Von Politik und Justiz nahezu ignoriert, haben die Kommunen weitgehend freie Hand, über die auf vielfach unhaltbaren Hebesätzen basierenden Grundsteuereinnahmen ihre Haushaltslöcher zu stopfen.
Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz (GG) schreibt vor, dass die Gemeinden bezüglich ihres Selbstverwaltungsrechts im Rahmen der Gesetze vorzugehen haben. Und so stellen dann auch Troll/Eisele (Grundsteuergesetz mit Nebengesetzen) auf Anmerkung 1 zu § 25 Grundsteuergesetz fest: „Die Gemeinde kann den Hebesatz jedoch nicht völlig frei, sondern nur im Rahmen der Gesetze festlegen.“ Genau dies tun die Gemeinden aber eben gerade ermessensfehlerhaft nicht.
Enge, örtlich radizierbare Verknüpfung
Aufgrund der historischen Entwicklung, insbesondere der Einführung der Einkommensteuer, sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), des Bundesfinanzhofs (BFH) und ergänzend dazu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind das Grundsteuer-Aufkommen und die durch die Grundstücke zu Lasten der Gemeinden verursachten Kosten eng, örtlich radizierbar verknüpft, keinesfalls aber der allgemeine Haushalt und das Grundsteuer-Aufkommen. Diese Rechtsprechung ist darin begründet, dass sich das aus § 3 Absatz 2 Abgabenordnung (AO) ergebende Wesen der Grundsteuer beziehungsweise dessen Systematik und Charakteristik als Real-, Objekt- oder Sachsteuer aus dem Äquivalenzgedanken ergibt, jedenfalls aber nicht aus den Erfordernissen eines etwaigen Haushaltsausgleichs. Daraus wiederum folgt, dass nur grundstücksbezogene Kosten in den Bereich der Grundsteuer beziehungsweise der Äquivalenz fallen, keinesfalls jedoch personenbezogene Kosten. Im Übrigen hat die Steuerreformkommission in ihrem Gutachten von 1971 (Heft 17 der Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), Seite 713 ff.) ausgeführt, dass die Grundsteuer weitgehend dem Äquivalenzgedanken entspricht. Und in den Gesetzentwürfen von Bayern und Hamburg wird mehrfach das Äquivalenzprinzip angeführt, wenn auch weitgehend (noch) nicht auf Ebene 3 im Bereich der Gemeinden.
Gemeinden ignorieren klare Rechtslage
Die Gemeinden stellen bei der Festsetzung der Grundsteuerhebesätze jedoch in keiner Weise auf den Rahmen des hier entscheidenden Grundsteuerrechts, sondern ausschließlich auf das die Grundsteuer nicht direkt berührende Haushaltsrecht ab. Das heißt, sofern Geld in der Gemeindekasse fehlt – aus welchem Grund auch immer – wird die Grundsteuer, auch ohne Rechtfertigungsnachweis, entsprechend der Kassenlage erhöht. Dabei wird noch nicht einmal nachgewiesen, ob das bisherige Grundsteueraufkommen (ohne die Erhöhung) überhaupt eine enge Verknüpfung zu den durch die Grundstücke verursachten, grundstücksbezogenen Kosten aufgewiesen hat. Völlig unverständlich ist, dass diese Verfahrensweise durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit in vollem Umfang bestätigt wird.
Anschein der Willkür
In Anbetracht dieser Rechtslage kann man also nur davon ausgehen, dass die Festsetzungen bei der Grundsteuer derzeit grundsätzlich willkürlich erfolgen, einzig und allein mit dem Ziel, den Haushalt der Kommunen zu decken.
Für die erteilten Grundsteuerbescheide hätte dies somit grundsätzlich zur Folge, dass sie von vornherein gemäß § 125 Absatz 1 der Abgabenordnung (AO) nichtig und damit gemäß § 124 Absatz 3 AO unwirksam sind. Möglicherweise ist eine erhebliche Anzahl der Grundsteuer-Bescheide aber „nur“ rechtswidrig. Eine endgültige Beurteilung ist erst dann möglich, wenn die Gemeinden Zahlen vorlegen; nämlich Zahlen über das Verhältnis des Grundsteuer-Aufkommens zu den von den Grundstücken verursachten Kosten. Danach könnte dann die Frage geklärt werden, wie krass das Missverhältnis zwischen Grundsteuer-Aufkommen und grundstücksbezogenen Kosten ist. Im Übrigen bedeutet die bisherige Vorgehensweise der Gemeinden auch, dass die Kommunen gegen das Verfassungsgebot der Folgerichtigkeit verstoßen, da das Transparenzgebot im Grunde genommen nicht eingehalten wird.
