmendaten prüfen

Wenn dann zu einem der beiden Stichtage die ursprüngliche Insolvenzordnung wieder in Kraft tritt, wird es auf Grundlage der heutigen Rahmendaten von Bedeutung sein zu wissen, wie es um das jeweilige Unternehmen mit Blick auf eine mögliche Insolvenz bestellt ist. Daher ist es wichtig, be-reits vor den beiden Stichtagen alle erforderlichen Rahmendaten zu prüfen. Die Geschäftsleitung des Unternehmens muss eine klare Aussage zu einer etwaigen Insolvenzantragspflicht erhalten, und zwar fristgerecht. Die Insolvenzantragspflicht besteht innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Eintritt der Insolvenzreife.

Messindikatoren im Betrieb

Insoweit ist zu klären, ob die notwendigen Prüfindikatoren im betroffenen Unternehmen imple-mentiert sind und verlässliche Werte liefern. Da man davon ausgehen kann, dass eine durchaus beträchtliche Anzahl der gewerblichen Beratungsmandate durch die Corona-Pandemie in die be-drohliche Nähe der Insolvenzantragspflicht geraten wird, gewinnen relevante Messindikatoren, wie etwa ausbleibende Umsatzerlöse, zunehmend an Bedeutung.

Liquidität

Erste und wichtigste Prüfgröße ist ganz klar die Liquidität. Grob dargestellt, muss – unterstellt, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sei beendet – die vorhandene Liquidität die gleichzeitig fälligen Verbindlichkeiten zu mindestens 90 Prozent decken. Liegt der Deckungsgrad unter 90 Prozent, besteht formal Zahlungsunfähigkeit. Dieser Tatbestand verpflichtet die Geschäftsleitung zur sofortigen Prüfung aller einschlägigen Parameter. Sollte diese Zahlungsunfähigkeit nicht innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraums von drei Wochen beseitigt werden können, besteht Antragspflicht.

Überschuldung

Ferner bedarf es einer rechtsformabhängigen Überprüfung der Überschuldungsparameter. Auch hier gilt es zu prüfen, ob der Saldo aus Vermögen und Verbindlichkeiten noch positiv ist. Dabei kommen der Fortführungs- sowie der Fortbestehensprognose eine hohe Bedeutung zu, denn je nachdem, wie das Ergebnis der Prognose ausfallen sollte, sind die vorhandenen Wirtschaftsgüter für die Zwecke der Vermögensbewertung entweder mit deren Fortführungs- oder aber mit den Zerschlagungswerten anzusetzen. Auch insoweit gilt, dass ein negativer Saldo die Drei-Wochen-Antragsfrist auslöst.

Spezielle Maßnahmen

Augenscheinlich wird in den Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie vor allem die Liquidität leiden. Und durch Aufnahme von Hilfskrediten – den KfW-Förderprogrammen – wird auch die Passivseite zunehmen, mit der Folge, dass die Prüfparameter für einen Insolvenzantrag an Bedeutung gewinnen. Sollte es, wovon derzeit nicht ausgegangen werden kann, nicht zu einer sehr viel längeren Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommen, wird es bei vielen Unternehmen – eine korrekte Beurteilung der Krisenparameter Liquidität und Überschuldung vorausgesetzt – nicht möglich sein, den Betrieb ohne entsprechende Maßnahmen nach dem Ende des pandemiebedingten Shut Down weiterzuführen.

