Familienunternehmen - 28. April 2022

Doppelt betroffen

Die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer setzt familiengeführten Betrieben in wirtschaftlicher Hinsicht zuweilen mächtig zu. Dieser negative Effekt kann infolge der andauernden Corona-Pandemie sogar existenzgefährdende Ausmaße annehmen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie ringen nicht wenige Fa­milienunternehmen um Liquidität, Umsätze und Ertrag. Gerade die Inhaberinnen und Inhaber solcher familienge­führter Betriebe setzen eigene Vermögenswerte ein, um Kri­senzeiten zu überbrücken und das Unternehmen am Leben zu erhalten. Sie tun dies, obwohl die Unternehmenswerte in einer derartigen Situation sinken und die Zukunft des Fort­bestehens besonders ungewiss ist. Das ist gute Tradition – gerade im deutschen Mittelstand – und sichert das Überle­ben des Rückgrats der deutschen Wirtschaft seit Jahrzehn­ten, sogar seit Jahrhunderten. Während die Familienunternehmen also aus eige­ner Kraft den Übergang von Generation zu Generation gegen wirtschaftliche Einflüs­se von außen schützen können, stehen sie in Deutschland durch das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) gerade in Krisenzeiten vor einer zusätzlichen existenziellen Bedrohung, gegen die sie sich selbst nicht wehren können. Häufig ist die Kausalität sogar pervertiert: Je mehr Familienunternehmen mit eigenen finanziellen Mitteln gegen wirtschaftliche Missstände kämp­fen, umso stärker werden sie vom ErbStG bedroht.

Steuerrechtlicher Rahmen

Im ErbStG werden nicht nur Voraussetzungen an den Tatbe­stand der sachlichen Steuerbefreiung für Unternehmens­vermögen (Verschonungsabschlag) gestellt (§§ 13a, 13c, 28a ErbStG); es müssen zudem in einer Nachbehaltens­frist – die sich nach Art der Verschonung (Regel- oder Opti­onsverschonung) unterscheidet – Behaltensbedingungen eingehalten werden. Bei Verstoß gegen diese Behaltensbe­dingungen entfällt die einmal bei einer Schenkung oder im Erbfall gewährte Verschonung anteilig und rückwirkend. Im Krisenfall und bei Selbstrettungsmaßnahmen der Familien­unternehmer drohen derartige Verstöße.

Fallbeispiel

Ein derartiger Verstoß gegen Behaltensbedingungen soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden. E hat von seinem Großvater im Dezember 2019 ein Einzelunternehmen ge­schenkt bekommen. Das Verwaltungsvermögen im Sinne des ErbStG beträgt 25 Prozent. Im vierten Jahr nach der Übertragung veräußert E das Einzelunternehmen. Dem E steht ein Verschonungsabschlag in Höhe von 85 Prozent zu. 15 Prozent des begünstigten Vermögens und das Verwal­tungsvermögen sind zu versteuern. Mit der Veräußerung des Einzelunternehmens hat E gegen die Behaltensregelun­gen des § 13a Abs. 6 S. 1 Nr. 1 ErbStG verstoßen, was rück­wirkend zur Nachversteuerung führt. Da der Verstoß im vierten Jahr nach der Übertragung erfolgt, fällt der Verscho­nungsabschlag zu 20 Prozent weg beziehungsweise bleibt nur zu 80 Prozent erhalten. Statt einer Verschonung von 85 Prozent wird nur noch eine Verschonung von 68 Prozent gewährt. 32 Prozent des begünstigten Vermögens und das Verwaltungsvermögen sind zu versteuern.

Selbstrettungsmaßnahmen

Bei den Selbstrettungsmaßnahmen, die steuerlich proble­matisch sein können, sind zwei Szenarien zu unterscheiden. Zum einen die Auswir­kungen typischer familienunternehmeri­scher Selbstrettungsmaßnahmen auf be­reits vollzogene Übertragungen (Schen­kungen und Erbfälle), die in die vorange­hend dargestellte fünf- oder siebenjährige Nachbehaltensfrist der §§ 13a, 13c, 28a des ErbStG fallen. Zum anderen die Er­schwernisse für notwendige oder unge­plante lebzeitige oder todesfallbedingte Übertragungen in der Krisenzeit. Nach­folgend soll daher den benannten Wechselwirkungen typi­scher Selbstrettungsmaßnahmen von Familienunterneh­mern mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer auf den Grund gegangen werden. Es ist für den steuerlichen Berater wichtig, diese Wechselwirkungen zu kennen und die Nach­behaltensfrist zu überwachen, um auch bei kurzfristig zu entscheidenden Rettungsmaßnahmen die Abwägung mit den weiteren (steuerlichen) Konsequenzen der Entschei­dung zu ermöglichen.

Pandemiebedingte Veränderungen

Zunächst ist festzustellen, welche Veränderungen seit der Corona-Pandemie eingetreten sind, die sich auf die Erb­schaft- und Schenkungsteuer auswirken. Oft ist zu bemer­ken, dass Umsätze und Ertrag sinken, aber der Kapitalbe­darf steigt, um den höheren Aufwand aufgrund unterbro­chener Absatz- und Lieferketten zu decken. Wenigstens zeitweise sind Arbeitnehmer in Kurzarbeit, die Löhne wur­den reduziert oder die Mitarbeiterzahl musste sogar abge­baut werden. Der steuerliche Unternehmenswert ist mögli­cherweise gesunken, während Entnahmen in das Privatver­mögen zur Kompensation anderer privater Ausfälle genauso steigen können wie Einlagen aus dem Privatvermögen in das Unternehmen zur Kompensation fehlender unterneh­merischer Einnahmen. Auch Fremdfinanzierungsmaßnah­men sind denkbar. Nicht auszuschließen ist ferner, dass bei einer Pandemie wie der aktuellen ein Todesfall eintritt, be­vor Planungen zur Steueroptimierung gemacht und umge­setzt werden konnten. Schließlich sind Insolvenzen zu nen­nen, die in Krisenzeiten stets zunehmen.

