New Work - 2. Mai 2023

Wie arbeitet die Sinngesellschaft?

Die Veränderung der Arbeitswelt durch das zweite Maschinenzeitalter beeinflusst unsere gesamte Gesellschaft. Aus der Erwerbsarbeitsgesellschaft, wie wir sie bisher kannten, wird eine Sinngesellschaft, in der die eigene Selbstverwirklichung in den Fokus rückt. Wir sprachen darüber mit Prof. Dr. Richard David Precht.

DATEV magazin: Arbeit, wie wir sie bisher kannten, gibt es nicht mehr. Wie hat sich die Arbeitswelt verändert und wie beeinflusst sie die Gesellschaft?
Prof. Dr. Richard David Precht: Arbeit, wie wir sie bisher kannten, gibt es noch auf Baustellen, in der Gastronomie, in der Pflege und auch im Büro. Aber, was sich in historisch vergleichsweise kurzer Zeit verändert, ist die Anspruchshaltungder Arbeitenden. Arbeit soll Freude bringen, sinnstiftend sein und sich mit allen anderen Zielen im Leben gut vereinbaren lassen – dieser Anspruch ist in der Fläche menschheitsgeschichtlich neu.Die Grundlage dieser Veränderung ist die Entwicklung des Wohlstandes. Je wohlhabender Gesellschaften werden, desto mehr steigen die Ansprüche in ihr.

Digitalisierung ist sicher ein Motor, doch welche Entwicklung hat, was wir als New Work bezeichnen, am meisten beeinflusst?
Wohlstand und Bildung sind die wichtigsten Faktoren der veränderten Anspruchshaltung. Die Digitalisierung kommt nun hinzu und ermöglicht es jetzt und erst recht in der Zukunft, viel geistige Routinearbeit zu ersetzen. Übrig bleibt vor allem jene Arbeit, die sozial und kreativ ist. Das passt im Prinzip sehr gut dazu, dass Menschen sich in ihrer Arbeit stärker als früher selbst verwirklichen wollen. Die Digitalisierung beschleunigt also den Umbruch – jetzt muss er nur noch politisch gestaltet werden und da passiert nicht genug.

Mit dem jetzigen Stand ist der Transformationsprozess noch nicht
abgeschlossen. Was dürfen wir aus Ihrer Sicht noch erwarten?

Unternehmenskulturen zu verändern, geht nicht von heute auf morgen und nicht nach Schablone. Das nimmt Zeit in Anspruch.  Noch mehr Zeit benötigt offensichtlich die Politik, um ein Sozialsystem zu schaffen, bei dem nicht wie bisher die Arbeitenden die Nicht-Arbeitenden in einem Umlagesystem finanzieren. Das funktioniert schon jetzt nicht mehr, denn wir bezuschussen die Rente mit über 100 Milliarden Euro im Jahr, und erst recht nicht in einer New-Work-Gesellschaft.

Sie sprechen von unserer Gesellschaft als Sinngesellschaft, in der die eigene
Selbstverwirklichung in den Fokus rückt. Wie viel davon kann die Arbeits- und
Produktionswelt in der derzeitigen geopolitischen Lage vertragen?

Die derzeitige Spannungslage in der Welt ist sicherlich eine Bremse, die die Zukunftsentwicklung verzögert. Aber sie wird sie nicht aufhalten können. Zu Globalisierung sowie sozialer und nachhaltiger Wohlstandsmehrung gibt es keine Alternative. Der Fortschritt kommt nie linear, sondern in Wellen – das war schon immer so.

Vor welchen Herausforderungen stehen vor diesem Hintergrund Unternehmen? Wie müssen sich diese an die gesellschaftliche Entwicklung anpassen?
Der Weg, den die Unternehmen zu beschreiten haben, ist ihnen längst klar. Unterschiede gibt es nur in der Struktur der Unternehmen und der Firmenkultur. Von daher erklären sich verschiedene Entwicklungsgeschwindigkeiten. Manche fangen mit Veggie-Food an, andere mit bunten Sitzgruppen und Kicker-Automaten und andere mit flexibleren Arbeitszeiten und Arbeitsorten.

Bedingt New Work auch New Leadership, also moderne Führungskräfte?
Ohne Führung geht gar nichts, aber die Art der Führung verändert sich. Otto Rehagels Führungsqualitäten waren gut für das späte 20. Jahrhundert, Jürgen Klopps für das 21. Jahrhundert. Das Gleiche gilt für jedes moderne Unternehmen heute.

Weder Utopie noch Dystopie – welche positiven Entwicklungen möchten Sie
besonders herausstellen und vielleicht auch vor welchen Risiken warnen?

Das Risiko besteht darin, dass die Politik die Entwicklung verschläft und unsere Sozialsysteme kollabieren. Die Probleme werden hier bekanntlich jedes Jahr größer. Den Sozialstaat an die New-Work-Gesellschaft anzupassen, geht in Deutschland bislang keine Regierung entschlossen an. Die Angst vor Unmut, Unverständnis und Widerstand ist viel zu groß. Das gilt übrigens auch für unser Bildungssystem, das trotzig in Strukturen des 20. Jahrhunderts verharrt.

Mehr dazu

Prof. Dr. Richard David Precht sprach auf unserem DATEV Kongress 2022 über sein Buch „Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten.

Zu den Autoren

Kerstin Putschke

Chefredakteurin DATEV magazin

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Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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