gRV - 25. April 2024

Sorgenkind der Altersvorsorge

Die gesetzliche, umlagefinanzierte Rentenversicherung steht wegen des demografischen Wandels vor immensen Herausforderungen. Dennoch ist ihre Bedeutung als wichtigste Säule der Alterssicherung immer noch ungebrochen.

Wenn man in Deutschland an Altersversorgung denkt, steht in der Regel die gesetzliche Rentenversicherung (gRV) im Fokus. Denn 2022 waren 87,1 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland gesetzlich rentenversichert, der Großteil davon pflichtversichert (83,3 Prozent). Die gRV ist eine Pflichtversicherung für grundsätzlich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie verschiedene Selbstständige. Wer nach dem sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) nicht versicherungspflichtig ist, kann sich in der Regel freiwillig versichern. Neben Altersrenten sind in der gRV auch Renten bei Erwerbsminderung und Hinterbliebenenrenten vorgesehen. Zudem erbringt die gRV Leistungen der Rehabilitation und zahlt für technische Hilfsmittel, die es dem Versicherten ermöglichen sollen, dauerhaft arbeiten zu können. Schließlich leistet die gRV auch anteilige Beiträge zur Krankenversicherung – für gesetzlich und privat krankenversicherte Rentner. Die Höhe der Rente richtet sich im Wesentlichen nach der Anzahl der Beitragsjahre und nach der Höhe der in Abhängigkeit vom Einkommen gezahlten Versicherungsbeiträge (Äquivalenzprinzip). Auch bestimmte rentenrechtliche Zeiten, wie zum Beispiel Kindererziehungszeiten, erhöhen die Rente. Wenngleich die Rentner in der heutigen Zeit im Alter verschiedene Einnahmequellen haben, wie etwa Betriebsrenten oder aus privater Altersvorsorge, ist die gRV doch für die meisten älteren Menschen in Deutschland regelmäßig die wichtigste Einkommensquelle.

Herausforderungen

Abgesehen von einem Finanzpuffer, der sogenannten Nachhaltigkeitsrücklage, ist die gRV im Umlageverfahren finanziert. Dies bedeutet, dass die Leistungen der gRV aus den laufenden Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber sowie einem Bundeszuschuss aufgebracht werden. Wenngleich sich das Umlageverfahren in der Zeit der Wiedervereinigung und auch in der Finanzkrise bewährt hat, so gerät es ohne Reformen aufgrund der demografischen Entwicklung jedoch absehbar in Schwierigkeiten. Der sogenannte Generationenvertrag wird immer schwerer zu erfüllen sein, weil sich das Verhältnis von Erwerbstätigen und Rentnern nachteilig entwickelt. Gründe für das trotz Zuwanderung ungünstiger werdende Beitragszahler-Rentner-Verhältnis sind ein in Zukunft sinkendes Erwerbspersonenpotenzial, der Übergang geburtenstarker Jahrgänge in die Rente und eine gestiegene Rentenbezugsdauer. So lag 2022 die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei Männern bei 18,8 Jahren, bei Frauen bei 22,2 Jahren. Allein in den fünf Jahren seit 2017 stieg die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei Männern um fast ein Jahr und bei Frauen um 0,4 Jahre. Seit 1972 sind es sogar 8,3 Jahre bei Männern und 9 Jahre bei Frauen. Es stellt sich die Frage, wie die Finanzierbarkeit der Renten auch zukünftig gesichert werden kann.