Krasses Missverhältnis sehr wahrscheinlich
So hat zum Beispiel die Bürger-Interessen-Gemeinschaft Sassenburg im Gemeinderat im laufenden Jahr 2020 eine Berechnung über die durch die Grundstücke verursachten Kosten vorgelegt; mit dem Ergebnis, dass diese Kosten nur rund 50 Prozent der Grundsteuereinnahmen der Gemeinde Sassenburg betragen werden. Da bei den Hebesätzen keine Kontrolle stattfindet, wächst auch der Anreiz dazu, grundstücksbezogene Maßnahmen, wie die Unterhaltung der Straßen, deren Kosten durch die vereinnahmte Grundsteuer ja abgedeckt sind, trotzdem über längere Zeit nicht durchzuführen, das heißt „die kommunalen Straßen verlottern zu lassen“ (siehe dazu Rainer Brüderle – langjähriger Minister in Land und Bund – in KOMMUNAL vom 11.07.2018).
Keine Rechtfertigung für Grundsteuer/Hebesatzerhöhungen
Die Gemeinden können zu ihrer Entlastung auch nicht vorbringen, dass sie mittlerweile zu erheblichen überörtlichen Kosten herangezogen werden. Denn wenn die landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsgebote hier nicht hinreichend greifen, so müssen die Gemeinden eben ihrerseits den Klageweg beschreiten, so wie zum Beispiel die Stadt Pirmasens gegen das Land Rheinland-Pfalz (siehe Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2020 – VGH N 12/19 -). Keineswegs aber kann der Weg des geringsten Widerstands über die Belastung der Bürger mit erhöhter Grundsteuer gegangen werden. Der Kämmerer der Stadt Hamm, Markus Kreuz, erklärte hierzu, dass zumindest viele Kommunen mittlerweile über ihre Grundsteuer auch Leistungen mitfinanzieren, die ihnen von übergeordneter politischer Ebene auferlegt werden (siehe DER NEUE KÄMMERER vom 10.12.18, „Grundsteuer abschaffen!“). Und im Jahr 2020 wurden in Niedersachsen auffällige Grundsteuererhöhungen vorgenommen, weil das Land aus sozialen Beweggründen die Beitragsfreiheit für Kita-Besuche einführte und den Gemeinden die Kosten dafür aufbürdete. Der Kämmerer der Samtgemeinde Boldecker Land, Werner Hanisch, erklärte dazu: „Die Verteilung des Geldes zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist nicht so, wie man es dem Bürger verspricht, letzterer wird allein gelassen. Einer, nämlich das Bundesland, bestellt die Musik, bezahlt sie aber nicht, so etwa bei der Beitragsfreiheit für Kindergärten.“ Siehe hierzu auch den Beitrag der Aller-Zeitung vom 30. Januar 2020 („Fehler im System“).
Auch Geringfügigkeitsargumente greifen nicht
Eine Rechtfertigung der zumindest „nur“ rechtswidrig festgesetzten Grundsteuer ist auch nicht mit Blick auf ihre angeblich generell so geringe Höhe möglich. Derartige Geringfügigkeitsargumente hat das BVerfG bereits im Urteil zur Grundsteuer vom 10. April 2018 verworfen (siehe hierzu die Stellungnahme „Reform der Grundsteuer – Öffentliche Anhörung im Finanzausschuss am 11. September 2019, Prof. Dr. jur. Johanna Hey, Seite 19). Und auch Dr. Armin Pahlke, Richter am 2. Senat des BFH, hat bereits in den NWB 40/2010, Seite 3175, ausgeführt, dass auch ein geringer jährlicher Grundsteuerbetrag sich über die Zeit zu einer beträchtlichen Belastung summiert.
Und diese beträchtliche Belastung wird durch ständig weiter steigende Hebesätze immer weiter erhöht.
