Überbrückungshilfen - 25. August 2022

Die Riposte erfolgreich setzen

Bei der Schlussabrechnung zu den sogenannten Corona-Maßnahmen hört man vermehrt den Einwand, dass ein verbundenes Unternehmen vorläge. Grund genug, sich damit, aber auch mit anderen Risiken auseinanderzusetzen, um bei der juristischen Stellungnahme entsprechende Gegenargumente vorzutragen.

Prüfende Dritte sollten bei Schlussabrechnungen zu ge­währten Überbrückungshilfen beziehungsweise No­vember- und Dezemberhilfen rechtliche Risiken, insbeson­dere die Gefahr eines Unternehmensverbunds, berücksich­tigen. Es drohen detaillierte juristische Prüfungen und da­mit Rückzahlungen gewährter Leistungen. Daher lautet meine Handlungsempfehlung, bei Einreichung der Schlussabrechnung eine juristische Stellungnahme mit abzugeben, die sich vor allem detailliert mit der Frage be­fasst, ob ein Unternehmensverbund vorliegt oder nicht.

Schlussabrechnung – worum geht es?

Die Frist zur Einreichung der Schlussabrechnung wurde verlängert. Leistungsempfängerinnen und -empfänger müssen bis zum 30. Juni 2023 detaillierte Schlussabrechnungen vorlegen. Neben realisierten Umsatzzahlen und Fixkostenab­rechnungen können hier juristische Stellungnahmen mit erforderlich sein. Aktuell ist jedenfalls zu beobachten, dass die Bewilligungsstellen Sachverhalte detaillierter prüfen, als dies bei den Antragstellungen in den Jahren 2020 und 2021 der Fall war. Die Bewilligungsstellen versuchen, un­berechtigte Auszahlungen zu korrigieren. Daher bietet sich den Leistungsempfängern bei der Schlussabrechnung auch eine Chance, mithilfe neuer Anlagen sowie juristischer Stellungnahmen zu potenziellen Angriffsflächen fehlerhaf­te Angaben bei der ursprünglichen An­tragstellung nachträglich zu korrigieren. Von dieser Möglichkeit sollten die Leis­tungsempfänger und deren Steuerbera­ter Gebrauch machen.

Grundlagen eines Unternehmensverbunds

Nach der zugrunde liegenden EU-Verord­nung sind solche Unternehmen als ver­bunden anzusehen, die zueinander in ei­ner der nachfolgenden Beziehungen ste­hen. Ein Unternehmen hält die Mehrheit der Stimmrechte (mehr als 50 Prozent) eines anderen Unternehmens oder ist berechtigt, die Mehrheit der Mitglieder des Leitungs-, Ver­waltungs- oder Aufsichtsgremiums eines anderen Unterneh­mens zu bestellen oder abzuberufen. Gleiches gilt für ein Un­ternehmen, das gemäß einem mit einem anderen Unterneh­men abgeschlossem Vertrag (unternehmensrechtlichen Ver­trag, wie etwa einem Beherrschungsvertrag) oder aufgrund einer Klausel in der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag berechtigt ist, einen beherrschenden Einfluss auf das andere Unternehmen auszuüben. Schließlich ist von einem Verbund auszugehen, wenn ein Unternehmen, das Aktionär oder Ge­sellschafter eines anderen Unternehmens ist, gemäß einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern des anderen Unternehmens getroffenen Vereinbarung die alleinige Kont­rolle über die Mehrheit der Stimmrechte von dessen Aktionä­ren oder Gesellschaftern ausübt. Unternehmen, die durch ein oder mehrere andere Unternehmen untereinander in einer der zuvor genannten Beziehungen stehen, gelten ebenfalls als verbunden. Unternehmen, die durch eine natürliche Per­son oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Per­sonen miteinander in einer dieser Beziehungen stehen, gel­ten gleichermaßen als verbundene Unternehmen, sofern die­se Betriebe ganz oder teilweise auf demselben Markt oder auf benachbarten Märkten tätig sind.

