Kassenbuchführungspflichten - 23. September 2021

Fragwürdige Rechtsprechung

Einem zweifelhaften und wenig überzeugenden Urteil des Bundesfinanzhofs zufolge ist das sogenannte Ersteinrichtungsprotokoll von zentraler Bedeutung. Tatsächlich aber kann es kein Beleg für eine ordnungsgemäße Kassenführung sein.

In seinem Urteil vom 25. März 2015 (X R 20/13), das als soge­nanntes Zeitreihenvergleichsurteil bekannt wurde, be­schreibt der Bundesfinanzhof (BFH) die Prüfungsdogmatik zur Verwerfung einer (Kassen-)Buchführung bei elektronischen Kassen. Schulmäßig und vorbildlich erläutert er den Prüfungs­kanon. Er differenziert hierbei zwischen formellen und materi­ellen Fehlern und legt dar, dass formelle, also systembedingte Erfassungsfehler auf der Einnahmenseite grundsätzlich eine Verwerfung der Kassenbuchführung zur Folge haben, wenn der Fehler erheblich ist. Der BFH unterscheidet bei den for­mellen Fehlern also, ob sie auf der Einnahmen- oder auf der Ausgabenseite erfolgen. Sofern die Fehler auf der Ausgaben­seite erfolgen, gibt es jedenfalls keinen Grund, auf der Einnah­menseite Zweifel zu haben und eine Hinzuschätzung vorzu­nehmen. Erfolgen die Fehler jedoch auf der Einnahmenseite, verlangt der BFH eine Gewichtung des Mangels sowie eine Prüfung, ob der Fehler schwer und erheblich ist oder nicht. Nur erhebliche formelle Fehler auf der Einnahmenseite, die eine Prüfung der Vollständigkeit unmöglich machen oder aber das Vertrauen in die Vollständigkeit der Erlöserfassung massiv erschüttern, führen dazu, dass die (Kassen-)Buchführung zu verwerfen sei.

Erheblichkeitsschwelle

Der BFH zieht in dem angesprochenen Urteil auch eine Erheb­lichkeitsschwelle ein, ohne zu definieren, wo genau diese im Einzelfall liegt. Man wird den BFH in diesem Kontext nur so verstehen können, dass einige wenige Ausreißer bei den Feh­lern wohl niemals so relevant sind, dass man deswegen die Buchführung verwerfen könnte. Sind aber erhebliche Fehler auf der Einnahmenseite systembedingt und flächendeckend vorhanden, sodass man sich nicht von der Vollständigkeit der Erlöserfassung überzeugen kann, führt dies zur Verwerfung der Buchführung. In diesem Kontext griff der BFH in dem Ur­teil vom 25. März 2015 exemplarisch einige Fehler auf, die in dem Revisionsverfahren relevant waren. Insoweit zeigte der BFH anhand einzelner Fehler, ob diese formeller oder materi­eller Natur waren, ob sie seiner Ansicht nach erheblich waren und, soweit sie auf der formellen Einnahmenseite erfolgten, ob er sie für erheblich hielt oder nicht.

Fehlende Protokolle

Hinsichtlich fehlender Programmierprotokolle einer elektroni­schen Registrierkasse, bei der es natürlich um die Einnahmeer­fassung geht, hielt der BFH das Fehlen von Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokollen für so relevant, dass deswegen eine Kasse zu verwerfen sei. Wörtlich führte er hierzu aus: „Auch das Fehlen der Programmierprotokolle einer Registrierkasse stellt einen formellen Mangel dar.“ Anweisungen zur Kassenpro­grammierung sowie insbesondere die Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) als „sonstige Organisations­unterlagen“ aufbewahrungspflichtig. Dies hat die Finanzverwal­tung schon lange vor den Streitjahren vertreten, etwa im Schrei­ben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 7. No­vember 1995 (BStBl I 1995, 738, Tz. VI.c, sowie Tz. 6 der diesem BMF-Schreiben beigefügten Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme) beziehungsweise im BMF-Schreiben vom 9. Januar 1996 (BStBl I 1996, 34), zeitlich nach den Streitjahren auch in den BMF-Schreiben vom 26. November 2010 (BStBl I 2010, 1342) sowie vom 14. November 2014 (BStBl I 2014, 1450, Tz. 111). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an (BFH-Urteil vom 25.03.2015 – X R 20/13 BStBl II 2015, S. 743, Rn 26, ebenso Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenord­nung, Finanzgerichtsordnung, § 147 AO Rz 9, 26). Dem Grund nach nicht zu beanstanden ist, dass ein Ersteinrichtungsprotokoll für den BFH relevant ist.

