ZuFinG - 27. März 2024

Ein guter Ansatz

Ob die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien tatsächlich zu einem leichteren Kapitalmarktzugang von kleinen und mittleren Unternehmen führen wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt aber ist die Herabsetzung der Anforderungen an einen Börsengang zu begrüßen.

Am 15. Dezember 2023 ist das Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist es unter anderem, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Zu diesem Zweck wurden nicht nur die (regulatorischen) Anforderungen an einen Börsengang herabgesetzt, sondern auch Gründerinnen und Gründern durch die (Wieder-) Einführung von Mehrstimmrechtsaktien die Möglichkeit gegeben, weiterhin den Einfluss auf das Unternehmen zu bewahren und so ihre Expertise langfristig umfassend einbringen zu können.

Erleichterte Anforderungen an den Börsengang

Ein erleichterter Zugang zum Kapitalmarkt soll zunächst dadurch erreicht werden, dass für Börsennotierungen der Mindestbetrag der zuzulassenden Aktien von 1,25 Millionen auf 1 Million Euro reduziert wurde. Eine weitere Erleichterung stellt die Schaffung einer Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) dar, die sich an dem US-amerikanischen Vorbild der Special Purpose Acquisition Company (SPAC) orientiert. Hierbei handelt es sich um eine Mantelgesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft, die ausschließlich zu dem Zweck gegründet wird, durch einen Börsengang Kapital einzusammeln, das dann innerhalb eines begrenzten Zeitraums zum Erwerb einer bislang nicht börsennotierten Gesellschaft verwendet werden soll. Schließlich wird Unternehmen der Gang an die Börse dadurch erleichtert, dass der Emittent den Zulassungsantrag außerhalb von Teilbereichen des regulierten Markts allein stellen kann. Während bislang die Zulassung ausschließlich zusammen mit einem gesetzlich vorgesehenen Emissionsbegleiter, wie zum Beispiel einem Kredit-, Finanzdienstleistungs- oder Wertpapierinstitut, beantragt werden konnte, kann nunmehr die Börsenordnung vorsehen, dass die Zulassung außerhalb von Teilbereichen des regulierten Markts – also an der Frankfurter Wertpapierbörse nur für den General Standard – lediglich vom Emittenten zu beantragen ist.

(Wieder-)Einführung von Mehrstimmrechtsaktien

Im Übrigen wurde durch das ZuFinG die Mehrstimmrechtsaktie für die Aktiengesellschaft (AG) und die Europäische Aktiengesellschaft (SE) wieder eingeführt. Zuletzt war die Mehrstimmrechtsaktie im deutschen Aktienrecht unzulässig; Kapitaleinsatz und Stimmrechtsmacht in AG sollten proportional zueinander sein. Jede Aktie gewährte in der Hauptversammlung eine Stimme (One share, one vote). Die Stimmkraft bemaß sich bei Nennbetragsaktien nach dem Nennbetrag, bei Stückaktien nach der Zahl der gehaltenen Aktien. Nunmehr kann die Satzung Namensaktien mit Mehrstimmrechten vorsehen. Gründer sollen hierdurch die Möglichkeit erhalten, Eigenkapital aufzunehmen, ohne die strategische Kontrolle über das Unternehmen zu verlieren. Die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien kann bei Gründung der Gesellschaft oder später im Rahmen einer Kapitalerhöhung durch Schaffung einer weiteren Aktiengattung erfolgen. Maximal zulässig ist das Zehnfache des Stimmrechts je Aktie, also eins zu zehn. Ein Aktionär kann somit bereits mit Aktien in Höhe von 5,01 Prozent des Grundkapitals, sofern diese mit einem zehnfachen Stimmgewicht ausgestattet sind, die Mehrheit der Stimmrechte in der Hauptversammlung erlangen.

Beschränkungen

Eine Begrenzung des Anteils von Mehrstimmrechtsaktien am Grundkapital oder der Anzahl möglicher Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien gibt es zwar nicht. Die Wirkung von Mehrstimmrechtsaktien ist jedoch in einigen Fällen beschränkt. Sie sichern nur eine höhere Stimmanzahl, aber nicht das Zustandekommen einer Kapitalmehrheit ab. Bei Beschlüssen, die eine Kapitalmehrheit erfordern, wie etwa die Einberufung einer Hauptversammlung, Kapitalmaßnahmen oder die Zustimmung zu Unternehmensverträgen, vermitteln Mehrstimmrechtsaktien lediglich ein Vetorecht. Bei der Bestellung eines Abschluss- oder Sonderprüfers berechtigen Mehrstimmrechtsaktien nur zu einer Stimme.

