Wissensmanagement - 24. November 2022

Zu wichtig, um schlecht gepflegt zu sein

Die Ressource Wissen ist die wesentliche Grundlage für die Leistungserstellung in der Kanzlei. Jede Kanzlei tut gut daran, sie aktuell zu halten, zu pflegen, gut zu managen und für alle jederzeit zugänglich zu machen. Wie verankert man ein Wissensmanagement praktisch in der Kanzlei?

Fachwissen, Branchenwissen, informelles Wissen, kleine Informationen, die auf dem Flur ausgetauscht werden – alles das trägt dazu bei, dass Mandantinnen und Mandanten in Fragen des Steuer- und Rechnungswesens gut beraten und betreut werden können. Neben den gesamten Kenntnissen gehören dazu ebenso die Fähigkeit, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen, ein theoretischer Hintergrund ebenso wie praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Die Informationen und Daten sind oft an bestimmte Personen gebunden. Das ist problematisch, wenn jemand wegen Krankheit ausfällt oder in den Ruhestand geht. Ist das persönliche Wissen dann nicht zentral abgelegt und für alle erreichbar, sind unter Umständen für andere Mitarbeiter Prozesse schwieriger und Aufgaben nicht lösbar. Es ist also existenziell, die Ressource Wissen so zu organisieren, dass sie für alle verfügbar ist. War es vor Corona noch möglich, einen Kollegen im persönlichen Gespräch zu fragen, ist es heute umso wichtiger, mittels Struktur (zum Beispiel interne Experten, Verantwortliche für fachliche sowie organisatorische Themen) und IT (Intranet, externe und interne Datenbanken) Zugriff auf Informationen und Expertise zu ermöglichen.

Arten von Wissen in der Kanzlei

Wissen in der Kanzlei ist nicht die Summe an Informationen in Datenbanken und Köpfen. Es ist abhängig von der Interaktion und Zusammenarbeit aller. Wie die Wissensträger in die Arbeitsabläufe der Kanzlei eingebunden sind und wie sie die IT-Infrastruktur effizient für die tägliche Arbeit nutzen, prägt den Umgang mit dem eigenen und dem Wissen anderer. Wissen bedeutet, wissen, wo was steht, und wissen, wer was weiß. In Kanzleien gibt es verschiedene Arten von Wissen, zum Beispiel zu Fachthemen, Arbeitsabläufen und -methoden, zu Ressourcen der Kanzlei (etwa IT-Systeme), zu fachlichen und kanzleiindividuellen Arbeitsstandards, Kanzleigeschichte, -strategie, entwicklungszielen, zum wirtschaftlichen Umfeld der Kanzlei und zu Branchen und Mandanten. Außerdem: Wie werden neue Arbeitsweisen entwickelt oder vorhandene weiterentwickelt – beispielsweise zur Digitalisierung?

Herausforderungen für Kanzleien

Dienstleistung und Beratung in Steuerberatungskanzleien unterliegen hohen fachlichen Ansprüchen, denn es geht um ökonomisch relevante Dimensionen für die Mandanten. Die Entwicklung der Gesetzgebung und Rechtsprechung, die digitale Transformation, aber auch Mandantenbedürfnisse erfordern eine ständige Weiterentwicklung der Kanzlei, allein schon, um einen Status quo zu halten. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der den Wettbewerb um geeignete Mitarbeiter verschärft. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, muss sich auch das Wissensmanagement anpassen. Regelmäßige Gespräche und persönlicher Austausch zwischen Kanzleileitung und -mitarbeitern sowie strukturiertes internes Mentoring sind die Lebensadern eines gesunden Wissensmanagements. Es erfordert von allen Beteiligten Lernbereitschaft sowie eine IT-Infrastruktur, die allen einen leichten ortsunabhängigen Zugriff auf sämtliche Informationen erlaubt.

Lernende Kanzlei

In jüngerer Zeit gibt es eine prozessorientierte Schule des Wissensmanagements, und auch in der Praxis von Steuerberatungskanzleien zeigen sich Überschneidungen und Übereinstimmungen mit Qualitätsmanagement und Personalentwicklung – diese drei Bereiche sollten zusammengedacht werden: Qualitätsmanagement und dafür verantwortliche Personen gibt es seit Längerem in vielen Steuerberatungskanzleien, während in kleinen und mittelgroßen Kanzleien administrative Kapazitäten für Personalentwicklung seltener und für Wissensmanagement meist gar nicht vorhanden sind. Um die Organisationsstruktur der Kanzlei überschaubar zu halten, ist es sinnvoll, Wissensmanagementthemen gegebenenfalls im vorhandenen Qualitätsmanagement mitzudenken und mitzuorganisieren. Wissens- und Qualitätsmanagement bilden einen Ausschnitt der Kanzlei als Organisation ab – und das Thema Personalentwicklung bildet die Brücke zu der individuellen Ebene aller Personen in der Kanzlei. Statt also diese drei Bereiche getrennt nebeneinander zu betrachten und zu entwickeln, ist es sinnvoller, sie in einem Konzept zusammenzubringen – beispielsweise unter der Überschrift „lernende Kanzlei“ oder „kontinuierlicher Verbesserungsprozess“.

WISSENSMANAGEMENTPROZESS IN DER KANZLEI

  1. Was wollen wir erreichen?
  2. Welches Wissen ist für die Kanzlei relevant?
  3. Woher beziehen wir unser Wissen?
  4. Wie entwickeln wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten?
  5. Wie stellen wir sicher, dass Wissen nicht nur bei Einzelnen bleibt, sondern für alle sichtbar und verfügbar ist?
  6. Wie kann das Wissen aller praktisch effizient genutzt werden?
  7. Wie erhalten wir das Wissen in unserer Kanzlei langfristig?

