Fachkräfte gewinnen - 25. Mai 2023

Wir haben keinen Fachkräftemangel!

Angesichts der teilweise dramatischen Situation am Arbeitsmarkt würde wohl kaum jemand in einer deutschen Steuerberatungskanzlei dieser Aussage beipflichten. Dennoch wurde sie von Nico Schade, Inhaber der Kanzlei Steuerbord in Rostock, getroffen und er erklärt, warum er im viel beschworenen Fachkräftemangel eher eine Herausforderung sieht als ein Problem.

In der Kanzlei in Rostock jedenfalls machen sie einiges richtig. Das Kanzleipersonal kann dies ausdrücklich bestätigen, es fühlt sich wertgeschätzt, aufgehoben und bleibt. Im Team Steuerbord spielen 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zwei davon sind Steuerberater, eine Steuerberaterin. Die Kanzlei fokussiert sich auf drei Zielgruppen. Neben Hotellerie und Gastronomie, die im schönen Mecklenburg eine große Rolle spielten, sind das Gründer, die von den Universitäten aus ins Berufsleben starten, und all diejenigen, die sich mit Fragen zu Zöllen und Verbrauchssteuern in der Hafenstadt Rostock beschäftigen müssen. Grundsätzlich sieht Steuerberater Nico Schade zwei Entwicklungen im Berufsstand im Umgang mit dem Fachkräftemangel. Zum einen gibt es die, die resignieren und die riesigen Aufgaben in einer Neunzigstundenwoche selbst zu bewältigen versuchen. Dann sind da noch jene, die versuchen, neue Wege zu gehen, um Personal zu finden und zu binden. Unschwer, sich vorzustellen, welcher Gruppe Nico Schade sich zuordnen würde. Ob er den Fachkräftemangel denn nicht auch zu spüren bekomme? „Wir definieren Fachkräfte anders“, meint der Steuerberater. „Wenn ich die dreißigjährige Bilanzbuchhalterin mit Dreifachabschluss suche, die nie krank wird und keine Kinder bekommt, werde ich wohl nicht erfolgreich sein. Wir sagen: Jeder kann kochen.“ Damit meint er explizit keine völlig fachfremden Personen, aber durchaus solche, die in Banken oder Versicherungen ausgebildet wurden. Oder auch in der Gastronomie und Hotellerie. „Jemand, der in diesem Bereich gelernt hat, ist grundfreundlich und holt die Kunden ganz anders ab. Das strahlt wiederum auf die anderen Kollegen ab, die die fachliche Expertise im Steuerrecht mitbringen“, so Nico Schade. Die Buchhaltung könne man erlernen, genauso wie Steuerfachangestellte ihre Kundenorientierung verbessern können.
Aber auch Quereinsteiger wollen gefunden werden. „Wir suchen nicht anlassbezogen Steuerfachangestellte, sondern wir suchen immer“, erklärt Nico Schade das Vorgehen von Steuerbord. „Wir spielen alle drei Wochen eine neue Stellenanzeige aus, wir gehen auf Veranstaltungen, wir halten viele Vorträge, wir schreiben Blogartikel und wir sind auf Instagram mit Stories unterwegs.“ Über Instagram kommen dann auch die meisten Anfragen an die Kanzlei. Der Kanal, über den die Bewerbung läuft, ist dabei nicht das Entscheidende. Wichtig sei die Reaktionszeit. In Rostock versuchen sie innerhalb weniger Stunden, auf die Bewerbung zu reagieren. Das sei oft schon entscheidend gewesen. Dieses Vorgehen steht exemplarisch für eine neue Denkweise in den Führungsetagen einiger Kanzleien. „Schließlich bewerben wir uns bei denjenigen, die wir als Teamverstärkung haben wollen“, sagt Nico Schade.

Kulturwandel in den Kanzleien

Dem Fachkräftemangel wird man mittelfristig nicht mit mehr Fachkräften begegnen können, denn es gibt sie schlichtweg nicht am Markt. Sich dieser Tatsache mit etwas mehr Offenheit bei den Arbeitsbiografien und Ausbildungen bei neuem Personal zu stellen, kann ein Weg sein, ein anderer, die Atmosphäre in einer Kanzlei so zu gestalten, dass alle gerne bleiben. Bei Steuerbord wollen sie das durch absolute Transparenz bei Fragen der Gehälter oder der Strategie erreichen und den Mitarbeitern mehr Entscheidungsbefugnisse zugestehen.
Christin Schäfer, im Team Steuerbord in der Wirtschaftsberatung tätig, ist eine jener Fachkräfte, die überall händeringend gesucht werden. Sie fühlt sich in der Kanzlei gut aufgehoben: „Es ist viel Platz, in der eigenen Arbeit zu entscheiden, was man machen und wofür man sich Zeit nehmen möchte. Es gibt viel Raum, in dem man kreativ sein kann“, erklärt sie. Ihre Kollegin Marie Katins, bei Steuerbord mit dem Thema Steuern betraut, sieht in ihrem Job ebenfalls viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Ein Umstand, den die Chefetage auch einfordere. „Ich habe auch Steuerbüros kennengelernt, in denen hart nach Umsatz gearbeitet wurde. Da war sich jeder selbst am nächsten. Das haben wir hier nicht, hier arbeiten wir als Team“, so Marie Katins. Den beiden ist sehr wohl bewusst, dass sie sich in einer komfortablen Position befinden und sich keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen müssen. Dementsprechend selbstbewusst treten sie auf und sehen die Bedingungen, die ihnen bei Steuerbord geboten werden, als Standard, der eigentlich in allen Kanzleien herrschen müsste. Neben flexiblen Arbeitszeiten, Homeoffice, Raum für Weiterbildungen, Raum, um Neues auszuprobieren, Raum für eigene Themen gehört bei Steuerbord auch eine transparente Gehaltsstruktur mit flexiblen Funktionszulagen bei Extraaufgaben dazu. Alle kennen die Bedingungen und entscheiden auch gemeinsam darüber, wenn Gehälter angehoben werden sollen. Denn alle gemeinsam müssen das Geld verdienen. Außerdem gibt es bei Steuerbord den Haushaltstag. „Den können wir einmal im Monat nehmen“, so Marie Katins, „und man muss sich auch nicht dafür rechtfertigen, was man an diesem Tag macht.“ Unterm Strich sind das zwölf zusätzliche Urlaubstage im Jahr, die alle Mitarbeiter nehmen können und sollen, um ihre persönlichen Dinge zu erledigen oder auch um einfach mal auszuschlafen.

