Der Weg aus der Krise - 23. September 2021

Zusammen geht es besser

Die mittelständischen Unternehmen sind durch die Corona-Pandemie unter Druck geraten. Die Ursachen der wirtschaftlichen Betroffenheit liegen aber tiefer. Vor diesem Hintergrund kann Kooperation der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft sein.

Die Corona-Pandemie hat weltweit eine der größten Krisen nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgerufen. Gerade der wiederholte Lockdown hat nahezu alle Branchen völlig uner­wartet getroffen. Viele, vor allem kleinere Unternehmen, muss­ten bereits aufgeben. Beendet ist diese Entwicklung noch lange nicht. Die Insolvenzstatistik, die häufig als Indikator für die Situ­ation der jeweiligen Branche herangezogen wird, ergibt nur ein unvollständiges Lagebild. Weit häufiger wird es vorkommen, dass Unternehmen, deren Fortbestand in den kommenden Jah­ren ohnehin – etwa mangels geeigneter Nachfolgerinnen und Nachfolger – gefährdet ist, ihre Betriebsschließung freiwillig vollziehen. Tatsächlich hat aber nicht allein die Corona-Pande­mie die Unternehmen unter Druck gesetzt. Auch strategi­sche Versäumnisse in den vorangegangenen Jahren haben dazu beigetragen. Umso wichtiger ist es des­ halb, genau diese Schwächen zu erkennen und den notwendi­gen Transformationsprozess nachzuholen.

Schwierige Ausgangslage

Wenn der Weg in eine erfolgreiche Zukunft gelingen soll, ist nicht nur ein genauer Blick auf die eigenen Stärken und Poten­ziale erforderlich, sondern vor allem eine effiziente unterneh­mensübergreifende Vernetzung. Die wirtschaftliche Lage vieler mittelständischer Unternehmen wird sich auch bei einem ra­schen Abklingen der Pandemie nicht so schnell verbessern. Zu­dem wachsen die gesellschaftspolitischen Erwartungen an die Unternehmen hinsicht­lich Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Auch hier müssen die Kooperationszentralen eine Führungsrolle für ihre Mitglieder einneh­men. Denn in den einzelnen Unternehmen fehlt es oft an Know-how und Personal, um diese Themen beherzt anzugehen. Auch fehlen die finanziellen Mittel für notwendige Investitionen. Denn die krisenbedingt mas­siven Umsatzeinbußen, die nur zu einem kleineren Teil durch die staatlich bereitge­stellten Wirtschaftshilfen kompensiert werden konnten, wirken nach. Zwar konnten die Unternehmen durch den lobenswerten Einsatz vieler Steuerberater bei der Beantragung von Überbrü­ckungshilfen und anderer Hilfsprogramme etwas entlastet wer­den. Dennoch mussten viele Unternehmensinhaber – vor allem die kleinen Personenunternehmen – privates Kapital zuschie­ßen, um ihren Betrieb aufrechtzuhalten. Das staatlich abgesi­cherte Kreditprogramm – so attraktiv die Konditionen und Ga­rantien durch die öffentliche Hand auch sein mögen – ist eher zögerlich angenommen worden. Irgendwann müssen Kredite bekanntlich wieder zurückgezahlt werden. Gerade bei unsiche­ren Zukunftsaussichten neigen die Unternehmer deshalb zur Vorsicht in puncto Verschuldung. Insgesamt also eine schwie­rige Ausgangslage für den nun notwendigen wirtschaftlichen Restart im Mittelstand.

Unterschiedliche Betroffenheit

Zu einer nüchternen Bestandsaufnahme gehört auch die Er­kenntnis, dass die Unternehmen im Mittelstand unterschied­lich von der Corona-Krise betroffen waren. Während große Teile des industriellen Mittelstands trotz vorübergehender Kurzarbeit und Lieferengpässen insgesamt recht gut durch diese schwierige Phase gekommen sind, gilt dies für das Gast­gewerbe, die Veranstaltungswirtschaft, den stationären Ein­zelhandel sowie spezialisierte Zulieferbetriebe keineswegs. Hier wirkt sich erschwerend aus, dass diese Branchen über­wiegend auf den Kontakt zum Kunden beziehungsweise Gast vor Ort angewiesen sind. Gerade dieser Kontakt war durch die geltenden Verordnungen stark eingeschränkt. Aber auch der genauere Blick auf den Handel liefert kein einheitliches Bild. Denn während etwa der Lebensmitteleinzel-, der Fahrrad- und Küchenhandel deutlich höhere Umsätze als in den Vorjahren erzielen konnten, verzeichneten andere Groß- und Einzelhänd­ler im Jahresvergleich deutliche Umsatzrückgänge.

