Die Muster­fest­stel­lungs­klage - 16. Januar 2019

Verstärktes Recht

Mithilfe einer neuen Klageform wurde Ver­braucher­­ver­bänden ein ergänzendes Ins­tru­ment zur Verfügung gestellt, um bei Verstößen durch Unter­nehmen, die zu Schäden auf Ver­braucher­seite führen, ge­richt­lich vorgehen zu können.

Zum 1. November 2018 wurde die Musterfeststellungsklage eingeführt. Damit haben Verbraucher die Möglichkeit, ihr Recht zu verfolgen ohne das Kostenrisiko der eigenen Prozessführung. Dies hatte bislang dazu geführt, dass eine Vielzahl von Verbrauchern von der Durchsetzung ihrer Rechte abgesehen hatte. Wie die sogenannte Verbandsklage funktioniert, erläutert Rechtsanwältin Tatjana Halm, Referatsleiterin Recht bei der Verbraucherzentrale Bayern, im Interview.

Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Bertolt Brecht

DATEV magazin: Was bringt die Musterfeststellungsklage?

Tatjana Halm: Bislang waren die Möglichkeiten der Verbraucherverbände bei der kollektiven Rechtsdurchsetzung beschränkt. Verstöße gegen das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Wettbewerbsverstöße konnten grundsätzlich nur mit Unterlassungsbegehren verfolgt werden. Diese haben aber lediglich Wirkung für die Zukunft und verhelfen nicht zu einer Schadenkompensation aufseiten des Verbrauchers. Unrechtmäßig erlangte Gelder verbleiben somit bei dem Unternehmen. Mithilfe dieses Klageinstruments kann der klagende Verband bei der Schadenregulierung unterstützen, indem auf kollektivem Weg das Bestehen von Ansprüchen festgestellt werden kann, ohne dass dem einzelnen Verbraucher das Prozesskostenrisiko auferlegt werden muss. Insgesamt können gleich gelagerte Fälle somit prozessökonomischer entschieden werden.

In welchen Fällen kommt eine Musterfeststellungsklage überhaupt in Betracht?

Eine Klage kommt in den Fällen in Betracht, in denen eine Vielzahl von Verbrauchern wegen des gleichen Sachverhalts geschädigt sind. Hier kann grundsätzlich über den Anspruch dem Grunde nach entschieden werden.

Welche Vorteile bringt die Klage dem einzelnen Verbraucher?

Die Vorteile für den einzelnen Verbraucher sind zum einen, dass die Beteiligung sehr einfach ist. Er muss sich lediglich rechtzeitig registrieren und das weitere Verfahren abwarten. Er hat hinsichtlich des Feststellungsbegehrens kein Prozesskostenrisiko. Insgesamt verringert sich der Klageaufwand erheblich. ­Außerdem hat eine Eintragung in das Register für den Verbraucher den Vorteil, dass die Verjährung seiner Ansprüche gehemmt ist. Er kann somit das Ende des Musterfeststellungsverfahrens abwarten, ohne befürchten zu müssen, dass seine Ansprüche nicht mehr durchsetzbar sind. Und schlussendlich wird es ihm erleichtert, seinen Schaden auch tatsächlich durchzusetzen.

Welche Nachteile sind mit der Klage im Vergleich zu anderen Optionen verbunden?

Im Vergleich zu vorhandenen alternativen Optionen bestehen keine Nachteile. In einer Gesamtbetrachtung wäre es ­sicherlich von Vorteil, wenn auch die Leistungsziele und nicht nur die Feststellungsziele kollektivrechtlich verfolgt ­werden könnten, um somit vollständig pro­zessökonomisch agieren zu können. Dennoch ist es eine erhebliche Verbesserung, dass nun über den eine Vielzahl von Verbraucher betreffenden Sachverhalt grundsätzlich und einheitlich entschieden wird. Die einzige anderweitige Möglichkeit zur gesammelten Durchsetzung von Verbraucherinteressen ist die Abtretungsklage. Hierbei könnten alle betroffenen Verbraucher ihre Ansprüche beispielsweise an die Verbraucherzentrale abtreten. Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass dieses Vorgehen nicht praktikabel ist.

Die Klage ist nicht auf eine direkte Schadenregulierung aller betroffenen Verbraucher ausgerichtet.

Wie funktioniert eine Musterfeststellungsklage?