Ständig steigende Hebesätze
Das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig hat mit Urteil vom 6. März 2019 (4 A 612/17) eine Hebesatzerhöhung bei der Grundsteuer von 480 Prozent auf 690 Prozent mit der Begründung auf das Haushaltsrecht sowie eine nicht vorliegende Erdrosselungswirkung abgesegnet. In zwei weiteren Fällen wurde der Grundsteuerhebesatz von der Stadt Siegburg für 2015 von 460 Prozent auf 790 Prozent sowie von der Stadt Rüsselsheim von 400 Prozent auf 800 Prozent erhöht. Aber selbst diese sehr starken Erhöhungen wurden vom VG Köln (Urteile vom 29.09.2015 – 17 K 704/15, 17 K 706/15) sowie vom VG Darmstadt (Urteil vom 15.09.2015 – 4 K 1659/13) insbesondere mit dem Hinweis auf die defizitäre, laut der Stadt Rüsselsheim, besorgniserregende Haushaltslage der Beklagten für rechtmäßig erachtet. Aufmerksamkeit erweckt auch das Urteil vom 27. Januar 2017 des VG Wiesbaden (1 K 684/15.WI, 1 K 728/16.WI). In diesem Streitfall hatte die Stadt Bad Schwalbach durch eine Änderung der Satzung zum 1. Januar 2015 die Grundsteuer auf 500 Prozent sowie zum 1. Januar 2016 auf 690 Prozent angehoben. Das VG Wiesbaden hat auch hier – wie üblich in der Justiz – die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass sich eine gesetzliche Begrenzung des Hebesatzes weder aus dem Grundsteuergesetz noch aus anderen gesetzlichen Bestimmungen, etwa der Gemeindeordnung, ergebe. Vielmehr habe die Beklagte die Verpflichtung zum schnellstmöglichen dauerhaften Haushaltsausgleich. Eigentlich hätte das VG schon deshalb erkennen müssen, dass seine Entscheidung nicht haltbar ist, weil die Grundsteuer keine normale Steuer im Sinne von § 3 Absatz 1 AO ist, sondern eine vom Äquivalenzgedanken getragene grundstücksbezogene, nicht haushaltsbezogene Real- beziehungsweise Objekt- oder Sachsteuer gemäß § 3 Absatz 2 AO ist. Ganz besonders unhaltbar ist jedoch der Beschluss des VG Darmstadt vom 22.08.2019 (Mihan und andere gegen Stadt Offenbach – 4 L 1004/19), denn hierin wird sogar zugegeben, dass die Grundsteuererhöhung von 600 Prozent auf 995 Prozent – völlig systemfremd – aufgrund langjähriger sozialer Lasten erfolgt ist. Von Grundstücksbezogenheit also keine Spur.
Missbrauch geht weiter
Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird es auch für die rund 3.800 Bürger der Stadt Lorch im Rheingau teuer (FAZ vom 09.05.2020). Der von Bürgermeister Ivo Reßler vorgelegte Haushaltsentwurf für 2020 sah vor, dass der Hebesatz für die Grundsteuer auf 1.285 Prozent steigt, um einen ausgeglichenen Etat zu ermöglichen. Das wäre Rekord in Hessen gewesen, den bisher die Gemeinde Lautertal im Odenwald mit 1.050 Prozent hält.
Im Übrigen heißt es in der Immobilien Zeitung vom 13.08.2021: „Pandemiefolgen treiben Grundsteuer nach oben“. Dabei ist doch unübersehbar, dass die Kosten für Corona-Erkrankungen in keiner Weise mit den von den Grundstücken verursachten Kosten in Verbindung gebracht werden können.
Deckelung gefordert
Die bisher gegebene Fehlentwicklung sollte so schnell wie möglich beendet werden. Erfreulicherweise sehen das die Professoren Thiess Büttner und Horst Zimmermann, beide Mitglieder im Wissenschaftlichen Beirat beim BMF, ähnlich. Sie sprechen davon, Höchstsätze für den Hebesatz der Grundsteuer zu bestimmen (siehe Wirtschaftsdienst, Heft 5/2020, Seite 383). Des Weiteren weisen sie darauf hin, dass die Bundesländer durch Landesgesetz die Höchstbeträge selbst bestimmen können (siehe § 26 Grundsteuergesetz). Und Bernd Heuer, Vorsitzender des Verbands Wohneigentum in Schleswig-Holstein, führte in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 13. April 2020 aus: „Außerdem fordert unser Verband die Deckelung der Hebesätze. Schon heute wäre es notwendig, den Kommunen keinen Freifahrtschein für eine Steuererhebung nach Kassenlage zu überlassen.“
Im Übrigen gäbe es das Problem der Notwendigkeit der Deckelung überhaupt nicht, wenn die Hebesätze nach den durch die Grundstücke verursachten Kosten bemessen werden würden.
Fazit und Ausblick
Auch aufgrund der vorstehend aufgezeigten Missstände war nicht verwunderlich, dass nach Vorlage des Urteils des BVerfG vom 10. April 2018 eine Vielzahl – möglicherweise auch eine Mehrzahl – der Grundsteuer-Experten, so auch insbesondere von Seiten der Politik Bernd Althusmann, Niedersachsens Wirtschaftsminister, für die Abschaffung der Grundsteuer eingetreten sind. Leider hat sich dann herausgestellt, dass die Abschaffung der Grundsteuer, wie ich erfahren habe, politisch nicht durchsetzbar ist. Wenn die Politik aber so etwas bestimmt, dann muss sie auch dafür Sorge tragen, dass die Grundsteuer rechtssicher ausgestaltet wird. Dies ist aber leider nicht geschehen, sondern Gemeinden und Verwaltungsgerichtsbarkeit befinden sich auf einem Irrweg. Wie dieser Irrweg verlassen werden kann, ist einem gesonderten Artikel vorbehalten.
Mehr dazu
Einen Überblick der wichtigsten Punkte zur Grundsteuerreform finden Sie auf datev.de/grundsteuer.
Außerdem haben wir noch weitere Informationen zu unserer Kooperationslösung mit fino taxtech oder einen Kommentar unserer COO Julia Bangerth zum Thema.