Berufsständische Versorgungswerke - 25. April 2024

Stärken und Schwächen

Bei der Altersvorsorge der Freien Berufe stellt sich die Frage, wie lukrativ die Leistungen im Rentenfall sind – verglichen mit anderen Versicherungsträgern. Zudem lohnt sich ein Blick auf die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekte.

Die biometrischen Risiken unterscheiden sich bei berufsständischen Versorgungswerken (bVW) erheblich von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht (gRV). So ist die Lebenserwartung der Freiberuflerinnen und Freiberufler in Deutschland höher als bei allen Einwohnern einer bestimmten Altersgruppe. Nach Erhebungen der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. (ABV) macht es unter den 60-Jährigen bei Frauen circa zwei Jahre und bei Männern drei Jahre aus (vgl. www.abv.de unter Daten und Fakten). Dem steht jedoch andererseits eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit der Invalidität gegenüber. Zusammen mit den unterschiedlichen Finanzierungssystemen bewirken die biometrischen Risiken, dass die aktuell durchschnittliche Altersrente der Mitglieder in bVW mit derzeit 2.175 Euro monatlich (vgl. ABV) um gut 80 Prozent höher ausfällt als die der gRV. Eine Studie aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass unter dem Gesichtspunkt der Höhe der jeweiligen Ruhestandsbezüge die Beamtenpension an erster Stelle steht, an zweiter Stelle folgen die Leistungen der bVW und an dritter Stelle kommt die gesetzliche Rente (vgl. Studie Vers GmbH: Versorgungswerke für Freiberufler unter Handlungsdruck, 2016). Der alleinige Fokus auf jene Durchschnittswerte führt jedoch zu einem verzerrten Bild, da aus den bVW wesentlich mehr ehemalige Selbstständige Leistungen beziehen als aus der gRV und diese aufgrund freiwilliger Zusatzbeiträge, im Vergleich zu Angestellten, auf ein deutlich höheres Beitragsniveau kommen. Bereinigt man den Vergleich um diesen Effekt, fällt der Vorsprung der bVW geringer aus. Andererseits bieten die bVW keine garantierten Renten. Die avisierte Altersrente vom jeweiligen bVW basiert auf bestimmten Annahmen zu Rechnungszins, Lebenserwartung der Mitglieder, Beitragshöhe, Kostenquoten oder Zugang von Neumitgliedern. Diese Faktoren sind im Gegensatz zu privaten Versicherungen und der betrieblichen Altersversorgung (bAV) nicht garantiert. Deshalb wird die konkrete Rentenhöhe erst bei Rentenbeginn festgelegt. Bei negativen Veränderungen werden die Renten gekürzt, was in der Vergangenheit bei der Zahnärzteversorgung Berlin und Niedersachsen jeweils drastische Realität wurde (vgl. Studie Vers GmbH: Versorgungswerke für Freiberufler unter Handlungsdruck, Abschnitt 9, 2016). Als öffentlich-rechtlichen Körperschaften droht den bVW zwar nicht die Insolvenz, da sie unter der Finanzaufsicht der jeweiligen Länder stehen. Eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Haftung gibt es aber nicht, wie bereits der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags klarstellte. Ungeklärt ist daher, wer im schlimmsten Fall einer Sanierung einspringt. Eine gesetzliche Insolvenzsicherung wie im Fall des Pensionssicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (PSVaG) bei der bAV und Protektor bei den Versicherern gibt es jedenfalls nicht.

Beiträge und deren Höhe

Die bVW erheben Pflichtbeiträge, wobei zwischen selbstständig Tätigen und Angestellten unterschieden wird; freiwillige Zusatzbeiträge sind möglich. Eine Mehrzahl der bVW hat den Pflichtbeitrag für Selbstständige am Höchstbeitrag der gRV orientiert (2024: 1.404,30 Euro monatlich in den alten Bundesländern), während andere Versorgungswerke ihren Beitrag als Prozentsatz vom Berufseinkommen – Umsatz minus Kosten – festlegen. Wieder andere bestimmen den Pflichtbeitrag in Höhe des durchschnittlichen Versorgungsbeitrags des vorletzten Geschäftsjahres. Bei allen bVW ist aber, auch wenn für Selbstständige der Regelbeitrag als Höchstbeitrag wie zur gRV bestimmt ist, eine einkommensbezogene Beitragsfestsetzung möglich. Auch hier orientieren sich die Versorgungswerke an den Gegebenheiten (Beitragsbemessungsgrenze/Beitragssatz) der gRV. Die meisten bVW ermöglichen freiwillige Zusatzbeiträge in einer Spanne von 30 bis 70 Prozent des Höchstbeitrags der gRV, manche Versorgungswerke hingegen lassen auf Basis des § 5 Abs. 1 Nr. 8 Körperschaftsteuergesetz (KStG) bis zu 100 Prozent zu. Angestellt tätige Mitglieder zahlen den Beitrag, den sie ohne die Befreiung an die gRV zu entrichten gehabt hätten. Auch sie können freiwillige Zusatzbeiträge leisten. Angestellte Mitglieder, die sich nicht von der Versicherungspflicht in der gRV haben befreien lassen, zahlen zusätzlich zum Beitrag in die gRV regelmäßig einen verpflichtenden Mindestbeitrag an ihr bVW in Höhe von einem bis fünf Zehntel des jeweiligen Höchstbeitrags der gRV.