Hierbei klagt ein zugelassener Verbraucherverband gegen ein Unternehmen, um Ansprüche aus dem angegriffenen Sachverhalt dem Grunde nach feststellen zu lassen. Die Entscheidung des Gerichts ist bindend. Die betroffenen Verbraucher haben im Nachgang dieses feststellenden Urteils die Möglichkeit, sich unter Berufung darauf mit ihren tatsächlichen Ansprüchen an das Unternehmen zu wenden. Aufgrund dieses Verfahrens handelt es sich hier nicht um eine klassische Sammelklage. Parteien des Verfahrens sind lediglich der klagende Verband und das beklagte Unternehmen. Im Ergebnis wird ausschließlich über das Bestehen beziehungsweise das Nichtbestehen eines Anspruchs geurteilt. Die Klage ist nicht auf eine direkte Schadenregulierung aller betroffenen Verbraucher ausgerichtet.

Wer kann eine Musterfeststellungsklage erheben?

Die Musterfeststellungsklage kann nur von qualifizierten Einrichtungen geführt werden. Aus § 606 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) n. F. ergibt sich, welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Bei Verbraucherzentralen und anderen Verbraucherverbänden wird die Befugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO n. F. unwiderleglich vermutet.

Was soll das angerufene Gericht feststellen?

Der klagende Verband wird auffällige Sachverhalte genau prüfen und die Feststellung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise das Bestehen von Ansprüchen der Verbraucher begehren. Man wird hier aufgrund der Bedeutung der Verfahren für die Verbraucher nur aussichtsreiche Klagen erheben. Dennoch ist auch hier der Ausgang dem Gerichtsverfahren und der gerichtlichen Entscheidung vorbehalten.

Was muss ein Verbraucher tun, um von einer Musterfeststellungsklage zu profitieren?

Ist die Klage zulässig, wird sie in einem Klageregister beim Bundesamt für Justiz in Bonn öffentlich bekannt gemacht (www.bundesjustizamt.de | Themen | Bürgerdienste | Musterfeststellungsklageregister). In der Folge können sich Verbraucher, die ebenfalls von dem konkreten Sachverhalt betroffen sind, zwei Monate lang eintragen. Hierfür müssen vorgegebene Pflichtinformationen, insbesondere eine entsprechende Sachverhaltsschilderung, angegeben werden. Innerhalb der Frist müssen sich mindestens 50 Verbraucher in das Klageregister eingetragen haben, damit das Verfahren weiter durchgeführt wird.

Wie und wo kann sich der Verbraucher registrieren?

Die Eintragung in das Klageregister erfolgt gegenüber dem Bundesamt für Justiz. Sie ist für den Verbraucher kostenlos. Es werden Vorlagen zur Verfügung gestellt, mithilfe derer die Eintragung erfolgen kann.

Was ist mit betroffenen Verbrauchern, die in der Klage nicht vertreten werden?

Verbraucher, die von der konkreten Klage nicht betroffen sind, sollten auf eine Eintragung in das Register verzichten. Hier kommen die Vorteile nicht zum Tragen, das heißt, ein Urteil entfaltet keine Bindungswirkung und vor allem wird die Verjährung nicht gehemmt. Daher ist es sehr wichtig, den Sachverhalt genau zu prüfen. In diesen Fällen muss der Verbraucher wie bisher seinen Anspruch eigenständig verfolgen.

Kann man sich im Verlauf des Verfahrens auch wieder abmelden?

Die Anmeldung kann noch bis zum Tag der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden. Auch diese Erklärung ist gegenüber dem Bundesamt für Justiz abzugeben.

Braucht man einen Anwalt oder eine Rechtsschutzversicherung?

Die Beauftragung eines Rechtsanwalts ist für den Verbraucher nicht zwingend notwendig. Das eigentliche Verfahren verläuft zwischen klagendem Verband und beklagtem Unternehmen. Mit der Registrierung wird der Verbraucher nicht zur Partei des Verfahrens. Sie sichert ihm lediglich die Vorteile, also die Verjährungshemmung, die Bindungswirkung eines positiven Urteils oder die Teilnahme an einem möglicherweise geschlossenen Vergleich. Es steht dem Verbraucher allerdings frei, sich Rechtsrat einzuholen, etwa um die Betroffenheit abzuklären, also die Frage, ob der eigene Sachverhalt tatsächlich von der Klage erfasst wird. Hierbei sollte die Kostenübernahme durch eine Rechtsschutzversicherung auch geklärt werden.