Reformmaßnahmen

Experten rufen die Politik seit Jahren zu Reformen in der gRV auf. Die letzte große Reform zur Stabilisierung der gRV erfolgte zur Jahrtausendwende. Seither ist wenig in dieser Hinsicht geschehen. Der Handlungsdruck in den letzten Jahren war aufgrund der nahezu erreichten Vollbeschäftigung gering. Der Rentenversicherungsbericht 2023 sieht die gRV stabiler, als es noch vor einigen Jahren erwartet wurde. Allerdings liegen solchen Projektionen Annahmen zugrunde. Ob sich diese, wie etwa zur Bevölkerungsvorausberechnung oder zur Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt, bewahrheiten, wird die Zukunft zeigen. Ideen, um die gRV zukunftsfester zu machen, gibt es durchaus. Eine Anhebung der Regelaltersgrenzen wird zum Beispiel genannt, aber von der politisch anderen Seite als sozialer Kahlschlag abmoderiert. In den Niederlanden, auf deren Rentensystem gerne als vorbildlich verwiesen wird, atmet die Regelaltersgrenze mit der Lebenserwartung. Aktuell liegt sie bei 66 Jahren und zehn Monaten und steigt bis 2028 sukzessive auf 67 Jahre und drei Monate. Einem heute 25-jährigen Versicherten wird in den Niederlanden ein Rentenbeginn mit 70 avisiert. Wenn, wie es die gegenwärtige Regierung plant, die finale Linie von 48 Prozent für das Rentenniveau über das Jahr 2025 hinaus erhalten bleiben soll, benötigt das Rentensystem bei sonst gleichen Leistungsvoraussetzungen höhere Einnahmen. Diese könnten aus steigenden Beitragssätzen, höheren Bundeszuschüssen, der Ausdehnung der Beitragspflicht auf weitere Einkunftsarten oder auch aus einer Ausweitung des Versichertenkreises generiert werden. Oft wird die Aufnahme von Selbstständigen und Beamten in den Kreis der Pflichtversicherten vorgeschlagen. Dabei ist aber zu beachten, dass aus Beiträgen auch Leistungsansprüche resultieren. Beamte sind rentenversicherungstechnisch ein schlechtes Risiko, denn sie leben länger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Somit beziehen sie auch länger Ruhestandsbezüge. Die Lebenserwartung von Beamten liegt in Abhängigkeit von Geschlecht und Geburtsjahrgang um bis zu drei Jahre höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Insofern wären sie kein gutes Geschäft für die gRV. Ein weiterer Reformansatz wird in der Abflachung des Äquivalenzprinzips gesehen. Danach sollen ab einem bestimmten Einkommen – zum Beispiel der Beitragsbemessungsgrenze, die deutlich erhöht oder sogar abgeschafft werden könnte – zwar weiterhin Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen sein, dafür aber weniger oder gar keine Entgeltpunkte erworben werden. Begründet wird dieser Ansatz mit der längeren Lebenserwartung von Besserverdienenden. Weit fortgeschritten sind zudem die Pläne für ein sogenanntes (kreditfinanziertes) Generationenkapital. Dabei soll ein in Aktien investierter Kapitalstock, beginnend mit 12 Milliarden Euro, geschaffen werden, dessen Erträge künftig Beitragssatzsteigerungen vermeiden oder abmildern sollen. Bei diesem Konzept ist zu berücksichtigen, dass die Erträge aus der Kapitalanlage zum einen die Schuldzinsen decken und zum anderen perspektivisch auch eine Tilgung der Kredite gewährleisten müssen. Der Kapitalstock muss dafür eine erhebliche Größe haben. Heute bedürfte es rund 18 Milliarden Euro an jährlichen Erträgen, um eine Beitragssatzsteigerung von einem Prozentpunkt zu vermeiden. Es gibt eine Vielzahl von Ansatzpunkten und Vorschlägen, um die gRV zukunftsfester zu machen. Welche davon von der Politik aufgegriffen werden, wird sich zeigen. Generationengerecht wäre es, wenn dabei verstärkt auch die Interessen junger Menschen berücksichtigt werden. Denn steigende Beitragssätze und weiter anwachsende Bundeszuschüsse – die sich 2022 schon auf 109 Milliarden Euro beliefen – belasten (künftige) Arbeitnehmer, Unternehmen und den Standort Deutschland insgesamt.

Die gRV-Versorgung optimieren

Bei allen Herausforderungen, vor denen die gRV steht und denen die Politik begegnen muss, bietet die gRV jedoch auch Potenzial, die eigene Altersversorgung zu optimieren. Oft bedarf es dazu nur einer Kontenklärung. Im Rahmen einer Kontenklärung – die jedem Versicherten frühzeitig anzuraten ist – können zum Beispiel Lücken im Versicherungsverlauf geschlossen werden. So können etwa nachgemeldete Schul- oder Hochschulzeiten rentensteigernd wirken. Auch die Nachmeldung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung kann die Rente erhöhen. Für Minijobber kann sich eine Befassung mit der gRV ebenfalls lohnen. Viele Minijobber verzichten auf die Rentenversicherungspflicht, um ihren Beitragsanteil in Höhe von 3,6 Prozent (für gewerbliche Minijobs) zu sparen – der Arbeitgeber zahlt in jedem Fall seinen Anteil von 15 Prozent. Zwar sind die Entgeltpunkte, die in einem geringfügigen Arbeitsverhältnis erworben werden, tatsächlich nicht hoch. Doch mit einem rentenversicherungspflichtigen Minijob werden dem Versicherungskonto vollwertige Beitragszeiten gutgeschrieben. Diese sind wertvoll, weil sie für die Erfüllung aller rentenrechtlichen Wartezeiten zählen. So können durch einen Minijob beispielsweise ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente erworben oder aufrechterhalten werden oder die Wartezeiten für langjährig Versicherte erfüllt werden. Das Sozialversicherungsrecht ist komplex. Die Beratung durch einen Experten hilft, persönliches Optimierungspotenzial zu erkennen und zu heben.

