Steuerberatung - 22. Dezember 2021

Vorsicht vor zu großer Deregulierung

Die Reformbestrebungen der Europäischen Kommission sind gut gemeint. Doch es drohen unerwünschte Nebenwirkungen. Die Qualität der Leistungen dürfte leiden – zum Nachteil unserer Mandanten.

Die Europäische Union (EU) hat den Wohlstand Europas in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gemehrt. Sie hat Märkte liberalisiert und geöffnet, Handelsbeschränkungen aufgehoben, den Wettbewerb gefördert, viele Regelungen harmonisiert und damit das Wachstum beflügelt. Brüssel will auf diesem Weg weitergehen. Ziel ist es, den Wettbewerb durch Deregulierung zu stärken. Das soll Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen zugutekommen. Transparenz und mehr Konkurrenz sollen für niedrigere Preise sorgen.

Abbau der Vorbehaltsaufgaben?

Die Absicht ist gut, doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. So strebt Brüssel die Öffnung bisher gesetzlich geschützter und reglementierter Berufe an. Geplant ist die Liberalisierung einer EU-Richtlinie, die die Anerkennung von Berufsqualifikationen regelt. Sie ist bisher die Voraussetzung für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten. Auch die Steuerberater sind davon betroffen. Geht es nach der EU-Kommission, sollen künftig nicht mehr nur Steuerberater, sondern auch andere Unternehmen und Berufe Aufgaben im Bereich Steuerberatung übernehmen können. Am 9. Juli 2021 forderte die EU die Mitgliedstaaten in einer Mitteilung dazu auf, ihre Berufsreglementierungen in bestimmten Berufszweigen, darunter die Steuerberater, zu überprüfen und die Verhältnismäßigkeit neu auszurichten. Weniger komplexe Aufgaben oder Routinearbeiten müssten wohl nicht ausschließlich hochqualifizierten Berufsangehörigen vorbehalten sein. Zu starke Regulierungen behinderten den Wettbewerb und trieben die Preise nach oben. Deutschland müsse deshalb die Vorbehaltsaufgaben dieser Berufe abbauen. Brüssel hat entsprechende Reformempfehlungen aus dem Jahr 2017 überarbeitet und aktualisiert.

Nicht über das Ziel hinausschießen

Wir sind der Meinung, dass die europäischen Bestrebungen weit über das Ziel hinausschießen und die Vorwürfe unberechtigt sind. Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) und der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) haben diese Position in diversen Stellungnahmen deutlich gemacht, zuletzt am 31. März 2021. Die Steuerberatung ist sehr komplex. Auch künftig sollten sie deshalb nur qualifizierte Personen ausführen dürfen. Bei der Auseinandersetzung handelt es sich um einen klassischen Konflikt: Eine Vertiefung des Binnenmarkts und mehr Wettbewerb sind begrüßenswert. Andererseits muss für komplexe Leistungen weiterhin qualitativ hochwertige Beratung sichergestellt sein.

Mahnendes Beispiel

Wie ist das Problem zu lösen? Vielleicht hilft ein Blick in die Vergangenheit. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder schaffte 2004 den Meisterzwang für53 Handwerksberufe ab. Erklärtes Ziel war es, so Existenzgründungen zu fördern und neue Arbeitsplätze zu schaffen, den Wettbewerb zu beflügeln und die Preise zu senken. Doch die Ziele sind eindeutig nicht erreicht worden. Die Klagen über Pfusch und nicht fachgemäß ausgeführte Arbeiten haben sich gehäuft. Die Qualität handwerklicher Leistungen ist in vielen Fällen gesunken und die Betriebe bildeten weniger aus. Berlin ruderte teilweise zurück. Die Große Koalition hat 2020 für eine ganze Reihe von Gewerken wie zum Beispiel Raumausstatter und Parkettleger wieder den Meisterzwang eingeführt.