Entscheidungsgrundlagen der Verwaltung

Welche Normen und Leitlinien verwendet die Verwaltung für die Einordnung der Unternehmen als verbundene Un­ternehmen? Ausgangspunkt ist hier die Definition des EU-Beihilfenrechts in Anhang I Art. 3 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014. Die Defi­nitionen der EU-Verordnung werden durch diverse Ausle­gungshilfen der Europäischen Kommission konkretisiert. Zu nennen ist hier insbesondere der Benutzerleitfaden zur Definition von KMU der Europäischen Kommission vom 16. Februar 2017. Der KMU-Leitfaden richtet sich insbe­sondere an Mitarbeiter europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Stellen, die die verschiedenen Programme aus­arbeiten und verwalten und die Antrags­bearbeitung vornehmen. Der Leitfaden selbst hat keinerlei rechtliche Wirkung und ist für die Kommission in keiner Hinsicht bindend. Die Empfehlung 2003/361/EG der Kommission (veröf­fentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 124 vom 20.05. 2003, S. 36) ist die einzig verbindliche Grundlage bei der Bestimmung der Voraussetzungen für die Erfüllung der KMU-Kriterien. Auf nationaler Ebene wurden durch die Bun­desländer Vollzugshinweise bezie­hungsweise Förderrichtlinien erlassen. Die nationalen Richtlinien spiegeln dabei die Vorgaben und Bestimmun­gen aus der EU-Verordnung und des KMU-Leitfadens in­haltsgleich wider. Außerdem hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine Reihe von FAQ-Erläuterungen zu den wesentlichen Fragen und zur Handhabung des Bundesprogramms für Überbrückungshil­fen bereitgestellt.

Wann liegt kein Unternehmensverbund vor?

Jede Situation ist individuell. Die Bewilligungsstellen argu­mentieren meiner Erfahrung nach undifferenziert. Gegen grobe Verallgemeinerungen bei der Frage des Unterneh­mensverbunds sollten Leistungsempfänger den Ist-Zustand detailliert darlegen und eine juristische Einordnung vor­nehmen. Ich prüfe bei Fragestellungen dieser Art nach den Beteiligungsverhältnissen und etwaigen Vereinbarungen der Gesellschafter stets, ob eine sogenannte organisatori­sche Leitungsmacht bei einem der Unternehmen vorliegt. Auch anderen, in der Regel standardisiert vorgetragenen Argumenten für die Annahme eines Unternehmensver­bunds können Leistungsempfänger begegnen. Soweit Be­willigungsstellen etwa pauschal „familiäre Verbindungen“ aufführen, um den Unternehmensverbund zu fingieren, ist zwischen Kernfamilie und beispielsweise angeheirateten Verwandten zu differenzieren. Zudem muss berücksichtigt werden, ob die Anteilseigner des Leistungsempfängers etwa in einer Lebens- oder Erziehungsgemeinschaft leben und welche sonstigen wirtschaftlichen Verflechtungen be­stehen oder gerade nicht bestehen.

