Umsatzsteuerfreie Bildungsleistung - 27. April 2023

Den Kompromiss finden

Nach mehreren Anläufen steht der Gesetzgeber weiterhin in der Pflicht, bei den Bildungsleistungen das nationale Steuerrecht an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen. Eine Option wäre, ein modifiziertes Bescheinigungsverfahren mit feststellender Bindungswirkung durch die Finanzverwaltung einzuführen.

Seit dem Jahr 2019 besteht eine Divergenz in der Definition der umsatzsteuerbefreiten Bildungsleistung, wenn man die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit der nationalen Gesetzgebung vergleicht. Dies hatte bereits Prof. Dr. Hans Nieskens im DATEV magazin 04/2022 thematisiert. Nach wie vor ist hierzulande das sogenannte Bescheinigungsverfahren das notwendige Instrument, um als privater Bildungsanbieter in Bezug auf die Umsatzsteuerfreiheit der eigenen Leistung auf der sicheren Seite zu sein. Das hat auch der Bundesfinanzhof (BFH) im sogenannten Fahrschulurteil so bestätigt [BFH-Urteil vom 23.05.2019 – V R 7/19 (V R 38/16)]. Denn die Bescheinigung der Landesbehörde ist eine von drei materiellen Voraussetzungen gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zur Gewährung der Umsatzsteuerfreiheit einer erbrachten Leistung. Die Landesbehörde bestätigt damit dem Anbieter, dass dessen Tätigkeit auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet. Liegen auch die anderen beiden Voraussetzungen vor, wonach eine allgemein- oder berufsbildende Einrichtung eine unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistung erbringt, wird der Betriebs- beziehungsweise Umsatzsteuersonderprüfer für den bescheinigten Zeitraum die Steuerfreiheit nicht versagen (können).

Bescheinigungsverfahren in der Kritik

Insbesondere das Instrument des Bescheinigungsverfahrens steht jedoch nicht im Einklang mit dem Europarecht. Die den Rahmen des deutschen UStG vorgebende Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MWStSystRL) sieht als Voraussetzung für die Steuerbefreiung keine Bescheinigung vor. Auch wird nicht die Vorbereitung auf einen Beruf oder eine Prüfung gefordert. In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber daher mehrfach Bemühungen unternommen, um die nationale Regelung an die unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MWStSystRL anzupassen und die Norm des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG richtlinienkonform auszugestalten. Gleichzeitig soll die Inanspruchnahme von Bildungsleistungen nicht verteuert werden. Im Ergebnis tritt man bislang aber auf der Stelle. Die bisherigen Entwicklungen werden nachfolgend kritisch betrachtet.

Versteckte Leistungsverteuerung

Die neuerdings bekannten Änderungsinitiativen jähren sich bald zum zehnten Mal. Bereits mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2013 sollten diverse Ziffern des § 4 UStG reformiert werden. Doch wurden die Änderungsvorschläge des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) in der Anhörung des Finanzausschusses mehrheitlich abgelehnt und daraufhin zunächst zurückgestellt. Ein Grund mag bereits damals die diametrale Interessenlage der unterschiedlichen Anbieter von Bildungsleistungen gewesen sein. Insbesondere diejenigen gewerblichen Anbieter, die ausschließlich betriebliche Fortbildungen anbieten, fremdeln mit der Umsatzsteuerfreiheit, denn für sie hat die Steuerpflicht keine Nachteile, da ihre unternehmerischen Kunden zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Gleichzeitig wird dem steuerbefreiten Bildungsanbieter gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug auf dessen Eingangsleistungen versagt. Dies birgt die Gefahr einer versteckten Leistungsverteuerung, falls diese nicht abziehbare Vorsteuer seitens des Anbieters auf die Kunden abgewälzt wird.

Bescheinigungsverfahren abschaffen?

Der nächste Vorstoß des BMF zu einer Änderung und Umsetzung der MWStSystRL erfolgte dann mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, später auch als JStG 2019 bekannt. Unter anderem sah der Entwurf vor, das Bescheinigungsverfahren abzuschaffen und stattdessen diejenige Behörde für die Prüfung einzusetzen, die auch für die Steuerfestsetzung verantwortlich ist, mithin das örtlich zuständige Finanzamt. Der Ansatz war – neben der Europarechtskonformität – auch aus Behördensicht grundsätzlich nachvollziehbar. Die Bescheinigung der Landesbehörde unterliegt nicht den Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung (AO), sie kann daher auch rückwirkend ausgestellt werden. Da sie einem Grundlagenbescheid gleichgestellt ist, würde sie die Finanzbehörde gegebenenfalls auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist nur für das entsprechende Steuerjahr mit dem Ergebnis binden, dass ein Rechtsfrieden zulasten der Finanzverwaltung unter Umständen nicht eintritt.