Kanzleistrategie

Wissensmanagement durchdringt alle Arbeits- und Informationsprozesse und wird sowohl durch formelle als auch durch informelle Kommunikation am Leben gehalten. Es ist kein eigenständiger Arbeitsbereich in einer Kanzlei, doch sind die strategischen Ziele einer Kanzlei immer der Ausgangspunkt jeglicher Aktivitäten zum Wissensmanagement. Wissen in der Kanzlei zu halten und zu entwickeln, ist eine Führungsaufgabe, denn es ist relevant für die Arbeitsprozesse und zugleich die Basis dafür, dass in der Kanzlei überhaupt gearbeitet werden kann. Wichtig ist auch die Frage, wie neues Wissen generiert wird und in die Kanzlei gelangt. Die drei wichtigsten Quellen dafür sind klassisch Aus- und Fortbildungen, das neue Erfahrungswissen, das durch die Arbeit in der Kanzlei automatisch zumindest auf individueller Ebene entsteht, und heutzutage unentbehrlich: das Lernen von anderen Steuerberatungskanzleien, die bestimmte Probleme schon gelöst haben, die viele Kanzleien betreffen. Gemeinsam im Team lässt sich festlegen, wie man den Überblick über individuelle Dokumente und Hilfsmittel behält, wie alle aus Fortbildungen, positiven Erfahrungen und Fehlern lernen können, was den schnellsten Zugriff auf Fachinformationen und Arbeitsgrundlagen ermöglicht, wie etwa Checklisten oder Arbeitsanweisungen, wie man sicherstellen kann, dass man nicht permanent das Rad neu erfindet, wie sich Transparenz über alle Kompetenzen und Fähigkeiten erreichen und wie sich das Wissen Einzelner an das Team weitergeben lässt, wie neue Fähigkeiten entwickelt werden und wie die digitale Transformation der Kanzlei gemeinsam gestaltet wird.

Fazit

Nie war die Entwicklung der Ressource Wissen so relevant wie heute, denn mit steigender Mitarbeiterfluktuation droht auch das Verschwinden von Wissen. Die Möglichkeiten des Wissensmanagements sind vielfältig, für jede Kanzlei gibt es praktikable Ansätze. Gerade wegen der vielen Optionen funktioniert Wissensmanagement nur auf Basis einer klaren Kanzleistrategie. Nicht zuletzt ist eine Kanzlei, zu deren Strategie Wissens- und Kompetenzentwicklung gehört, attraktiv für engagierte und motivierte Mitarbeiter.

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So geht’s Schritt für Schritt

Ausgangspunkt sollte eine Ist-Analyse sein, beispielsweise beginnend mit einer schriftlichen Umfrage zu Wissensbarrieren mit Benchmarks aus anderen Steuerberatungskanzleien. In einem anschließenden Workshop lassen sich Wissensziele festlegen und ungenutzte Potenziale identifizieren. Folgende praktische Aspekte sind zu besprechen:

KANZLEI ALS LERNENDE ORGANISATION

Fördern Sie, dass Mitarbeiter ihr Wissen erhalten, entwickeln und teilen. Schaffen Sie dazu passende Rahmenbedingungen.

UMGANG MIT PROBLEMEN UND FEHLERN

Lernen Sie gemeinsam aus Fehlern. Fördern Sie eine positive Fehlerkultur und vermeiden Sie die Suche nach Sündenböcken.

ORGANISATIONSSTRUKTUR UND FÜHRUNGSKRÄFTE

Führen Sie ein Qualitätsmanagement ein und passen Sie Arbeitsprozesse an. Überprüfen Sie die Führungs- und Teamstruktur. Holen Sie sich bei Ihren Mitarbeitern Feedback zum eigenen Führungsverhalten ein. Reflektieren Sie das eigene und ändern Sie es gegebenenfalls.

EXPERTENSTATUS FÜR MITARBEITER MIT VIEL ERFAHRUNG UND WISSEN

Legen Sie gemeinsam Experten für die jeweiligen Arbeitsbereiche fest. Entwickeln Sie Mentoring-Programme, um Wissen weiterzugeben und zu erhalten.

PERSONALENTWICKLUNG

Um die Kanzleistrategie umzusetzen, klären Sie mit Angestellten ihre Kompetenzentwicklung, in welchen Bereichen sich jeder Einzelne weiterentwickelt – durch Fortbildungen, internen Erfahrungsaustausch und Mentoring. Stellen Sie Ihren Mitarbeitern fünf Prozent der Arbeitszeit für Weiterbildung frei.

RAUM FÜR INFORMELLE KOMMUNIKATION

Fördern Sie einen entspannten Austausch: In Kaffeepausen, beim Mittagessen und anderen informellen Treffen geht es oft um Fachliches. Schaffen Sie Zeiträume dadurch, dass Sie Mandate aufgeben, die nicht mehr zur Kanzleistrategie passen (etwa Digitalisierungsverweigerer).

INFORMATIONSMANAGEMENT-KONZEPT UND WISSENSMANAGEMENT-SOFTWARE

Implementieren Sie für die einfache Kommunikation und für strukturierten Themenaufbau ein Social Intranet sowie eine mobile App. Bauen Sie eine Datenbank für Fachwissen und Wikis auf.

Zum Autor

UH
Ulf Hausmann

Kanzleiberater und Coach mit dem Schwerpunkt Strategieentwicklung und -umsetzung

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