Benachbarter Markt

Oft ist die entscheidende Frage, ob die vermeintlich verbun­denen Unternehmen in einem benachbarten Markt tätig sind. Gerade in diesem Punkt kann eine juristische Stel­lungnahme wichtig werden. Hintergrund: Wird auf das ge­meinsame Handeln natürlicher Personen beziehungsweise einer Gruppe von Personen abgestellt, ist zusätzliche Vor­aussetzung für das Vorliegen eines Verbunds, dass die je­weiligen Unternehmen auf demselben oder benachbarten Märkten tätig sind. Der Begriff desselben oder benachbar­ten Markts ist besonders problematisch, da die EU-Verord­nung ihn nur an einer einzigen Stelle und ohne tiefergehen­de Erläuterung erwähnt: „Als ‚benachbarter Markt‘ gilt der Markt für eine Ware oder eine Dienstleistung, der dem be­treffenden Markt unmittelbar vor- oder nachgeschaltet ist.“ Der KMU-Leitfaden geht zum Begriff des benachbarten/re­levanten Markts wiederum deutlicher weiter. Die Erläute­rung im KMU-Leitfaden differenziert einleitend zwischen „benachbarten Märkten“ einerseits und „eng miteinander verbundenen benachbarten Märkten“ andererseits, ohne je­doch diese Unterscheidung aufzulösen und klarzustellen, welche Unterscheidung damit einhergeht. Seit der Über­brückungshilfe II beinhalten auch die FAQ des Bundes für die Bestimmung des benachbarten beziehungsweise des­selben Markts folgenden Zusatz: „Mehrere Unternehmen sind im Sinne der Überbrückungshilfe unter anderem im­mer dann in demselben oder in sachlich benachbarten Markt tätig, wenn sich ihre wirtschaftliche Tätigkeit ganz oder teilweise demselben Wirtschaftszweig gemäß der ers­ten drei Ziffern der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 zuordnen lässt (WZ 2008) (zum Beispiel 55.1: „Hotels, Gasthöfe und Pensionen“).“ Soweit ersichtlich, hält die Rechtsprechung ein Abstellen auf die Ziffern der Klassi­fikation der Wirtschaftszweige für zulässig, dies auch und vor allem unter dem Gesichtspunkt einer gleichmäßigen und willkürfreien Mittelverteilung. Art. 3 Abs. 1 Grundge­setz (GG) gebietet eine gleichmäßige Verwaltungspraxis. Eine nicht durch sachliche Unterschiede zu rechtfertigende Differenzierung ist unzulässig. Andererseits betont die Rechtsprechung die zweckorientierte Auslegung des Be­griffs benachbarter Markt und dass stets auf Umstände des Einzelfalls abzustellen ist. Betroffene Unternehmen können sich diese Ungenauigkeiten zunutze machen, indem sie ihre Situation genau analysieren und entsprechend bestimmt gegenüber den Bewilligungsstellen vortragen.

Darlegungslast und Stellungnahme

Fechtmaske und Florett

Schließlich ist auch die Darlegungslast für die Annahme des Unternehmensverbunds ein Argument, mit dem sich Leistungsempfänger auseinandersetzen sollten. Es besteht nämlich die Vermutung, dass kein beherrschender Einfluss ausgeübt wird, sofern sich die Beteiligten nicht direkt oder indirekt in die Verwaltung des betroffenen Unternehmens einmischen. Pauschale Vermutungen der Bewilligungsstel­len reichen nicht aus, um den Unternehmensverbund in Zweifelsfragen zu bejahen. Auch wenn die vorhandene Rechtsprechung erfahrungsgemäß keine Präzedenz für je­den Einzelfall schafft, geht aus ihr doch umso deutlicher hervor, dass nicht verallgemeinert werden darf. Meines Er­achtens ist aber genau das der Fall, wenn Bewilligungsstel­len auf pauschale Argumentationen abstellen. Gerade des­wegen kann eine fundierte juristische Stellungnahme wich­tig werden. Dies zeigen uns eine Vielzahl von Verfahren im Zusammenhang mit Corona-Wirtschaftshilfen in den letz­ten zwei Jahren.

Wie geht es weiter?

Die Schlussabrechnung der ersten Programme, also Über­brückungshilfe I bis III, November- und Dezemberhilfe, läuft seit dem 5. Mai 2022 und muss bis zum 31. Dezember 2022 erfolgen. Betroffene Unternehmen sollten nicht ab­warten, bis die Bewilligungsstelle von sich aus auf bis jetzt unbemerkte Sachverhalte aufmerksam wird, sondern sich proaktiv um eine juristische Absicherung kümmern, denn eines ist klar: Die Bewilligungsstellen werden versuchen, unberechtigte Auszahlungen zu korrigieren. Die Betrach­tung des Einzelfalls darf diesem im Grunde berechtigten Ziel jedoch nicht zum Opfer fallen.

Zum Autor

MD
Dr. Maximilian Degenhart

Rechtsanwalt und Compliance Officer, Partner bei DMR Legal in München.

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