Strategie - 22. Dezember 2022

Die Chance liegt im Prozess

Digitalisierung geht nicht allein und vor allem auch nicht von allein. Im Interview erläutern CMO Prof. Dr. Peter Krug und CTO Prof. Dr. Christian Bär, wie DATEV die Mitglieder und Kunden durch den digitalen Wandel begleitet und bei den aktuellen Herausforderungen unterstützt. Dabei geht es in erster Linie um Prozesse.

DATEV magazin: Wir befinden uns mitten im Jahres­wechsel und damit am Ende des dritten über die Maßen herausfordernden Jahres für den Berufsstand. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass dem Berufsstand nach abgeschlossenem Jahreswechsel kein viertes übermäßig belastendes Arbeitsjahr bevorsteht?

PROF. DR. PETER KRUG: Ich würde keine falschen Hoffnun­gen wecken, 2023 bleibt anspruchsvoll. Die Mandanten un­serer Mitglieder werden die Folgen dessen spüren, was wir gerade erleben: Konjunkturpaket, Entlastungspaket, neue Gesetzesänderungen. Daher werden diese mehr denn je ih­ren Berater brauchen. Das heißt, nie war Beratung so wichtig und wertvoll wie heute.

Für Kanzleien sind vor allem Kanzleipro­zesse ein brennendes Thema. Wie unterstützen wir unsere Genossen hierbei?

PROF. DR. PETER KRUG: Durch unsere Produkte lassen sich die Leistungen des normalen Alltagsgeschäfts effizienter ge­stalten, was unseren Mitgliedern Frei­raum für Beratung schafft. Allerdings müssen wir uns intensiver damit be­schäftigen, wie der Anwender die Pro­dukte auch so einsetzt, dass diese die Kanzleiprozesse optimal unterstützen.

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Wir müs­sen unsere Mitglieder davon überzeu­gen, die Möglichkeiten, die wir heute schon haben, deutlich konsequenter zu nutzen. Es gibt beispielsweise immer noch Tausende Kanzleien, die Unternehmen online in der Zusammenarbeit mit ihren Mandanten nicht einsetzen. Und jetzt ist Unter­nehmen online seit 2006 am Markt, also beileibe kein neues Cloud-Produkt. Das Gleiche gilt für Arbeitnehmer online.

Und wie schaffen wir es, dass unsere Mitglieder ihre Prozesse überdenken?

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Wir haben beispielsweise den Effizienzcheck neu aufgelegt. Er zeigt der Kanzlei auf, wo sie mit ihren digitalen Prozessen steht und was sie noch op­timieren kann. Es geht darum, die Möglichkeit der Optimie­rung mit dem Kunden zusammen zu erarbeiten.

PROF. DR. PETER KRUG: Oder nehmen wir die Mandanten­analyse. Dieses Tool analysiert den Digitalisierungsgrad jedes einzelnen Mandanten und gibt Hinweise auf Optimierungspotenziale in Lohn, Rechnungswesen und Steuern. Zielsetzung jeder Kanzlei sollte sein, standardisierte Prozesse zu etablieren. Da­für haben wir Beratungsangebote. Denn ein­heitliche Prozesse sind das effizienteste Mit­tel. Um das Beratungsangebot zu ergänzen, bieten wir seit Kurzem auch Schnittstellen­beratung an. Dabei wird gemeinsam mit ei­nem DATEV-Berater strukturiert die Nut­zung von Schnittstellen in der Kanzlei ge­plant, um Arbeitsprozesse zu optimieren.

Eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre für Kanzleien wird sein, ihre Mandan­ten auf dem Weg in die Digitalisierung zu unterstützen. Warum kommt es unseren Mitgliedern in diesem Zusammenhang zugute, dass mittlerweile mehr als 500.000 Kunden DATEV-Lösungen für Unternehmen einsetzen?

PROF. DR. PETER KRUG: Dieses hohe Wachstum im Un­ternehmensmarkt ist auch darauf zurückzuführen, dass wir schon vor Jahren damit begonnen haben, in Prozessen zu denken. Zwei Aspekte haben das Ganze verstärkt: zum einen der Digitalisierungs­schub durch Corona, zum anderen die engere Zusammenarbeit zwischen Steuerberater und Mandant in den vergangenen Jahren, eben­falls bedingt durch Corona. Beispiele hierfür sind Fragen zur Liquidität oder zu den Coro­na-Hilfen.

