Betriebsprüfung - 26. Oktober 2023

Störgefühle überwinden

Wenn keine tatsächlichen Gründe vorliegen, die Buchführung zu verwerfen, sind die Aufzeichnungen und die Buchführung des Unternehmers der Besteuerung zugrunde zu legen. Subjektive Zweifel des Prüfers dürfen dann keinen Sicherheitszuschlag zur Folge haben

Auch ohne die Vornahme einer Ausbeutekalkulation kann eine Prüferin oder ein Prüfer Zweifel am Ergebnis haben. Denn im Rahmen der Betriebsprüfung bekommt so mancher Prüfer womöglich ein Störgefühl, dass bei den zu prüfenden Aufzeichnungen etwas nicht stimmen kann und die Buchführung zu verwerfen sei. Ein derartiges Störgefühl, das jeder haben kann, ist objektiv nicht messbar. Und so stellt sich die Frage, ob aufgrund dieses Störgefühls des Prüfers ein Zuschlag oder eine Hinzuschätzung gerechtfertigt sein kann. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich Störgefühle des Betriebsprüfers durch Ermittlungen nach § 88 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) überwinden lassen. Wenn der Prüfer nichts findet, müsste sein Störgefühl beseitigt sein.

Verfehlter Ansatz

Reinhart Rüsken, der eine Parallele in § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) sieht, hält die Schätzung für ein Mittel der Sachaufklärung und meint, sie hätte rechtslogisch Vorrang vor der Anwendung von Beweislastregeln. Dieser Ansatz ist nicht zutreffend, da es dann keine Beweislastregeln bräuchte, sondern Unklarheiten oder eine mangelnde Plausibilität mittels Schätzung zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen aufgeklärt werden könnten. Wäre die Schätzung Teil der Sachaufklärung, würde dies bedeuten, dass man einfach schätzt, wenn man anders nicht weiterkommt. Dieser Ansatz ist abzulehnen, da die Sachaufklärung Vorrang haben muss. Erst wenn Sachverhalte unaufklärbar sind, kann sich die Frage stellen, welche Rechtsfolgen daraus resultieren. Die Schätzung ist auf der Rechtsfolgenebene eine Antwort auf schwer oder gar nicht aufklärbare beziehungsweise beweisbare Vorgänge, sofern eine entsprechende Schätzungsbefugnis besteht. Folglich müssen die Voraussetzungen für eine Schätzungsbefugnis gegeben sein. Manchmal besteht sie nicht und dann muss nach den Beweislastregeln entschieden werden.

Sachaufklärung hat Vorrang

Das Störgefühl eines Prüfers lässt sich nur durch Sachaufklärung beheben. Dem Prüfer ist entgegenzuhalten, dass er ermitteln muss, auch um seine eigenen Zweifel zu überwinden. Wenn er nichts findet, kann es auch keinen Grund für eine Verwerfung der Buchführung beziehungsweise Zuschätzung geben. Hat der Prüfer alles überprüft und ermittelt und gibt es keine klaren Beweise für weitere Einnahmen, ist sein Störgefühl offensichtlich unbegründet. Dann darf es aber auch keine Zuschläge geben. Einen Prüfer, der aus dem Bauch heraus die Vollständigkeit einer Erlöserfassung anzweifelt, wird man auf § 88 Abs. 1 AO hinweisen müssen. Er soll weiter ermitteln – und zwar zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen. Wenn er nichts findet, sind seine Zweifel, ob weitere Einnahmen anzusetzen seien, unbegründet. Weitere Einnahmen lassen sich dem Grunde nach auch nicht gemäß § 162 AO schätzen. Denn es muss nachweisbar positiv festgestellt werden, dass es weitere Einnahmen gab. Erst dann kann die Höhe dieser Einnahmen geschätzt werden.

Störgefühle ohne sachliche Begründung

Es kann jedenfalls nicht sein, aufgrund eines pauschalen oder diffusen Störgefühls weitere Einnahmen zu behaupten und diese der Besteuerung unterwerfen zu wollen, ohne hierfür einen Nachweis zu haben. Hier gilt der Grundsatz, dass alle steuerbegründenden und steuererhöhenden Tatsachen von der Finanzverwaltung dargelegt und bewiesen werden müssen, während alle steuermindernden und steuerfreien Tatsachen vom Steuerpflichtigen zu belegen sind. Der Ruf nach Schätzungen und Zuschlägen aufgrund pauschaler Zweifel kann keine rechtliche Legitimation haben.

Willkürliche Schätzungen vermeiden

Manche Finanzbeamte wenden ein, dass eine Steuerhinterziehung so schwer zu beweisen ist und deswegen Beweiserleichterungen, etwa aufgrund statistischer Verfahren oder Plausibilitätsüberlegungen, gegeben sein müssen. Dies würde aber die Grenze zu einer willkürlichen, rechtlich nicht mehr kontrollierbaren Zuschätzung nach Belieben der Prüfer aufweichen. Das kann schon deshalb nicht sein, weil so ein vermeintliches Mehr-Ergebnis als Steuerhinterziehung die Vorstufe zu einem Steuerstrafverfahren wäre.

Fazit

Wenn keine Gründe gegeben sind, die Buchführung zu verwerfen, sind die Aufzeichnungen und die Buchführung des Steuerpflichtigen nach § 158 AO zwingend der Besteuerung zugrunde zu legen. Daher kann auch bei einem noch so großen Störgefühl des Prüfers kein Sicherheitszuschlag in Betracht kommen.

Zum Autor

JB
Dr. Jörg Burkhard

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Strafrecht, Wiesbaden

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