Nur wenige Gewinner

Große Gewinner der Krise gibt es nur wenige. Die Mehrkosten zur Einhaltung der Auflagen ließen das oft auch bei höheren Umsätzen nicht zu. Einen sehr deutlichen Boom erlebte hinge­gen der Online-Handel. Profitiert haben hier in erster Linie die bereits etablierten Online-Plattformen mit ihrer hochleistungsfähigen Infrastruktur. Auch wenn die mittelständi­schen stationären Händler in vielen Fällen schnell reagiert und niedrigschwellige Ange­bote zum Online-Vertrieb – etwa über Social Media – eingerichtet haben, konnten sie auch bei bester positiver Resonanz den ge­waltigen Vorsprung nicht einholen. Auch ihre damit verbundenen zusätzlichen Kosten konnten sie zumeist nicht decken. Vielen machte neben den Betriebskosten auch eine hohe Retourenquo­te massiv zu schaffen. Unter den verschärften Bedingungen hat sich der Vorsprung der global agierenden Plattformen dagegen massiv vergrößert und deren Profitabilität weiter erhöht.

Marktmacht als struktureller Vorteil

Die stationären mittelständischen Händler waren vor allem des­halb im Nachteil gegenüber den globalen Plattformen, weil sie reagieren mussten, als die Marktanteile im Online-Handel be­reits weitgehend verteilt waren. Denn bereits vor der Corona-Krise hatten große internationale Digitalkonzerne, wie zum Bei­spiel Amazon, eine dominierende Marktmacht. Diese ist so groß, dass für viele kleine Händler ohne eigene digitale Infrastruktur der Weg an deren Plattformen kaum vorbeiführt. Entscheiden­der Faktor für den Markterfolg der großen Player ist die Etablie­rung einer Infrastruktur nicht nur für den eigenen Vertrieb, son­dern auch als Plattform für externe Händler. Letztere können die digitale Infrastruktur nutzen, bezahlen dafür aber unter ande­rem mit Transaktions- und Kundendaten. Diese Daten werden von den Plattformbetreibern systematisch gesammelt, umfas­send ausgewertet und konsolidieren deren marktbeherrschende Stellung. Es sind genau diese wertvollen Daten, die mittelständi­schen stationären Händlern fehlen, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt in den Online-Handel einsteigen.

Faire Wettbewerbsbedingungen notwendig

Diesen Mangel gilt es auszugleichen. Das kann aber nur über­betrieblich gelingen. Und genau hier kommen die gewerblichen Verbundgruppen ins Spiel. Denn so unterschiedlich sie sich auch über Jahrzehnte entwickelt haben, in einem besteht Einigkeit: Sie müssen ihre Mitglieder auf dem Weg in die digi­tale Transformation konsequent fördern. Trotz des langfristi­gen Erfolgs der Kooperationen und ihrer Mitglieder finden sie sich heute allerdings in einer Situation wieder, in der ihnen die eigene Stärke allein nicht in ausreichendem Maße den Zugang zu den Möglichkeiten der Digitalisierung und damit zu wichti­gen Marktanteilen verschaffen kann. Sie brauchen deshalb po­litische Unterstützung, damit es faire Wettbewerbsbedingun­gen – ein sogenanntes Level Playing Field – geben kann.