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Den Kanzleien kommt der Kundenzuwachs bei DATEV in­sofern zugute, als dass wir bei den Lösun­gen für Unternehmen den Kollaborationsge­danken in den Mittelpunkt stellen. Die Kanzlei kann online auf die Daten des Mandanten zugreifen, der Mandant sieht den jeweiligen Bearbeitungsstand und dar­aus lassen sich dann wiederum Beratungsanlässe ableiten.

Was wäre beispielsweise solch ein Beratungsanlass?

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Viele der Beratungsmöglich­keiten existieren nur dadurch, dass nicht erst sechs Wo­chen später die Daten zur Verfügung stehen und gebucht werden, sondern zeitnah. Wir arbeiten derzeit daran, Boni­tätsauskünfte zielgerichtet in bestehende DATEV-Produkte einzubinden. Das heißt, wir wollen innerhalb des DATEV Mehrwert-Angebots unseren Mitgliedern kostenlos ein Instrument an die Hand ge­ben, um Interessenten besser einschät­zen oder bestehende Mandate zu ihrer Zahlungs- und Kreditfähigkeit beraten zu können. Und das jederzeit und nicht erst mit dem Jahresabschluss, wenn die Un­ternehmensdaten ausgewertet sind.

Mehr Kunden heißt automatisch mehr Serviceaufkommen. Deshalb setzt DATEV verstärkt auf Selbsthilfemedien, die für viele Mitglieder noch sehr gewöhnungsbedürftig sind und teilweise kritisiert werden. Verliert DATEV dadurch die Nähe zu ihren Mitgliedern?

PROF. DR. PETER KRUG: Ganz im Gegenteil. Nein. Sicher mussten sich unsere Anwender erst an das DATEV-Hilfe-Center oder die DATEV-Community gewöhnen. Aber mitt­lerweile werden diese Angebote ebenso wie auch unsere Click-Tutorials oder Chatbots sehr gut angenommen. Denn sie sind die besten Mittel der Hilfe zur Selbsthilfe bezie­hungsweise Kollegenhilfe untereinander. Gefühlt hatten wir die letzten zwei Jahre fast dauernd Jahreswechsel. Trotz­dem haben wir überall Erreichbarkeiten von über 50 Pro­zent. Das wäre ohne die Selbsthilfemedien nicht denkbar gewesen. Wir können aber nur besser werden mit unseren Selbsthilfemedien, wenn wir entsprechendes Feedback er­halten. Deswegen meine Bitte und Empfehlung an alle An­wender, die Feedback-Möglichkeiten in den Selbsthilfeme­dien zu nutzen.

Die Portfolioentwicklung bringt über einen längeren Zeitraum hybrides Arbeiten mit On-Premises- und Cloud-Lösungen mit sich. Was bedeutet diese Phase für unsere Mitglieder und Kunden?

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Hier schicke ich gleich einmal zwei klare Botschaften vorweg: Zum einen ist hybrid nicht das Ziel. Das Ziel ist die Cloud. Wir können und wollen nicht alle Programme an einem Stichtag umstellen, dieser Big Bang wäre keine sinnvolle Alternative. Wir gestalten die Hy­bridphase so kurz wie möglich, aber so lange wie nötig, um einen vernünftigen Übergang für unsere Mitglieder und Kunden zu gewährleisten. Zum anderen brauchen wir Part­ner auf diesem Weg, weil diese Aufgabe extrem herausfor­dernd ist. Das kann alleine gar nicht bewältigt werden.

PROF. DR. PETER KRUG: Übrigens ist hybrides Arbeiten bei DATEV nichts Neues. Ein Beispiel für eine bereits langjähri­ge hybride Welt ist der Finanzbuchhaltungsprozess. Die Da­ten werden in Unternehmen online erfasst. Werden die Da­ten verarbeitet, ist der Anwender im Rechnungswesen in der On-Premises-Welt. Und das merkt der Anwender gar nicht. Das muss uns auch über den Zeitraum des hybriden Arbeitens hinweg gelingen.

Portfolio wird immer gleichgesetzt mit Produkten. Mitgliedern sind aber ebenso Prozesse wichtig. Inwieweit trägt DATEV dieser Anforderung bei der Portfolioentwicklung Rechnung?

