Online-Petitionen werden immer beliebter und sind ein gutes Beispiel für die digitale Beteiligung an politischen Prozessen. Zu diesem Thema habe ich ein Interview mit Kersten Steinke, der Vorsitzenden des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestags geführt …

DATEV Blog: Lassen Sie uns mit einigen Zahlen beginnen: Wie viele Petitionen werden pro Jahr online eingereicht, wie viele Nutzer bewegen sich auf der E-Petitionen-Plattform des Bundestags? Und welchen Anteil nehmen die Online-Petitionen im Vergleich zu den „herkömmlich“ eingereichten Petitionen ein?

Kersten Steinke: Im Jahr 2011 wurden 5.112 Petitionen online über unser Internetportal eingereicht. Dies ist gut ein Drittel aller eingegangenen Petitionen – und die Tendenz steigt, jedes Jahr werden es mehr. Dabei werden Zwei Drittel der Online-Petitionen mit der Bitte um Veröffentlichung eingereicht. Im Falle einer Veröffentlichung können diese dann auf unserem Internetportal von registrierten Nutzern unterstützt, also mitgezeichnet und/oder diskutiert werden. Bezogen auf das Berichtsjahr 2011 gingen etwa 66.000 Diskussionsbeiträge ein. Die Anzahl der Besucher schwankt und hängt natürlich auch von den Themen der veröffentlichten Petitionen ab. Allerdings machen die Besucherzahlen des Petitionsportals gut die Hälfte des gesamten Internetangebots des Deutschen Bundestages aus.

DATEV Blog: Wie viele Online-Petitionen haben bislang die nötige Schwelle von 50.000 Unterzeichnern geschafft?

Kersten Steinke: 19 Petitionen haben das so genannte Quorum erreicht, um öffentlich beraten werden zu können.

DATEV Blog: Lassen Sie uns zur Bedeutung einer solchen Online-Plattform kommen: Was ist aus Ihrer Sicht der Vorteil von E-Petitionen im Vergleich zu herkömmlichen Petitionen?

Kersten Steinke: Für uns als Ausschuss aber auch als Petent/in ist es im Petitionsverfahren zunächst unerheblich, ob jemand seine Petition schriftlich oder online einreicht, denn jede Petition – ob veröffentlicht oder nicht – wird parlamentarisch geprüft. Auch macht es dabei keinen Unterschied, ob nur ein Dutzend oder hunderttausende Bürgerinnen und Bürger ein im Internet veröffentlichtes Anliegen unterstützen. Allerdings ist einer Petition mit vielen Unterstützern eine mediale Aufmerksamkeit sicher und auch eine eventuelle öffentliche Beratung rückt das Anliegen ins öffentliche Interesse. Petitionen im Internet zu veröffentlichen und online zu unterstützen, erlauben es den Bürgerinnen und Bürgern, sich zusammen zu tun und sich gemeinsam für ein Anliegen stark zu machen. Ich glaube, dass dieser Aspekt dazu beitragen kann, das Problem einer verbreiteten Politikverdrossenheit einzudämmen.

LiquidFeedback ist etwas ganz anderes …

DATEV Blog: Das LiquidFeedback der Piraten gibt es als „interaktive Demokratieform“ seit 2009, Online-Petitionen dagegen schon seit 2005. Würden Sie sagen, dass Sie ihrer Zeit damit ein bisschen voraus waren, was die Digitalisierung von demokratischen Prozessen angeht?

Kersten Steinke: Auch wenn es auf den ersten Blick Parallelen zwischen Online-Petitionen und dem Liquid-Feedback zu geben scheint, so sind das doch grundverschiedene Dinge: Auf unserem Online-Portal geben die Petenten die Themen vor, auf dem Piraten-Portal können vorgegebene Themen einer Partei diskutiert und abgestimmt werden. Hier dient ein Portal vorwiegend der Meinungsbildung, hingegen kann auf unserem Portal einer festen Meinung zu einem bundespolitischen Thema nur zugestimmt werden oder man unterzeichnet nicht. In unserem Diskussionsforum können zwar Meinungen, Für und Wider unabhängig von Entscheidungshierarchien oder Wissensunterschieden diskutiert und für den Petitionsausschuss ausgewertet werden, jedoch beeinflusst es weder die Stimmenzahl einer Petition noch das Petitionsverfahren. Darüber hinaus ist zu betonen, dass auch eine veröffentlichte Online-Petition eine Petition ist und damit ein vom Grundgesetz garantiertes Recht für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich mit ihren Sorgen und Nöten direkt an das Parlament wenden oder Bitten zur Gesetzgebung einreichen können.

DATEV Blog: Würden Sie Stand heute die E-Petitionen als erfolgreiches Beispiel für die Digitalisierung politischer Prozesse sehen? Ist das gar ein Musterbeispiel für eGovernment?