Rendite und gRV – kein Widerspruch

Auch unter Renditegesichtspunkten ist die gRV einen Blick wert. Wer einen Anspruch auf eine lebenslange Rente erwerben oder ihn erhöhen möchte, bekommt derzeit kaum irgendwo mehr Leistung für sein Geld als bei der gRV. Das Preis-Leistungs-Verhältnis kann man am Verrentungsfaktor je 10.000 Euro Einmalbeitrag festmachen. In der gRV beträgt der Verrentungsfaktor derzeit rund 45 Euro je 10.000 Euro Einmalbeitrag und ist damit deutlich höher als bei kapitalgedeckten garantierten Leibrenten. Beiträge zur gRV sind – genau wie Beiträge zu einer privaten Basisrente – als Altersvorsorgeaufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2a Einkommensteuergesetz (EStG) in voller Höhe in den Grenzen von § 10 Abs. 3 EStG steuerlich absetzbar. Derartige Einmal- oder Sonderzahlungen können freiwillig Rentenversicherte grundsätzlich jederzeit und flexibel im Rahmen der gRV-Höchstbeiträge leisten. Der Beitrag Pflichtversicherter richtet sich hingegen allein nach dem Arbeitsentgelt. Es gibt für sie aber einen Kunstgriff, um Sonderzahlungen in die gRV leisten zu können: Nach § 187a SGB VI ist es möglich, ab Vollendung des 50. Lebensjahres Rentenminderungen wegen vorgezogener Altersrente durch Zahlung zusätzlicher Beiträge auszugleichen. Hierfür muss der Versicherte eine Rentenauskunft nach § 109 Abs. 5 S. 4 SGB VI anfordern, die den für ihn ermittelten maximalen Ausgleichsbetrag ausweist. Weder die Anforderung dieser Rentenauskunft noch die Zahlung der Ausgleichbeträge verpflichten den Versicherten, die Altersrente auch tatsächlich vorgezogen in Anspruch zu nehmen. Die zusätzlich erworbenen Entgeltpunkte bewirken dann eine erhöhte Altersrente. Bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres besteht zudem regelmäßig die Möglichkeit, Beiträge für Zeiten der Schul- oder Hochschulausbildung zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr nachzuzahlen – im Jahr 2024 könnten so bis zu 16.851 Euro aufgewendet werden, um die künftige Rente zu erhöhen.

Änderungsrisiko?

Wenngleich Reformen der gRV erforderlich sind und diese möglicherweise auch die Leistungsseite betreffen werden, so werden sie in erworbene Besitzstände kaum eingreifen können. Zudem sind bei Reformen erfahrungsgemäß meist lange Übergangszeiträume vorgesehen, in denen Änderungen sukzessive wirksam werden. Das politische Änderungsrisiko, sprich das Risiko, negativ von künftigen Rentenformen betroffen zu sein, dürfte demnach umso geringer sein, je näher ein Versorgungsberechtigter dem Rentenbeginn ist.

Fazit und Ausblick

Die umlagefinanzierte gRV steht insbesondere wegen der demografischen Entwicklung vor immensen Herausforderungen. Dennoch bleibt sie für den größten Teil der Bevölkerung die wichtigste Säule der Alterssicherung. Deshalb ist zu erwarten, aber auch zu fordern, dass die Politik Maßnahmen ergreift, um die gRV zukunftssicher zu machen. Für Versicherte bietet die gRV ein breites Leistungsspektrum und daneben auch Gestaltungsspielräume, um die persönliche Versorgungssituation zu optimieren. Diese sollten genutzt werden.

Zum Autor

MW
Marco Westermann

Senior Experte für bAV-Grundsatzfragen bei der HDI Pensionsmanagement AG in Köln sowie Referent auf diversen Fachtagungen im Themenbereich bAV

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