Die Mandantschaft schützen

Ähnliche (negative) Entwicklungen wie vor einigen Jahren im Handwerk drohen nun im Steuerrecht. Eine zu großzügige Öffnung reglementierter Berufe wie dem des Steuerberaters führt nach unserer Auffassung dazu, dass Qualität und Sachkunde der Beratungsleistungen leiden. Es geht in diesem Fall in erster Linie um den Schutz der Mandanten: Sie sollen sich darauf verlassen können, jederzeit fachlich korrekt beraten zu sein. Dazu braucht es eine gewisse Regulierung. Wir sind der Meinung, dass das Berufsrecht für Compliance und für eine hohe Qualität von Dienstleistungen sorgt. Ein Beispiel aus einem anderen Gebiet macht das deutlich: Es gibt gute Gründe dafür, dass nur approbierte Ärzte heilkundliche Leistungen erbringen dürfen. Die Mediziner müssen sich durch Fortbildungspflichten regelmäßig auf dem Laufenden halten. Nur so bleiben sie auf dem aktuellen Stand. Das ist im Interesse der Ärzte, aber auch der Patienten.

Berufsregeln sind notwendig

Berufsregeln sind also notwendig für die Sicherstellung der Qualität von Leistungen. Das gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für Notare, Anwälte, Apotheker oder Steuerberater. Würden diese Regeln nun einfach gekippt, schüttete man das Kind mit dem Bade aus. Die Steuerberaterprüfung beispielsweise gehört zu den strengsten Prüfungen in Deutschland überhaupt. Die Durchfallquote liegt bei etwa 50 Prozent. Vermeintlich günstigere Beratungsleistungen durch eine großzügige Deregulierung des Berufsstands sind ein Bumerang. Nach unserer Auffassung verursachen nicht fachgemäß ausgeführte Arbeiten im Handwerk oder unsachgemäße Beratungsleistungen im Steuerrecht am Ende viel höhere Kosten und bewirken das Gegenteil des Gewünschten. Das sorgt für Ärger und Ungemach bei allen Beteiligten.

Steuerberater sind reformbereit

Die Vollendung des Binnenmarkts und die Beseitigung von Marktzugangsschranken sind nicht nur hehre Ziele, sondern auch Voraussetzungen dafür, dass es mehr Wettbewerb zum Wohle aller gibt. Doch die Axt ist das falsche Werkzeug für diese Aufgabe. Die feine Klinge ist gefragt. Der Steuerberater sollte eine Vertrauensinstanz zwischen Verbrauchern, Unternehmen und Behörden bleiben. Wir Steuerberater haben gezeigt, dass wir reformbereit sind: Wir haben die Mindestgebühren gestrichen und das Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit umgesetzt. Die Ermöglichung des partiellen Zugangs sowie die Öffnung der Kapitalbindung für alle freien Berufe unterstreichen unseren Reformwillen.

Organ der Steuerrechtspflege

Schließlich braucht es eine Instanz, die die Unternehmen und Verbraucher vor Steuerwillkür schützt. Denn der Staat verabschiedet Steuergesetze, die Finanzbehörden führen sie aus. Aber wer, wenn nicht die Steuerberater, ist die Instanz, die sich um die korrekte Umsetzung kümmert – wenn notwendig auch per Klage durch die Instanzen bis vor den Bundesfinanzhof? Wer, wenn nicht ein qualifizierter Berufsstand, sorgt dafür, dass Unternehmen und Steuerbürger zu ihrem Recht kommen? Zu guter Letzt weisen wir auf zwei weitere Aspekte hin, die der EU-Kommission seit jeher am Herzen liegen:

  • Der Tax Justice Report von 2020 verdeutlicht, dass Staaten ohne Berufsrecht deutlich mehr zu internationaler Steuerhinterziehung neigen als Staaten mit Berufsrecht. Es lohnt sich also, bei geplanten Deregulierungen und Öffnungen von Berufen zu differenzieren. Anderenfalls drohen unerwünschte Nebenwirkungen zum Nachteil aller.
  • Und last, but not least: Wenn der EU tatsächlich ein freier Wettbewerb unter den Steuerberatern bei gleichzeitiger Sicherstellung der Qualität durch Berufsrechte wichtig ist, dann setzt das ganz einfach ein harmonisiertes Steuerrecht innerhalb der EU voraus. Davon sind wir noch Lichtjahre entfernt.

Zum Autor

FR
Ferdinand Rüchardt

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie Vorstand von Ecovis.

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