Krisenfrüherkennung - 26. August 2021

Wie Kanarienvögel im Bergwerk

Das Zusammenspiel von steuerlichem Berater und der Geschäftsleitung eines Unternehmens in Schieflage kann entscheidend sein, um rechtzeitig schlechte Wetter zu erkennen und ein Restrukturierungsplanverfahren in die Wege zu leiten.

Neuerungen in der Rechtsordnung haben in der Regel für alle Beteiligten eine gesteigerte Unsicherheit zur Folge. Sei es, dass die Adressatinnen und Adressaten einer Norm auf diese gänzlich unvorbereitet sind oder dass eine neue Norm unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die von Rechtsprechung und Lehre noch mit Inhalt zu füllen sind. Nichts anderes gilt für das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) und das beinhaltete Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). Im Folgenden soll auf das Restrukturierungsplanverfahren des StaRUG und die sich ergebenden Aufsichts- und Hinweispflichten von Geschäftsleitung und steuerlichen Beratern eines Unternehmens eingegangen werden. Konkret soll die Frage beantwortet werden, welche Rolle den Beteiligten bei der Krisenfrüherkennung zukommt. Sollen sie gleich einem Kanarienvogel im Bergwerk die Früherkennung schlechter Wetter sicherstellen?

Frühwarnsysteme

Grundlage für das SanInsFoG und somit auch das StaRUG ist die EU-Richtlinie (EU) 2019/1023 vom 20. Juni 2019. Eines der Ziele dieser Richtlinie war es, den Unternehmen Zugang zu einem nationalen präventiven Restrukturierungsrahmen zu ermöglichen. Von der Erweiterung der Restrukturierungsbemühungen auf ein dem Insolvenzverfahren vorgelagertes gesetzliches Verfahren versprach man sich zahlreiche Effizienzgewinne (Kosten, Zeit usw.), aber auch die gesteigerte Bereitschaft der Geschäftsleitung, frühzeitig einen Zugang zu diesem Verfahren zu suchen. Insolvenzen sollten vermieden und die Wahrscheinlichkeit, Unternehmen und Arbeitsplätze erhalten zu können, sollte erhöht werden. Ein solch präventiver Ansatz kann aber nur dann gewählt werden, wenn problematische Entwicklungen den Handelnden frühzeitig bekannt sind. Die EU-Richtlinie 2019/1023 sieht hierfür sogenannte Frühwarnsysteme vor. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie führt dazu aus, wie solche Frühwarnsysteme ausgestaltet werden können. Sie können aus Mechanismen zur Benachrichtigung des Schuldners bestehen, wenn dieser bestimmte Zahlungen nicht getätigt hat, wie etwa Zahlungen an Sozialversicherungsträger oder das Finanzamt. Sie können aber auch aus von öffentlichen oder privaten Organisationen angebotenen Beratungsdiensten oder Anreizen für Dritte bestehen, denen relevante Informationen über den Schuldner bekannt sind, um diesen auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen. Zu dem letzten Punkt führt die Richtlinie exemplarisch für solche Dritte neben Wirtschaftsprüfern auch Steuerberater an.