Gesamtumsatzzähler und Zeiterfassungsfenster

Denn die Erstprogrammierung zeigt, wie die Kasse arbeitet und beispielsweise, ob und welche mobilen Geräte angeschlossen sind und folglich für den Gesamtumsatzzähler relevant werden. Sind in einem Kassensystem beispielsweise nur zwei mobile Ge­räte angeschlossen und laufen zwei andere mobile Geräte in ei­nem separaten Netzwerk, dann laufen die Umsätze der beiden separaten mobilen Geräte natürlich nicht in die Hauptkasse, son­dern eben in ein separates Kassensystem, das dann nicht der Be­steuerung zugrunde gelegt wird. Also ist es wichtig, zu sehen, ob bei der Erstprogrammierung tatsächlich alle mobilen Geräte auf den Gesamtumsatzzähler laufen und dort in einem Netzwerk ver­bunden sind. Gleiches gilt natürlich auch für die Tische. Sind alle Tische in dem Netzwerk erfasst oder gibt es einzelne Tische, die gebucht werden können, aber nicht von dem Gesamtumsatzzäh­ler erfasst werden? Dann wären dies schwarze Tische, die zur Ge­nerierung von Schwarzumsätzen dienen. Ähnlich zu behandeln ist die Frage, ab welcher Zeit die einzelnen mobilen Geräte sowie die Hauptkasse Umsätze aufzeichnen beziehungsweise bis wann Umsätze aufgezeichnet werden. Ist die Gaststätte schon vor oder nach diesen Zeiten geöffnet und das Zeiterfassungsfenster also kleiner als die Öffnungszeiten, sind offensichtlich Abrechnungen auch außerhalb der Erfassung möglich und werden womöglich auch vorgenommen.

Das Ersteinrichtungsprotokoll

Für den Prüfer ist wichtig, zu erfahren, wie die Kasse program­miert ist. Nur dann kann er sich von der Vollständigkeit einer Er­löserfassung überzeugen. Allerdings baut der BFH hier einen Heiligenschein um das Ersteinrichtungsprotokoll auf, den dieses gar nicht verdient. Denn natürlich sieht der Prüfer nur, wie die Kasse eingerichtet ist, wenn er das Ersteinrichtungsprotokoll be­gutachtet. Was jedoch der Gastwirt oder dessen IT-Dienstleister drei Minuten später macht, sieht der Prüfer nicht mehr. Es gibt also keine logische Verknüpfung zwischen der Ersteinrichtung und den späteren Änderungsprotokollen. Wird die Kasse ord­nungsgemäß eingerichtet und das Ersteinrichtungsprotokoll aus­gedruckt, erfüllt die Kasse scheinbar alle Voraussetzungen, die der BFH für so wichtig hält. Wird die Kasse nur drei Minuten spä­ter manipuliert, indem beispielsweise zwei weitere mobile Geräte in einem parallelen Netzwerk eingerichtet werden, oder unter­bleibt die Aufzeichnung einzelner mobiler Geräte beziehungs­weise werden einige Tische aus der Erfassung der Gesamterlöse nach der Erstprogrammierung wieder herausgenommen, ent­steht also ein Erfassungslochmuster, sind natürlich die nachfol­genden Aufzeichnungen keinesfalls vollständig. Aber die formale Voraussetzung, dass ein Ersteinrichtungsprotokoll vorgelegt wird, stellt den BFH zufrieden, weil es erforderlich ist, aber auch ausreichend sein soll. Das ist natürlich, wie die voranstehenden Beispiele zeigen, keineswegs überzeugend.

Das Änderungsprotokoll

Wird dann nach einem Jahr eine Preiserhöhung vorgenommen, erwartet die Finanzverwaltung und ihr folgend auch der BFH ein Änderungsprotokoll. Wenn unser Gastwirt beispielsweise die Kas­se von seinem IT-Dienstleister auf den ursprünglichen formalen Ersteinrichtungsstand zurücksetzen lässt, danach davon noch ei­nen Ausdruck macht und anschließend die Preiserhöhungen ein­fügt und auch von dieser geänderten Programmierung einen Aus­druck macht, dann liegt ein Änderungsprotokoll vor. Sofern der Gastwirt dies fein säuberlich abheftet und dann seinen IT-Dienst­leister die ursprünglichen Manipulationen wieder eingeben lässt, ist die Kasse nur drei Minuten später wieder voll im Manipulati­onsmodus. Formal aber ist der BFH zufriedengestellt, weil dem äußeren Anschein genügend ein Ersteinrichtungs- sowie ein Än­derungsprotokoll vorhanden sind. Dies ist so bei allen Kassen, die noch nicht finalisiert sind – also für die meisten Kassen vor 2017.