Keine Entscheidungshoheit für die Finanzämter

Auch wenn durch den Referentenentwurf des JStG 2019 ein Schritt in Richtung einer Richtlinienkonformität versucht wurde, war dieser handwerklich verbesserungsbedürftig. Denn die Entscheidungskompetenz über die Steuerfreiheit wäre von einer unabhängigen Landesbehörde unmittelbar auf die Finanzverwaltung übergegangen. Bislang bestand und besteht auch weiterhin aufgrund einer Bescheinigung der Landesbehörde für den ausgewiesenen Zeitraum Klarheit im Verfahren sowie Planungssicherheit für den Anbieter. Würde man die Entscheidungshoheit auf die Finanzämter verlagern, bliebe der Anbieter bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist beziehungsweise der Beendigung einer etwaigen steuerlichen Außenprüfung im Unklaren darüber, ob er nun umsatzsteuerfreie Leistungen erbringt oder nicht. Allgemein bekannt ist, dass eine zeitnahe Betriebsprüfung in der Praxis aus unterschiedlichen Gründen nicht immer umsetzbar ist. Mithin würden unter Umständen erst einige Veranlagungszeiträume beendet sein, bis ein Bildungsanbieter die Rechtssicherheit hätte, die er jetzt bereits unmittelbar mit der Ausstellung der für die Finanzverwaltung bindenden Bescheinigung bekommt. Auch dieser Entwurf stieß daher nicht auf Gegenliebe und wurde in Bezug auf § 4 Nr. 21 UStG durch Verbände und Literatur kritisiert. Der die Bildungsleistungen betreffende Teil des Regierungsentwurfs wurde im parlamentarischen Verfahren deshalb ein weiteres Mal nicht in das finale Gesetz übernommen.

Vertragsverletzungsverfahren droht

In den folgenden Perioden und bis heute wurde kein erneuter Versuch unternommen, die nationale Norm anzupassen. Die seit dem Jahr 2020 folgende Steuergesetzgebung musste unter anderem schnell auf die pandemische Lage und die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts mit dessen wirtschaftlichen Folgen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler reagieren. Es ist möglich, dass die Reform daher abermals in den Hintergrund gerückt ist beziehungsweise rücken wird. Dass somit weiterhin kein Gleichlauf des deutschen UStG mit der MWStSystRL besteht, ist nachvollziehbar. Die nicht isoliert zu betrachtende Frage „Bescheinigung – ja oder nein?“ wird aber in den folgenden Jahren zu entscheiden sein, wenn die Bundesregierung langfristig die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens seitens der Europäischen Kommission gegen Deutschland vermeiden möchte. Dabei ist zu wünschen, dass sich der Gesetzgeber im Vorfeld mit den Bedürfnissen der unterschiedlichen Bildungsanbieter auseinandersetzt und diese in den Gesetzgebungsprozess frühzeitig mit einbezieht. So gilt es, die Interessen beispielsweise der gewerblichen Anbieter, aber auch der Volkshochschulen und der selbstständigen Lehrkräfte gleichermaßen zu berücksichtigen.

Einen Kompromiss finden

Im Grunde spricht nichts dagegen, das starre Bescheinigungsverfahren abzuschaffen und somit einen Beitrag zum Bürokratieabbau zu leisten. Andererseits muss der Anbieter weiterhin darauf vertrauen dürfen, dass die Fakturierung seiner Leistungen ohne Umsatzsteuer gesetzeskonform und erlaubt ist. Eine Neubewertung der Finanzverwaltung, zum Beispiel im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung, kann existenzbedrohend werden, da eine Nacherhebung der Umsatzsteuer beim Kunden nicht immer durchsetzbar ist. Ein für die Praxis sinnvoller Kompromiss könnte daher sein, ein modifiziertes Bescheinigungsverfahren mit feststellender Bindungswirkung durch die Finanzverwaltung einzuführen. Das steuerliche Verfahrensrecht bietet bereits heute vergleichbare Instrumente zur Umsetzung. Man denke hier an die lohnsteuerliche Anrufungsauskunft nach § 42e Einkommensteuergesetz (EStG), die es dem Steuerpflichtigen ermöglicht, kostenlos Sachverhalte zur Klärung an die Finanzverwaltung zu adressieren. Die Möglichkeit auf den Erhalt eines solchen klarstellenden Verwaltungsakts müsste jedoch nicht zwingend in § 4 Nr. 21 UStG kodifiziert werden, womit den europarechtlichen Vorgaben Genüge getan wäre.

Fazit

In jedem Fall und in Anbetracht der aktuellen Teuerungsrate muss vermieden werden, dass sich Bildung für den privaten Endverbraucher unnötig – durch eine Belegung mit Umsatzsteuer – verteuert. Denn das lebenslange Lernen ist nach wie vor Teil des geistigen und technologischen Fortschritts unserer Gesellschaft.

Zum Autor

MSM
Michael Schlang, LL.M

Steuerberater und Fachberater für Internationales Steuerrecht. Er ist zudem Leiter der Abteilung Steuern des DGRV, des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands e. V. in Bonn.

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