Modernisierung des Wettbewerbsrechts

Gegenwärtig ist der Wettbewerb zwischen den von Digitalkon­zernen betriebenen Plattformen und den überwiegend statio­nären mittelständischen Händlern keineswegs ausgewogen. Die Politik und damit auch die Wettbewerbsbehörden sind da­her in der Pflicht, für mehr Ausgleich zwischen den Marktteil­nehmern zu sorgen. Erfreulicherweise haben sie die herausra­gende Bedeutung dieser Fragen für die wirtschaftlichen Machtverhältnisse der Zukunft mittlerweile erkannt. Mit der am 19. Januar 2021 in Kraft getretenen zehnten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wurde endlich ein zeitgemäßer Ordnungsrahmen zur Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen in der digitalisierten Wirt­schaft geschaffen. Im Zuge der Verschärfung der Miss­brauchsaufsicht kann das Bundeskartellamt deutlich schneller gegen Verzerrungen des Wettbewerbs durch Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung vorgehen. Folgerichtig sieht die GWB-Novelle bei Vorliegen einer markt­beherrschenden Stellung einzelner Unternehmen ebenfalls vor, dass deren Mitbewerber Zugang zu den wettbewerbsrele­vanten Daten erhalten müssen. So könnten gerade mittelstän­dische Händler ihren strukturellen Nachteil zumindest teilwei­se ausgleichen und leichter gemeinsam eigene datenbasierte Geschäftsmodelle entwickeln. Auch auf der Ebene der Europä­ischen Union laufen derzeit – etwa mit dem Digital Markets Act – Gesetzgebungsverfahren mit ähnlicher Zielsetzung. Die entsprechenden Regeln haben aber nicht nur hohe Relevanz für den (Online-)Handel, denn digitalisierte Geschäftsmodelle werden in allen Branchen zum Regelfall. Wenn sie wirtschaft­lich erfolgreich sein wollen, wird daher zukünftig für alle Un­ternehmen der Zugang zu Daten entscheidend sein.

Politische Unterstützung unabdingbar

Viele Unternehmen können ihre wirtschaftliche Schwäche in­folge der im Zuge der Corona-Pandemie staatlich verordneten Einschränkungen nicht aus eigener Kraft überwinden. Des­halb müssen steuerliche Investitionsanreize ins Auge gefasst werden. Mittelständische Unternehmen bedürfen einer Ent­lastung, während Digitalkonzerne steuerlich am Ort der Wert­schöpfung stärker zum Gemeinwohl beitragen sollten. Min­destens ebenso wichtig ist die Verringerung überzogener bü­rokratischer Pflichten, da im Verhältnis kleinere Unternehmen hierdurch weit stärker belastet werden als Großunternehmen. Unverzichtbar ist eine Stärkung der Innenstädte und Ge­schäftszentren, um das Einkaufen vor Ort wieder attraktiver zu machen. Denn nur durch Orte mit hoher Aufenthaltsqualität und entsprechendem Freizeitwert kann der stationäre Handel seine Stärken gegenüber dem Online-Handel voll ausspielen. Ebenso braucht der Mittelstand verlässliche Rahmenbedin­gungen in den Bereichen Klimaschutz und Energie. Die aktuell sehr hohen Energiekosten verzerren den Wettbewerb im euro­päischen Raum zulasten des Mittelstands erheblich. Mit einer Politik, die sich dieser Herausforderungen annimmt, würde die neue Bundesregierung dazu beitragen, dass die mittel­ständischen Unternehmen zur Stärkung der gesamten Volks­wirtschaft aus der Corona-Krise herauswachsen können.

Fazit und Ausblick

Mehr denn je kommt es dabei auf eine effiziente Vernetzung an, da der Mittelstand erst in Kooperationen seine volle Kraft entfalten kann – mit positiven Folgen für Regionen, für Ar­beits- und Ausbildungsplätze, für nachhaltige Ressourcennut­zung und damit letztlich auch für eine hohe Lebensqualität. Die Stärke mittelständischer Unternehmen im Handel, Hand­werk und Dienstleistungsgewerbe ist ihre Kooperationsfähig­keit. Deren Wurzeln liegen in der genossenschaftlichen Idee: Gemeinsamkeit erkennen und in Gemeinschaft den Einzelnen fördern. Dies ist schon lange ein Erfolgsmodell und hat eine Struktur gedeihen lassen, die viele Krisen überstanden hat. Jetzt allerdings muss dem analogen Erfolgsmodell in wirt­schaftlich herausfordernden Zeiten der Sprung in die Digitali­sierung gelingen. In diesem anspruchsvollen Transformations­prozess kommt den Zentralen mittelständischer Kooperatio­nen eine entscheidende Rolle zu.

Mehr dazu

Informationen zu Überbrückungs- und Wirtschaftshilfen sowie passende Weiterbildungsangebote unter www.datev.de/corona

Zu den Autoren

LV
Dr. Ludwig Veltmann

Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND – ZGV e. V.

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MM
Marius Müler-Böge

Referent für Mittelstandspolitik, DER MITTELSTANDSVERBUND – ZGV e. V.

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