Zeitliche Befristung

Mehrstimmrechte von Aktien börsennotierter Unternehmen oder von Unternehmen, deren Aktien in den Freiverkehr einbezogen werden, sind im Übrigen auch zeitlich befristet. Sie erlöschen grundsätzlich zehn Jahre nach Börsennotierung beziehungsweise nach Einbeziehung in den Freiverkehr und bei der Übertragung von Aktien. Diese Frist kann in der Satzung verkürzt oder einmalig um bis zu weitere zehn Jahre verlängert werden. Da der Beschluss über die Einführung der Mehrstimmrechtsaktie einstimmig gefasst werden muss, kann die Einführung in der Praxis lediglich bei der Unternehmensgründung und bei Gesellschaften mit geschlossenem Aktionärskreis beziehungsweise vor einem Börsengang erfolgen.

Bewertung

Ob die erleichterten (regulatorischen) Anforderungen und die (Wieder-)Einführung von Mehrstimmrechten in der Praxis tatsächlich zu mehr Börsengängen führen werden, bleibt abzuwarten. Die Herabsetzung der Mindestkapitalisierung dürfte bei der Entscheidung für einen Börsengang nicht ausschlaggebend sein. Weder Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 1 Million noch von 1,25 Millionen Euro sind für potenzielle Investoren grundsätzlich von gesteigertem Interesse. Durch die Verwendung einer BMAG ist einem bislang nicht börsennotierten Unternehmen zwar ein weniger aufwendiger Zugang zum Kapitalmarkt möglich, da der Börsengang selbst nicht durch die Gesellschaft direkt, sondern durch die Mantelgesellschaft erfolgt. Das wirtschaftliche Risiko der Anleger, tatsächlich ein Zielunternehmen zu finden und zu übernehmen, ist ferner begrenzt, da sie ihre Anteile an der BMAG jederzeit wieder über die Börse veräußern können. Gleichwohl wird sich zeigen, ob sich der Gang an die Börse mittels einer BMAG in Deutschland etablieren wird. Positiv zu bewerten ist im Übrigen, dass ein Emittent außerhalb von Teilbereichen des regulierten Markts den Zulassungsantrag allein und ohne einen Emissionsbegleiter stellen darf. Die damit einhergehende Kostenreduzierung dürfte als Argument für einen Börsengang in die Waagschale zu werfen sein.

Anreize für einen Börsengang

Auch mit der Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien werden grundsätzlich Anreize für einen Börsengang geschaffen. Gründer und strategische Ankerinvestoren können dadurch auch mit einer geringfügigen Kapitalbeteiligung ihren Einfluss auf das Unternehmen sichern. Mehrstimmrechtsaktien stellen daher eine valide Alternative zu stimmrechtslosen Vorzugsaktien dar.

Schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarung

Positiv zu bewerten ist ebenfalls, dass durch die satzungsmäßige Ausstattung von Aktien mit Mehrstimmrechten Gründer zur Sicherung ihres Einflusses bei Börsennotierungen künftig nicht mehr auf schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarungen und das damit einhergehende Risiko der Durchsetzbarkeit angewiesen sind. Bei der Entscheidung, ob ein Stimmbindungsvertrag dadurch entbehrlich wird, ist jedoch Vorsicht geboten, sofern der Stimmbindungsvertrag auch den Zweck hat, erbschaftsteuerliche Begünstigungen zu ermöglichen.

Übernahmen abwehren

Neben der Sicherung von Kontrolle hat die Verwendung von Mehrstimmrechtsaktien auch den Vorteil, Versuche von Übernahmen durch fremde Dritte oder Versuche der Einflussnahme durch (Groß-)Aktionäre abzuwehren. Dieser Vorteil wandelt sich aber in einen Nachteil, sofern Mehrstimmrechtsaktien auf potenzielle Investoren abschreckend wirken. Dies widerstrebt dann dem beabsichtigten Ziel, den Kapitalmarktzugang zu erleichtern, um hierüber weiteres Eigenkapital einzusammeln.

Erlöschen der Mehrstimmrechte

Abzuwarten bleibt, welche Auswirkungen das automatische Erlöschen der Mehrstimmrechte von Aktien börsennotierter Familienunternehmen oder von Familienunternehmen, deren Aktien in den Freiverkehr einbezogen sind, auf die Praxis hat. Mehrstimmrechte werden zunächst einerseits dazu genutzt, um dem Seniorgesellschafter den Einfluss zu sichern, wenn Aktien auf die nachfolgende Generation übertragen werden. Gleichzeitig erlöschen die Mehrstimmrechte im Fall seines Ablebens, was dem Ziel der langfristigen Einflusssicherung durch die nachfolgende Generation entgegensteht. Bei der Nachfolgeplanung sind daher auch alternative Modelle zur Sicherstellung von Einflussmöglichkeiten in Betracht zu ziehen.

Zur Autorin

CK
Charlotte Kulenkampff

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Partnerin bei Mazars in Deutschland am Standort Hamburg. Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die Beratung bei (grenzüberschreitenden) Umstrukturierungen, Kapitalmaßnahmen sowie in allgemeinen Fragen des Gesellschaftsrechts.

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