Kersten Steinke: Wir werden auch mit der E-Petition nichts an den vorhandenen Strukturen im Deutschen Bundestag, im Petitionsausschuss oder am Petitionsverfahren ändern, allerdings eröffnen insbesondere die veröffentlichten E-Petitionen den Bürgerinnen und Bürgern neue Möglichkeiten der Beteiligung am politischen Meinungsbildungsprozess. Eine Petition von öffentlichem Interesse mitzuzeichnen und mitzudiskutieren, erlaubt es den Bürgerinnen und Bürgern, sich über Wahlen hinaus zu beteiligen und direkt an die Abgeordneten Signale und Willensbekundungen zu geben. Die Entscheidungsbefugnisse bleiben jedoch immer bei den gewählten Volksvertretern.

Brüche zwischen alten und neuen Medien

DATEV Blog: Auch beim E-Petitions-Verfahren gibt es noch Brüche oder besser gesagt: unerfreuliche Umwege über „alte“ Medien – so erfolgt petitionsrelevanter Schriftwechsel nach wie vor per Post und nicht per E-Mail, obwohl es inzwischen sichere digitale Authentifizierungsverfahren wie die eID-Funktion des neuen Personalausweises gibt. Warum ist das so? Und wann wird ist damit zu rechnen, dass digitale Kommunikation mit dem Bundestag ohne Wenn und Aber möglich ist?

Kersten Steinke: Wir möchten den Zugang erstens für alle Bürgerinnen und Bürger, insbesondere auch die älteren, aufrecht erhalten und zweitens so einfach wie möglich gestalten. Der neue Personalausweis benötigt einen PC und ein zusätzliches Gerät. Das Misstrauen über die Manipulationsgefahr ist noch nicht gebannt. Allerdings haben wir künftig vor, die erforderlichen Voraussetzungen für eine Authentifizierung über den Personalausweis zu schaffen. Der postalische Weg ist heute der einzig sichere Weg für eine Authentifizierung und Identitätsbestätigung einer Person.

DATEV Blog: Wo sehen Sie darüber hinaus noch Ausbaubedarf bzw. welche weiteren Schritte sind beim Thema Online-Petitionen geplant?

Kersten Steinke: Die Entwicklung des neuen Systems ist zweistufig angelegt, wobei die Entwicklung von Stufe 2 jetzt nach dem Launch der ersten Stufe des neuen Systems beginnt. Da die Funktionen für die nächste Stufe bisher nur konzeptionell und noch nicht vollständig ausdefiniert sind, kann an dieser Stelle nur stichpunktartig auf einige Aspekte Bezug genommen werden, die in Zukunft geplant sind: Das sind etwa Schnittstellen für soziale Netzwerke, eine semantische Suche, die interaktive Bewertung von Forenbeiträgen und dialoggeführte Entscheidungshilfen beim Einreichen von Petitionen.

Mehr Transparenz und Beteiligung junger Menschen

DATEV Blog: Lassen Sie uns zum Abschluss noch über den Tellerrand blicken: Eine stärkere Bürgerbeteiligung auch bei großen und komplexen Themen ist spätestens seit Stuttgart21 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, aber auch vieler Politiker gelangt. Sind digitale Medien und Prozesse nicht geradezu prädestiniert dazu, für mehr Beteiligung und Transparenz – und damit letztlich auch Akzeptanz zu sorgen?

Kersten Steinke: Dafür braucht es nicht nur die digitalen Medien und Prozesse. Natürlich eröffnen diese Beteiligungstools neue Möglichkeiten und deren Potenzial wird langsam erkannt. Das wichtigste ist jedoch, dass diese „Werkzeuge“ auch Widerhall finden. Die Adressaten sind hier gefragt, für mehr Transparenz zu sorgen, Forderungen anzuhören und wenn möglich darauf einzugehen. Wenn das nicht passiert, führen die neuen Möglichkeiten nicht zu mehr Akzeptanz, sondern zu mehr Frust.

DATEV Blog: Wie sehen Sie persönlich die weitere Entwicklung bei der Digitalisierung politischer Prozesse in Deutschland? Für die US-Wahlen konnten sich schon Wähler über Facebook registrieren. Ist so etwas auch bei uns realistisch bzw. wünschenswert?

Kersten Steinke: Eine solche „hoheitliche Funktion“ an privatwirtschaftliche Unternehmen zu übergeben, ist durchaus auch kritisch zu sehen. Einen Vorteil hat das Ganze jedoch: Die Bürger werden quasi standortunabhängig „abgeholt“ und insbesondere die Jüngeren begrüßen es, wenn die Politik sich dieser modernen Kommunikationsmedien bedient. Vielleicht kann man dadurch auch eine Beteiligung der jüngeren Generation besser erreichen.

DATEV Blog: Vielen Dank für das Gespräch!

Zum Autor

Christian Buggisch

Leiter Corporate Content & Media

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