Hinweispflichten beim Jahresabschluss

Im Gesetzgebungsverfahren gab es nun mehrere Versuche, Dritte wie Steuerberater in dieses Frühwarnsystem zu integrieren. So sah der Referentenentwurf zum SanInsFoG in Art. 19 vor, die allgemeinen Berufspflichten des § 57 Steuerberatungsgesetz (StBerG) um Abs. 5 zu erweitern. Steuerberater sollten dazu verpflichtet werden, bei der Erstellung des Jahresabschlusses für einen Mandanten zu prüfen, ob tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten der Fortführung des Unternehmens entgegenstehen. Konkret war das Vorliegen eines Insolvenzgrunds nach §§ 17–19 Insolvenzordnung (InsO) zu prüfen. Der Regierungsentwurf zum SanInsFoG sah eine solche Ergänzung des § 57 StBerG zwar nicht mehr vor, doch wurde eine gleichlautende Regelung in § 108 StaRUG aufgenommen. Letztendlich findet sich diese Regelung nun in § 102 StaRUG. Beim Erstellen des Jahresabschlusses waren Steuerberater gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) zwar schon vorher dazu verpflichtet, ihre Mandanten darauf hinzuweisen, dass nicht mehr die Fortführungswerte für die Bewertung der Vermögensgegenstände anzusetzen sind, also eine Insolvenz droht (BGH-Urteil vom 26.01.2017, Az. IX ZR 285/14); jedoch wird § 102 StaRUG in seiner Regelungsweite deutlicher. Danach müssen Steuerberater ihre Mandanten bei der Erstellung eines Jahresabschlusses auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrunds gemäß den §§ 17–19 InsO hinweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und anzunehmen ist, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Mit dieser Hinweispflicht einher geht die Aufgabe, den Mandanten auf die daraus resultierenden Pflichten für Geschäftsleitung und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen. Dies bedeutet, dass der Steuerberater die Geschäftsleitung und Aufsichtsorgane seines Mandanten beim Erstellen des Jahresabschlusses darauf aufmerksam machen muss, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO) ist. Für das Restrukturierungsplanverfahren entscheidend ist aber der Umstand, dass auch auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 InsO hingewiesen werden muss. Denn der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kann nur bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden (§ 29 Abs. 1 StaRUG). Die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfordert zwingend eine Prognose, ob das Unternehmen künftigen Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nachkommen kann oder nicht. Auf welchen Zeitraum diese Prognose abstellen soll, war vom Gesetzgeber ursprünglich nicht definiert und ist somit in Rechtsprechung und Literatur vielfach diskutiert worden. Seit dem 1. Januar 2021 hat der Gesetzgeber aber in § 18 Abs. 2 S. 2 InsO einen Prognosezeitraum von 24 Monaten dafür festgelegt. Kommt der Steuerberater dieser Hinweispflicht nicht nach, liegt ein Pflichtenverstoß im Rahmen des Mandatsverhältnisses vor und eine Haftung ergibt sich beispielsweise aus den §§ 280, 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Liquiditätsplanung

Entscheidend für Steuerberater ist damit eine rein auf die Zukunft ausgerichtete punktuelle Liquiditätsplanung ihrer Mandanten auch innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Es wird also gerade nicht ständig die laufende Geschäftsentwicklung des Mandanten begleitet, um somit zeitnah auf unerwartete finanzielle Entwicklungen hinzuweisen, die die Liquiditätsplanung negativ belasten. Auch wenn der Prognosezeitraum von zwei Jahren den Anschein erweckt, dass mit einem verlässlichen Vorlauf die Früherkennung unerwünschter Entwicklungen ermöglicht wird, erscheint dies gerade in unerwarteten Krisensituationen als zweifelhaft. Allein eine Situation wie die, die sich Anfang 2020 abzeichnete, lässt sich durch solch ein Instrument nicht abbilden. So war bis Ende März 2020 im Rahmen der Erstellung der Jahresabschlüsse 2019 wohl für die wenigsten Steuerberater abzusehen, welche Verwerfungen sich ab April im Zuge der Corona-Krise für ihre Mandanten ergeben würden. Solche Krisen werden sich auch in Zukunft nicht über die Hinweispflicht des § 102 StaRUG vermeiden lassen.