Langfristige Entwicklung im Blick

Diese unschöne Perspektive fordert konzertiertes Handeln aller Beteiligten, insbesondere die des steuerlichen Beraters. Die Sicherstellung der Liquidität mit Hilfsprogrammen oder -krediten ist gewiss ein Muss, damit das betroffene Unternehmen überhaupt weiter agieren kann. Jedoch bedarf es zudem eines kundigen Begleiters des Betriebs, der mittel- beziehungsweise langfristige Weichen stellt. Demgemäß gilt es folgende Aspekte zu beurteilen:

  • Kann das Unternehmen die aufgenommenen Hilfskredite ordnungsgemäß bedienen?
  • Kann der Betrieb darauf bauen, dass die Umsatzerlöse rasch wieder das erforderliche Maß erreichen, um die laufenden Verpflichtungen – den Deckungsgrad der Liquidität für alle fälligen Verbindlichkeiten von mindestens 90 Prozent bei erster Fälligkeit – zu bedienen?
  • Sind die Kunden sowie die eigenen Zulieferbetriebe bereit und in der Lage, an Leistungsparameter anzuknüpfen, die vor der Pandemie galten?

Da es auf die voranstehenden Fragen heute keine verlässlichen Antworten gibt, bedarf es zweier Maßnahmen von besonderer Bedeutung:

  1. Im Unternehmen wird ein Kontrollinstrument aufgebaut, womit sich die Entwicklung der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage messen lässt. Die Werte werden turnusmäßig – empfehlenswert ist mindestens monatlich – erhoben und auf ihre Plausibilität hin untersucht.
  2. Es erfolgt eine regelmäßige Beurteilung der Ergebnisse des Kontrollinstruments mit klarer Benennung der Folgen beziehungsweise der Konsequenzen, die sich daraus ergeben. In-soweit kommen auch Hinweis- und Warnpflichten des steuerlichen Beraters ins Spiel, nach deren Vorgabe eine klare Aussage bei Gefährdungslagen vorzunehmen ist.

Sanierungsmaßnahmen

Basierend auf dieser fortzuschreibenden Selbstbeurteilung kann es der Geschäftsleitung gelingen, den Erfolg eigener Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen innerhalb der Pandemie zu ermitteln. Andererseits kann das Ergebnis aber auch sein, dass die Sanierungs- beziehungsweise Gegenmaß-nahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen werden. Für diesen Fall müssten entweder weiter-gehende Maßnahmen getroffen werden, wie etwa der Verkauf von Anlagevermögen, Sale-and-lease-back-Optionen, Factoring, Gesellschafterdarlehen oder Eigenkapitalfinanzierung durch Stammkapitalerhöhung oder die Aufnahme neuer Gesellschafter. Kommt man zu dem Schluss, dass es überhaupt nicht mehr gelingen kann, den Betrieb zu retten und dass es keinen wirtschaftlichen Sinn mehr macht, weiter in das Unternehmen zu investieren, ist eine frühzeitige Erkenntnis wertvoll. So kann jeder Betroffene verhindern, weiteres privates Vermögen zu verlieren. Zudem ist man auf der sicheren Seite, wenn später geprüft wird, ob der Insolvenzantrag auch fristgerecht gestellt wurde.

Handlungsempfehlungen

Geschäftsleitungen nahezu aller Unternehmen sind in diesen Tagen damit beschäftigt, die Bewältigung der unmittelbaren Krisenfolgen in die Wege zu leiten. Dabei dürfte schon sehr bald klar werden, wie weitreichend und nachhallend die Corona-Krise auf das gesamte Wirtschaftsleben in Deutschland, Europa, aber auch weltweit wirkt. Ohne eine vorausschauende und ehrliche Beurteilung der eigenen Lage, droht die Gefahr, sich sehr schnell in allzu seichtem Wasser wiederzufinden, vor allem, wenn das eigene Echolot zur Entwicklung der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage nicht funktioniert. Daher spricht viel dafür, dass alle Beteiligten, vom Unternehmer über den steuerlichen Berater bis zum Kreditgeber für den jeweiligen Betrieb zukunftsorientierte Voraussetzungen schaffen.

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Zum Autor

Markus Wohlleber

Steuerberater, Dipl.-Betriebs­wirt (FH), Bank­kauf­mann, Fach­be­rater für San­ie­rung und In­sol­venz­ver­wal­tung (DStV) in der Steuer­be­ra­tungs­kanzlei Wohl­leber in Nürn­berg, Haß­furt und Frankfurt/M.

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