Fehlende Verknüpfung

In unserem Fallbeispiel läuft die Kasse aber völlig anders und es werden bei Weitem nicht alle Umsätze aufgezeichnet. Daran wird deutlich, wie inhaltsleer beziehungsweise unwichtig letztendlich das Ersteinrichtungsprotokoll sowie die Änderungsprotokolle sind. Weil es gerade keine logische und IT-mäßig nicht manipu­lierbare Verknüpfung zwischen dem Ersteinrichtungs- und dem Änderungsprotokoll gibt, zeigt unser Beispiel die Problematik der BFH-Rechtsprechung, die offensichtlich rein auf den formalen Schein der beiden Protokolle abstellt, als wären diese der Weis­heit letzter Schluss. Wie das Beispiel aber zeigt, sind Ersteinrich­tungs- und Änderungsprotokoll letztlich nichts wert. Sie bewei­sen gerade nicht die Vollständigkeit der Erlöserfassung.

Folgen in der Praxis

Umso schlimmer dabei ist, dass bei anderen, ehrlichen Gastwir­tinnen und Gastwirten die Kasse verworfen werden kann, wenn diese beiden nichtssagenden Protokolle fehlen. Abgestraft wer­den dann möglicherweise die völlig Falschen, die nur diesen for­malen Anschein nicht erbringen können, weil beim Kauf der Kas­se oder beim Erwerb des Restaurants vom Vorbesitzer oder weil vom Kassenaufsteller die Wichtigkeit von Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokoll noch nicht erkannt und infolgedessen noch nicht berücksichtigt wurde, etwa weil die Kasse viele Jahre vor der BFH-Entscheidung vom 25. März 2015 erworben wurde. Immerhin durften diejenigen Kassen nach Ansicht der Finanzver­waltung, die vor dem BMF-Schreiben vom 26. November 2010 (sogenannte zweite Kassenrichtlinie) gekauft wurden, jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2016 unbeanstandet weitergenutzt werden. Bei all diesen Kassen soll nun nach der BFH-Rechtsprechung vom 25. März 2015 das Feh­len von Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokoll per se eine Verwerfung der Buchführung mit sich bringen. Da diese bei­den Protokolle letztendlich aber keinen Beweiswert haben, muss man sich tatsächlich fragen, warum deren Fehlen oder Vorhan­densein überhaupt eine Rolle spielen soll. Die zitierte BFH-Ent­scheidung erscheint da insoweit als sehr oberflächlich und wenig tragfähig. Denn umgekehrt könnten natürlich diese Kassen, die über kein Ersteinrichtungs- oder Änderungsprotokoll verfügen, völlig korrekt geführt sein. Und dass die Richtigkeit der Erlöser­fassung nicht überprüfbar wäre, wenn Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokoll fehlen, ist auch nicht zutreffend, da na­türlich auch während einer Betriebsprüfung oder nach einer sol­chen ein Vergleich mit den Umsätzen nach einer Kassenumstel­lung, also etwa ab dem 1. Januar 2017 auf eine fiskalisierte Kasse, gezogen werden könnte. Der sogenannte innere Betriebsver­gleich müsste dann Umsatzsprünge zeigen, sofern vorher mani­puliert wurde und hinterher, also nach der Änderung hin zu ei­nem manipulationssicheren Kassensystem, nicht mehr manipu­liert werden kann. Spätestens mit Umstellung der Kassen auf das TSE-Sicherheitsmodul zum 1. Januar 2020 müssten sich dann Umsatzsprünge zeigen. Wenn sich hier aber derartige Sprünge nicht zeigen, ist offenbar die Umsatzaufzeichnung zuvor korrekt gewesen. Und genau betrachtet ist auch mit dem Ersteinrich­tungs- und Änderungsprotokoll natürlich eine Vollständigkeit der Erlöserfassung genauso wenig überprüfbar, wie am voranstehen­den Beispiel aufgezeigt wurde.

Keine Pflicht zur Nachrüstung

Dem BFH ist weiter entgegenzuhalten, dass natürlich Altkassen, die heute noch bei vielen Betriebsprüfungen eine Rolle spielen, Anfang oder Mitte des ersten Jahrzehnts in diesem Jahrtausend gekauft wurden. Damals waren aber entsprechende Vorgaben zum Erstellen eines Ersteinrichtungs- oder Änderungsprotokolls noch nicht bekannt beziehungsweise noch nicht publiziert. Sofern man den Kassennutzern jetzt – trotz eines bestehenden Bestands­schutzes – das Fehlen von Ersteinrichtungs- oder Änderungspro­tokoll zum Vorwurf machen will, ist dies mit Art. 14 Grundgesetz (GG) und dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, der von dieser Norm geschützt wird, jedenfalls verfassungsrecht­lich nicht vereinbar. Darüber hinaus gibt es keine Verpflichtung zum Neuerwerb von Kassen, jedenfalls nicht laut Gesetz vor dem 1. Januar 2020. Die Wünsche der Finanzverwaltung in deren BMF-Schreiben (etwa vom 16.10.2010) sind insoweit keine Ge­setze und daher auch nicht verpflichtend (vgl. ebenso FG Münster, Urteil vom 15.01.2013, 13 K 3764/09, RN 130 –132).

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Zum Autor

JB
Dr. Jörg Burkhard

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Strafrecht, Wiesbaden

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