Pflichten der Geschäftsleitung

Die maßgebliche neue Norm, die die Geschäftsleitung eines Unternehmens zur Krisenfrüherkennung verpflichtet, stellt § 1 Abs. 1 StaRUG dar. Diese Regelung legt den zur Geschäftsführung berufenen Organen die fortlaufende Überwachung solcher Entwicklungen auf, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, verpflichtet sie zur unverzüglichen Berichterstattung an die zuständigen Aufsichtsgremien und zum Ergreifen geeigneter Gegenmaßnahmen. Fraglich ist in der jetzigen Fassung des StaRUG jedoch, ab wann und in welcher Form diese Pflichten greifen sollen. Eine Antwort auf diese Frage kann sich daraus ergeben, wer durch diese Norm geschützt werden soll. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens boten sich hierfür unterschiedliche Ansätze an. So lässt sich die Ansicht vertreten, dass Steuerberater aus § 102 StaRUG allein ihren Mandanten gegenüber verpflichtet sind und sich daraus kein Schutzgesetz zugunsten der Gläubiger entnehmen lässt. Meiner Ansicht nach ist deutlich zwischen einer reinen Hinweispflicht im Binnenverhältnis und der Rechtsprechung zur Schutzwirkung der Antragspflicht zu § 15a InsO zu unterscheiden. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass die Schutzpflicht der Geschäftsführung aus dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht allein auf die Gesellschafter des Unternehmens abzielt. So sah der Referentenentwurf in § 2 StaRUG einen Wechsel von einer Vermögenserhaltungspflicht gegenüber den Gesellschaftern hin zu solch einer Pflicht gegenüber der Gesamtheit der Gläubiger vor (Shift of Fiduciary Duties), sobald sich eine drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO abzeichnet.

Haftungsrisiken

Auch der Regierungsentwurf übernahm noch diese Regelung und fügte im Folgenden in § 3 StaRUG eine Haftungsnorm für die Geschäftsleitung bei der Verletzung einer diesbezüglichen Pflicht ein. Das in Kraft getretene StaRUG kennt solch eine Verpflichtung vor Einleitung des Restrukturierungsplanverfahrens zwar nicht mehr, in § 43 StaRUG wird aber bestimmt, dass die Geschäftsleitung die Interessen der Gläubigergesamtheit beim Betreiben der Restrukturierungssache zu berücksichtigen hat. Diese Haftung greift so erst, wenn das Restrukturierungsplanverfahren bereits auf den Weg gebracht wurde. Damit ist der Gesetzeswortlaut entscheidend, der der Geschäftsleitung eine „fortlaufende Überwachung“ abverlangt. Hätte sich der Gesetzgeber hierunter ähnliche Intervalle wie bei § 102 StaRUG vorgestellt, dann hätte er dies entsprechend formuliert.

Fazit und Ausblick

Die Überwachungsintensität durch die Geschäftsleitung aus § 1 StaRUG muss über die aus § 102 StaRUG hinausgehen. Die Unbestimmtheit dieser intensiveren Ausprägung der Frühwarnfunktion für die Geschäftsleitung sollte Steuerberater aber nicht dazu verleiten, sich allein auf die für sie bestimmten fixen Intervalle zu fokussieren. Zum einen ist nicht auszuschließen, dass der nationale Gesetzgeber oder der auf EU-Ebene auch ihre Überwachungspflichten im Zuge einer Evaluation des SanInsFoG ausweiten. Zum anderen kann es gerade aus Sicht der Geschäftsleitung fahrlässig erscheinen, sich die Expertise von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern nicht zunutze zu machen. Fälle, in denen das interne Controlling eines Unternehmens die fortlaufende Überwachung sicherstellen kann, werden gerade bei kleineren Unternehmen nicht die Regel sein. Hier drängt es sich auf, in Abstimmung mit dem Steuerberater ein Frühwarnsystem im Unternehmen zu implementieren, das fortlaufend die Kontrolle des Vorliegens einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 InsO erlaubt und durch den Steuerberater überwacht wird. Gerade mit Blick auf ein etwaiges Verschulden könnte denen, die eine Pflichtverletzung der Geschäftsleitung sehen, ein gewichtiges Argument entgegengehalten werden. Um bei dem eingangs aufgezeigten Bild zu bleiben: Schlechte Wetter ließen sich damit im Zusammenspiel von Geschäftsleitung und Steuerberater frühzeitig erkennen, sodass geeignete Maßnahmen, wie das Einleiten eines Restrukturierungsplanverfahrens, ergriffen werden könnten.

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ElWi Wirtschaft und Märkte
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Zum Autor

TS
Thorben Schmidt

Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter bei der WINKLER GOSSAK Rechtsanwaltsgesellschaft in Stuttgart

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