Steuerliche Aspekte

Steuerrechtlich betrachtet gehören Beiträge und Leistungen aus berufsständischer Versorgung der sogenannten Schicht 1 an, der auch die gRV, die landwirtschaftliche Alterskasse und die private Basis- beziehungsweise Rürup-Rentenversicherung zuzurechnen sind. Im Gegensatz zur staatlich nicht geförderten Schicht 3, zu der unter anderem private Kapitallebensversicherungen und private Rentenversicherungen mit Kapitalwahlrecht gehören, wird die Schicht 1 nachgelagert besteuert. Die Beiträge bleiben dabei teilweise – je nach Jahr der Beitragszahlung – unversteuert, während die Leistungen teilweise – je nach Jahr des Rentenbeginns – steuerpflichtig sind. Langfristig kann der Versorgte auf diese Weise aus stundungsbedingten zins- und einkommensbedingten Progressionseffekten profitieren. Im Gegensatz zur bAV (Schicht 2) ist die Steuerfreiheit der an ein bVW gezahlten Beiträge nicht auf der Ebene der Einkünfteerzielung und damit bei Ermittlung der Summe der Einkünfte, etwa über § 3 Nr. 63 Einkommensteuergesetz (EStG), angelegt, sondern ergibt sich gemäß § 2 Abs. 4 EStG als Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte in Form von Sonderausgaben, speziell Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. In Verlustjahren gehen dadurch Teile der Vorsorgeaufwendungen – im Gegensatz zur bAV – aufgrund von § 10 d Abs. 1 S. 1 EStG für den steuerlichen Abzug verloren. Der auf diese Weise steuerlich abzugsfähige Teil des Beitrags stieg seit der Reform durch das Alterseinkünftegesetz von 60 Prozent im Jahr 2005 um jährlich zwei Prozentpunkte auf 94 Prozent im Jahr 2022 und beträgt durch die Reform des Jahressteuergesetzes (JStG) 2022 gemäß § 10 Abs. 3 S. 6 EStG seit 2023 100 Prozent. Die Jahreshöchstgrenze ermittelt sich gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 EStG aus dem Höchstbeitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung (2024: 27.566 Euro, bei Zusammenveranlagung 55.132 Euro). Sie wird von allen Versorgungsarten der Schicht 1 (gRV, landwirtschaftliche Alterskasse, private Basisrente und bVW) gemeinsam ausgeschöpft und bei Beamtenversorgungen sowie der bAV zugunsten von AG-Vorständen und beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführern zusätzlich gemäß § 10 Abs. 3 S. 3 EStG gekürzt. Bei berufsständischen Arbeitnehmern ist der auf diese Weise errechnete steuerfreie Beitrag gemäß § 10 Abs. 3 S. 5 EStG um den nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreien Arbeitgeberanteil zu kürzen. Das Ergebnis sind die gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen. Für die Rentenbesteuerung der gesamten Schicht 1 gilt das sogenannte Kohortenprinzip der Tabelle in § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa S. 3 EStG. Entscheidend ist damit für die gesamte Rentendauer der steuerpflichtige Prozentsatz des Jahres des Rentenbeginns. Rentenerhöhungen sind allerdings gemäß S. 5 jener Vorschrift grundsätzlich zu 100 Prozent steuerpflichtig, unabhängig vom Jahr des Rentenbeginns. Durch das am 17. November 2023 im Bundestag verabschiedete und am 24. November 2023 an den Vermittlungsausschuss verwiesene Wachstumschancengesetz soll die in jener Tabelle enthaltene Steigerung der Prozentsätze des Besteuerungsanteils der Renten aus Schicht 1 wie folgt modifiziert werden: Ab 2023 erfolgen die
Erhöhungen nur noch um jeweils 0,5 Prozentpunkte statt um einen Prozentpunkt und erreichen 100 Prozent daher erstmals im Jahr 2058 statt wie bisher 2040. Jene asymmetrische Kombination aus steuerlicher Ent- und Belastung gemäß den §§ 10 und 22 EStG auf Beitrags- und Leistungsseite kann bei einem Beitragsbeginn nach 2022 ebenso zu steuerlichen Vorteilen führen wie bei einem Rentenbeginn vor 2016. Vor Inkrafttreten des Wachstumschancengesetzes waren Doppelbesteuerungen bei anderen Konstellationen denkbar [vgl. Dommermuth, FR 2020, 385 ff. und 439 ff. (449)], die nun vermieden beziehungsweise reduziert werden.