Wie lange dauern die Verfahren voraussichtlich?

Die Dauer der Verfahren ist aufgrund fehlender Erfahrungen nicht absehbar. Zudem hat die unterlegene Partei noch die Möglichkeit, eine zweite Instanz anzurufen. Jedoch sind für eine Musterfeststellungsklage auch nur zwei Instanzen vorgesehen.

Wie endet das Verfahren?

Grundsätzlich ist vorgesehen, dass das Verfahren mit einem Feststellungsurteil, an das die Beteiligten gebunden sind, endet. Bei einem positiven Ausgang kann sich der Verbraucher auf Grundlage der Entscheidung an den Unternehmer wenden. Ihm steht dabei frei, auf welchem Weg er seine Ansprüche geltend machen will. Weigert sich der Unternehmer trotz des Urteils weiterhin, die Ansprüche zu erfüllen, kann der Verbraucher per Mahnbescheid, Klage oder im Wege der Schlichtung vorgehen. Im Einzelfall gibt es für jeden Weg Besonderheiten zu berücksichtigen. Beispielsweise können über einen Mahnbescheid nur Zahlungsansprüche geltend gemacht werden. Bei der Schlichtung ist zu beachten, dass der Unternehmer sich überhaupt daran beteiligt. Das bedeutet allerdings, dass der Verbraucher nicht automatisch Schadenersatzanspruch erhält. Er muss seinen konkreten Schaden selbstständig geltend machen, es sei denn, das Verfahren endet durch einen Vergleich.

Was bedeutet ein geschlossener Vergleich?

Im Rahmen des Klageverfahrens können die Parteien, also der klagende Verband und das beklagte Unternehmen, auch einen Vergleich über eine Schadenkompensation zugunsten des Verbrauchers schließen. Im Falle eines Vergleichs wird dieser allen Verbrauchern zugestellt, die im Klageregister eingetragen sind. Die Verbraucher können dann selbst entscheiden, ob sie den Vergleich annehmen oder ablehnen. Wird der Vergleich abgelehnt, muss der Verbraucher im Anschluss selbst gegen das beklagte Unternehmen vorgehen. Er kann sich dann aber nicht auf ein Urteil aus dem Musterfeststellungsverfahren berufen. Eine Entscheidung für die Annahme eines Vergleichs ist vor allem immer dann in Betracht zu ziehen, wenn das Verfahren besonders problematisch und der Ausgang dadurch schwieriger abzuschätzen ist oder wenn in der Folge des Verfahrens die konkreten Schadenhöhen schwierig zu beziffern sind.

Was passiert, wenn die Musterfeststellungsklage verloren wird?

Wird die Musterfeststellungsklage verloren, ist auch der angemeldete Verbraucher von dem Urteil betroffen. Die Bindungswirkung erstreckt sich also auf jeden registrierten Verbraucher. Das gilt nicht, wenn er sich rechtzeitig abgemeldet hat.

Welche Rolle spielen die Verbraucherzentralen?

Die Verbraucherzentralen haben sich intensiv für die Einführung der Musterfeststellungsklage eingesetzt. Ziel war es, den Verbrauchern die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Die Einführung der Musterfeststellungsklage ist hierfür ein guter Schritt. In der Praxis haben die Verbraucherzentralen nunmehr die Möglichkeit, auffällige Sachverhalte mit dieser Klage zu verfolgen.

Haben die Verbraucherverbände genug Schlagkraft, um ein Musterverfahren zu starten?

Am 1. November 2018 hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) bereits Klage gegen VW erhoben, um Fragen zur Dieselproblematik klären zu lassen. Entsprechende Mittel stehen dem vzbv zur Verfügung. Für eine Schlagkraft wurde somit gesorgt. Auch weitere Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände stehen bereits in den Startlöchern. Es ist daher davon auszugehen, dass nach und nach weitere Verfahren durchgeführt werden. Hierüber kann man sich ebenfalls auf den Seiten des Bundesamts für Justiz erkundigen.

UNSER GESPRÄCHSPARTNERIN

 
 
 
 
TATJANA HALM

Rechtsanwältin sowie Referatsleiterin Recht bei der Verbraucherzentrale Bayern

 
 
 

Fotos: akindo / Getty Images

Zum Autor

Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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