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Ich stelle hier mal einen Vergleich an. Nehmen wir das iPhone. Auf dem iPhone sind Apps, die lokal installiert sind, und Apps, die nur über das Internet arbeiten. Als An­wender ist mir das egal, denn ich will eine Lösung, also einen runden Prozess. Und ob der online ist oder On-Premises, also vor Ort installiert, interessiert mich nicht. Und so ist es auch bei der Portfolioentwicklung. Ich glaube, die Herausforderung ist, den Prozess so zu gestal­ten, dass die Auswirkungen für die Anwender möglichst klein sind. Das heißt, wir dürfen nicht willkürlich Produkte von On-Premises auf online umstellen. Vielmehr müssen wir uns Modul für Modul ansehen und von Prozess zu Pro­zess vorgehen.

PROF. DR. PETER KRUG: Letztendlich ist es die Kombinati­on der Produkte, die wir heute On-Premises haben, ergänzt um Micro-Services, die schon online waren. So wächst nach und nach der Anteil der Online-Elemente und der Part der PC- und On-Premises-Elemente wird weniger.

Einer der Gründe für die Portfolioentwicklung liegt in der Microsoft-Strategie. Können Sie diese Strategie und deren Auswirkungen auf DATEV und unsere Kunden erläutern?

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Microsoft hat klar das Ziel der Azure-Cloud ausgelobt. Viele unserer Lösungen beruhen heute schon auf Microsoft-Komponenten. Künftig werden wir verstärkt auf die Microsoft-Cloud aufsetzen müssen. Das bedeutet, dass auch unsere Lösungen Cloud-fähig sein müssen. Zudem müssen sich unsere Mitglieder und Kunden auf den Technologiewechsel einstellen. Tangieren wird es zum Beispiel diejenigen, die sich heute selbst einen WTS-Server in die Kanzlei gestellt haben. Für diese Kunden ar­beiten wir an einer Lösung, die sie möglichst wenig belas­tet. Eines ist aber heute schon ersichtlich: Es wird technisch eher komplexer als einfacher und damit wahrscheinlich keine Lösung, die eine kleine Kanzlei allein betreiben kann. Aber genau dafür gibt es DATEV als Genossen­schaft.

Von der Portfolioentwicklung zur Portfoliobereini­gung: Was heißt das und nach welchen Kriterien wird dabei entschieden?

PROF. DR. PETER KRUG: Mithilfe unserer Programm­statistik können wir das tatsächliche Nutzerverhalten beobachten. Das ist schon einmal der erste wichtige In­dikator für eine Bereinigung. Und dann stellen sich die Fragen, welche Prozesse morgen eigentlich noch rele­vant sind und welche Produkte wir für die Prozesse von morgen brauchen.

PROF. DR. CHRISTIAN BÄR: Nehmen wir einmal die Rechnungserstellung als Beispiel. Wir haben heute drei verschiedene Produkte, mit denen Verkaufsbelege erstellt werden können. Aber muss ich tatsächlich mit drei Lösungen in die Online-Welt oder langen auch zwei oder nur eine?

Wie unterstützt DATEV den Berufsstand konkret bei den aktuellen Herausforderungen wie dem zuneh­menden Beratungsbedarf der Mandanten sowie Nachholeffekten bei der Digitalisierung 2023, die in den vergangenen zwei, drei Jahren aufgrund der Arbeitslast etwas auf der Strecke blieben?

PROF. DR. PETER KRUG: Ein Feature, das wir im ers­ten Quartal 2023 auf den Markt bringen werden, ist MyDATEV Nachrichten classic, das ich gerne als Steu­erberater-WhatsApp bezeichne und das ganz neue Möglichkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Kanz­lei und Mandant eröffnet. So kann der Berater sehr schnell in einem ersten Schritt aus dem Bilanzbericht beziehungsweise der Abschlussprüfung heraus Anfra­gen an Mandanten stellen, um Informationen oder Do­kumente auszutauschen, die für die Leistungserstel­lung erforderlich sind. Perspektivisch werden weitere Themen wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbe­scheinigung und eine mehrstufige Belegfreigabe Effizi­enzsteigerungen und Prozessverbesserungen bringen.

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Zu den Autoren

TG
Thomas Günther

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Birgit Schnee

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