Joint Venture und Wirtschaftsstabilisierungsfonds

Muss sich der Familienunternehmer dafür entscheiden, Tei­le seines Unternehmens etwa in einem Joint Venture auf ei­nen finanzstarken Investor oder Marktteilnehmer zu über­tragen, stellt dies grundsätzlich einen Verstoß gegen die ge­setzlichen Behaltensbedingungen dar. Das führt zur zeitan­teiligen Minderung der einmal gewährten Verschonung und löst damit erhebliche steuerliche Konsequenzen aus. Nichts anderes gilt, wenn der krisengeplagte Unternehmer dem Angebot der Bundesregierung folgte und die Beteiligung des Staats am Eigenkapital des Unternehmens über den neu geschaffenen Wirtschaftsstabilisierungsfonds Eigenkapital­maßnahmen zuließ.

Billigkeitsmaßnahmen greifen nicht

Auch wenn zu Unzeiten einzelne betriebsnotwendige Assets versilbert werden müssen, um Liquiditätsengpässe zu über­brücken, greift die eigentlich als Missbrauchsvermeidungs­vorschrift zu verstehende Rechtsfolge des Verstoßes gegen Behaltensbedingungen genauso wie bei der Betriebsaufga­be und einer Insolvenz. Warum diese Maßnahmen ergriffen werden müssen, selbst wenn sie nicht aus Missbrauchs­gründen erfolgen, ist unerheblich. Das hat der Bundesfi­nanzhof (BFH) jüngst mehrfach bestätigt. Nicht einmal Bil­ligkeitsmaßnahmen im Falle einer Insolvenz sollen greifen.

Ausreichende Beteiligung oder Poolvereinbarung

Ist die Übertragung noch nicht erfolgt, aber geplant oder zu befürchten, muss der Familienunternehmer einer Kapital­gesellschaft mit Blick auf eine gerade in Krisenzeiten unge­plant denkbare künftige Übertragung darauf achten, dass er noch zu mehr als 25 Prozent beteiligt ist, wenn er Anteile abgibt, oder für eine Poolvereinbarung sorgen, die diese Mindestbeteiligung fingiert.

Rückgang der Löhne und Abbau von Mitarbeitern

Befinden wir uns in einer vollzogenen unentgeltlichen Über­tragung mit laufender Behaltefrist, wirkt sich ein Rückgang der Löhne sowie der Abbau von Mitarbeitern dramatisch aus. Abhängig von der Anzahl der Mitarbeiter und der Ver­schonungsmethode muss die Lohnsumme, die im Zeitpunkt der unentgeltlichen Übertragung ermittelt wurde (Aus­gangslohnsumme), über die Behaltefrist von fünf oder sie­ben Jahren im Wesentlichen beibehalten werden. Wurde beispielsweise die Optionsverschonung gewählt und hat das Unternehmen mehr als 15 Mitarbeiter, müssen nach sieben Jahren 700 Prozent der Ausgangslohnsumme er­reicht werden. Gelingt das nicht, kommt es zur anteiligen Nachversteuerung. Diese Nachsteuer kann gravierend sein. Dabei ist zu bedenken, dass sowohl der schenkende als auch der beschenkte Unternehmer möglicherweise nicht mehr alleinige Entscheider des Unternehmens sind, also den Abbau von Mitarbeitern und den Rückgang von Löhnen nicht aufhalten können. Einzig bei diesem Verstoß, der im Abbau von Mitarbeitern oder in einer Lohnreduktion liegt, soll nach einem jüngeren Schreiben des Bundesfinanzmi­nisteriums (BMF-Schreiben) die Möglichkeit bestehen, von der Nachsteuer abzusehen. Möglicherweise liegt in diesem BMF-Schreiben der Lichtblick für eine künftig angepasstere Handhabung der Nachsteuertatbestände in Krisenzeiten.

Fazit

Wirken sich die vorangehend benannten Rettungsmaßnah­men tatsächlich steuerschädlich aus, ist zu prüfen, ob ande­re Maßnahmen möglich sind. Zu denken ist an die Veräuße­rung von Assets auf tiefer liegenden Ebenen eines Unter­nehmens, die möglicherweise nicht zum Verstoß gegen die Behaltensbedingungen führen. Der Beitrag „Schädliche Fi­nanzspritzen“ zeigt weitere Handlungsempfehlungen auf.

MEHR DAZU

Kompaktwissen für Berater: „Unternehmertestamente richtig gestalten“, 4. Auflage

Zum Autor

IC
Dr. Iring Christopeit, LL. M.

Rechtsanwalt, Steuerberater sowie Fachanwalt für ­Erb- und für Steuerrecht, zertif. Berater für ­Unternehmensnachfolge und zertif. Testamentsvollstrecker; Partner bei Peters, Schönberger & Partner, München; Spezialist für Vermögens- und Unternehmens­nachfolgen.

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