DATEV unterstützt Kanzleien

Diese Rahmenbedingungen kann nur die Kanzleileitung vorgeben. Dafür braucht es ein neues Mindset in den Führungsetagen der Kanzleien. Bei Steuerbord leben sie diesen Wechsel vor. Auch wenn sie sich dort nicht gerne sagen lassen, wie sie ihre Kanzlei vermarkten sollen, greifen sie gerne auf Unterstützungsangebote zurück. Auch auf die von DATEV. „Wir kennen die Angebote, die aus dem Consulting heraus ausstrahlen oder von Seminaren und Schulungen. Wir haben die Flatrate Lernvideos. Da gibt es Videos zu sozialen Medien, was ich sehr genossen habe, und mit der DATEV-Software sind wir ohnehin up to date“, meint Nico Schade. Die Genossenschaft hilft dem Berufsstand mit einer Reihe von Angeboten aus Fachliteratur, Seminaren und Beratungen, die bei der Fachkräftegewinnung aktiv und strategisch unterstützen. Mit der DATEV-Partnerschaft für Bildung unterstützt die Genossenschaft darüber hinaus mit Lehrmitteln bei der praxisnahen Unterrichtsgestaltung in der Ausbildung von Fachkräften. Als Bildungspartner dürfen Hochschulen, Berufsschulen und Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft DATEV-Software zu Unterrichtszwecken nutzen. Apropos Ausbildung: Viele Steuerberater kritisieren die Ausbildung von Fachkräften als nicht mehr zeitgemäß. Wie schätzt man die Situation bei Steuerbord ein? „Die ist absolut neben der Spur“, findet auch Nico Schade. „Die Leute sind keine Erfüllungsgehilfen des Steuerberaters. Was unsere Mitarbeiter so gut machen, nämlich mit Mandanten reden, sie abholen, empathisch sein, persönlich sein trotz Digitalisierung – das lernen sie nicht. Sie lernen immer noch an einem Gesetzeswürfel, wie hoch der Freibetrag im Jahr 2023 ist. Das interessiert keinen Menschen.“ Stattdessen müsse viel mehr Interaktivität, mehr Fallgestaltung eine Rolle spielen und das Lernen als eine Art Ausbildungsverbund organisiert werden, in dem sich die Mitarbeiter gegenseitig weiterhelfen können.

Mit Digitalisierung Fachkräfte gewinnen

Es geht bei diesem Thema auch immer darum, Entlastung zu schaffen, Entlastung etwa durch die konsequente Digitalisierung der Kernprozesse einer Kanzlei. „Für uns ist das normal“, sagt Nico Schade. „Es ist aber nicht normal, sonst hätten von den 20.000 DATEV-Kanzleien nicht nur 1.700 das Label Digitale DATEV-Kanzlei.“ Steuerbord hat das Label und wirbt auch damit um neue Fachkräfte. Es ist so eine Art Nachweis dafür, was einen attraktiven Arbeitgeber ausmacht. „Nämlich, nicht mehr ortsgebunden zu arbeiten.“ In das Büro in Rostock würden ohnehin nicht mehr alle auf einmal reinpassen. Dort praktizieren sie seit Langem schon Desksharing. Und am liebsten ist es Nico Schade ohnehin, wenn die Mitarbeiter vor Ort bei den Mandanten sind. „Wir müssen nicht mehr zentral sitzen, um miteinander zu kommunizieren und Projekte abzuarbeiten, das ist überhaupt nicht mehr notwendig“, so der Steuerberater. Klar, dass die Kanzleileitung mit dieser Denkweise bei jungen Fachkräften offene Türen einrennt. Christin Schäfer erzählt im Gespräch noch, womit Steuerbord mit seiner Bewerbung bei ihr gepunktet hat: „Ich wurde mal gefragt, warum ich überhaupt zu Steuerbord gekommen bin. Ich habe damals drei Bewerbungen geschrieben. Von Steuerbord habe ich tatsächlich nach zwei Stunden schon eine Antwort gehabt. Ich wurde sofort angerufen und eingeladen.“ Also war die Schnelligkeit entscheidend? „Auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt.“

MEHR DAZU

finden Sie unter www.datev.de/fachkraefte-gewinnen, www.datev.de/rock-deine-zukunft und www.datev.de/label-digitale-kanzlei
Fortbildungsprogramm „DATEV-Wissen für Kanzlei-Organisationsbeauftragte Präsenz & Online“, www.datev.de/shop/63033

Zum Autor

Dietmar Zeilinger

Redaktion DATEV magazin

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