Sozialabgaben

Aus der Perspektive der Sozialversicherung sind die Beiträge an ein bVW, anders als Zuwendungen an Einrichtungen der bAV gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 9 der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) beziehungsweise § 14 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IV, weder vom Arbeitsentgelt der berufsständischen Arbeitnehmer (§ 14 SGB IV) noch vom Arbeitseinkommen der selbstständig tätigen Berufsträger (§ 15 SGB IV) abzugsfähig und unterliegen damit der vollen Sozialversicherungspflicht. Die Leistungen aus dem bVW hingegen sind grundsätzlich nicht sozialversicherungspflichtig. Bezieht der Empfänger zusätzlich eine Rente aus der gRV und hat er die sogenannte Vorversicherungszeit in einer gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V), besteht Versicherungspflicht in der sogenannten Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 und Abs. 2 SGB V sowie der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI. In diesem Falle stellen die Leistungen aus dem bVW Versorgungsbezüge im Sinne von § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V dar, die bis zur Beitragsbemessungsgrenze in voller Höhe mit dem Beitrag zur gesetzlichen Kranken- und gemäß § 57 Abs. 1 SGB XI Pflegeversicherung belastet werden, wenn die Freigrenze des § 226 Abs. 2 S. 1 SGB V (2024: 176,75 Euro monatlich) von sämtlichen Einnahmen gemäß § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 SGB V, also inklusive der Leistungen aus bAV und aktiven Nebeneinkünften, überschritten wird. Der gleichhohe Freibetrag des § 226 Abs. 2 S. 2 SGB V wird nur auf Leistungen der bAV, nicht hingegen auf Leistungen aus bVW gewährt. Im Gegensatz zur Rente aus der gRV (halbe Tragung: § 249a S. 1 SGB V) tragen die Bezieher von Renten aus einem bVW die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 250 Abs. 1 SGB V und § 59 SGB XI allein, gleich, ob es sich um ehemalige berufsständische Arbeitnehmer oder Selbstständige handelt. Ist der Leistungsbezieher hingegen nicht versicherungspflichtig in der KVdR, kann er unter den Voraussetzungen des § 9 SGB V und des § 26 SGB XI freiwillig in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung eintreten. Auch hier trägt er den vollen Beitrag auf die bVW-Rente allein. Allerdings wird der Beitragsberechnung in diesem Falle gemäß § 240 SGB V und § 57 Abs. 4 SGB XI die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versorgungberechtigten zugrunde gelegt. Das können neben der bVW-Rente, der gesetzlichen Rente und anderen wiederkehrenden Leistungen alle übrigen Einnahmen bis zur Beitragsbemessungsgrenze sein, insbesondere solche aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung. Wer weder in der KVdR pflichtversichert noch freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist, zahlt Beiträge in entsprechende private Kranken- und gemäß § 23 SGB XI Pflegeversicherungsverträge. Diese sind von der Höhe der Renten- und anderweitigen Einnahmen unabhängig.

Auf die verfügbare Rente kommt es an

Bezieher von Renten aus einem bVW müssen sich daher rechtzeitig erkundigen und für die Planung ihres Lebensabends prognostizieren, welche Abzüge in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ihre vermeintlich hohen Bruttoeinnahmen schmälern. Nicht selten gibt es ansonsten unangenehme Überraschungen.

Zum Autor

TD
Prof. Dr. Thomas Dommermuth

Steuerberater und Professor für Steuerlehre an der Hochschule Amberg-Weiden mit dem Spezialgebiet Beratung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung; Beiratsvorsitzender des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung; Berater bei der Entstehung ­verschiedener Gesetzgebungsverfahren

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