Rund um die grenzüberschreitenden Steuergestaltungen war es etwas ruhig geworden. Nun aber hat das Bundesministerium der Finanzen in einem finalen Schreiben konkretisiert, wann eine Anzeigepflicht für Intermediäre oder Steuerpflichtige besteht.
Seit dem 1. Juli 2020 sind dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) grenzüberschreitende Steuergestaltungen unter den Voraussetzungen der neu eingeführten §§ 138dff. Abgabenordnung (AO) mitzuteilen. Nachdem die zunächst heiß geführten Diskussionen um die hierdurch erfolgte Umsetzung der sogenannten DAC-6-Richtlinie etwas abgeflacht sind, hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) am 29. März 2021 ein finales Schreiben zur Interpretation der neuen Regelungen veröffentlicht. Dieses soll die Voraussetzungen und das Verfahren der neuen Mitteilungspflichten konkretisieren und damit Wirtschaft und Finanzverwaltung eine Anwendungshilfe an die Hand geben. Ob hierdurch tatsächlich Klarheit geschaffen oder die bestehenden Unsicherheiten eher noch vertieft wurden, muss sich erst noch zeigen.
Besonderheiten bei Berufsgeheimnisträgern
Mitteilungspflichtig ist zumeist der sogenannte Intermediär und nur subsidiär der Nutzer der Gestaltung. Als Intermediär gilt, wer eine grenzüberschreitende Steuergestaltung für Dritte vermarktet, konzipiert, organisiert oder bereitstellt oder ihre Umsetzung durch Dritte verwaltet (§ 138d Abs. 1 AO). Typischerweise sind Intermediärinnen und Intermediäre also Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Finanzdienstleister oder Ähnliche. Der Nutzer einer grenzüberschreitenden Gestaltung ist nach Maßgabe des § 138d Abs. 5 AO üblicherweise der Steuerpflichtige. Besonders zu beachten ist, dass Intermediäre häufig Berufsgeheimnisträger sind. Ihre Verschwiegenheitspflicht (vgl. § 102 AO) entbindet sie zwar nicht vollständig von ihrer Mitteilungspflicht, schränkt diese aber erheblich ein. Der schweigepflichtige Intermediär muss zwar abstrakte Angaben zu der grenzüberschreitenden Steuergestaltung machen (vgl. § 138f Abs. 3 Nrn. 1 und 4–9 AO). Die dazugehörigen personenbezogenen Angaben darf er hingegen nur machen, soweit der Nutzer ihn von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden hat. Entbindet ihn der Nutzer nicht, ist der Nutzer selbst zur Mitteilung der personenbezogenen Angaben verpflichtet, wenn ihn der Intermediär über die Mitteilungspflicht, die Möglichkeit der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht und den anderenfalls erfolgenden Übergang der Mitteilungspflicht informiert hat und ihm die erforderlichen personenbezogenen Angaben sowie die nach seinen abstrakten Angaben erteilte Registrier- und Offenlegungsnummer zur Verfügung gestellt hat.
Aufspaltung der Mitteilungspflicht
Hat der Intermediär dies getan, spaltet sich die Mitteilungspflicht auf. Der Intermediär bleibt verpflichtet, abstrakte Angaben zur Steuergestaltung zu machen, und der Nutzer muss die (personenbezogenen) Angaben nachreichen, die der Intermediär nicht machen darf. Um unnötigen Aufwand zu vermeiden, sollte der Nutzer den Intermediär von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden. Denn umgehen lässt sich die Mitteilungspflicht nicht. Der Nutzer selbst ist auch dann mitteilungspflichtig, wenn ein Intermediär fehlt. Dies kann insbesondere bei sogenannten Inhouse-Gestaltungen der Fall sein, in denen der Nutzer die steuerliche Gestaltung selbst übernimmt. Dann ist er selbst vollumfänglich mitteilungspflichtig.
Was muss ich mitteilen?

Die Mitteilungspflicht betrifft grenzüberschreitende Steuergestaltungen (§ 138d Abs. 2 AO). Eine Steuergestaltung ist per Definition jeder bewusste Schaffensprozess mit steuerlicher Bedeutung, der das reale und rechtliche Geschehen tatsächlich verändert, also zum Beispiel Transaktionen oder Vereinbarungen. Ein Schaffensprozess setzt dabei ein aktives Tätigwerden voraus. Eine Steuergestaltung liegt somit nicht vor, wenn der Steuerpflichtige lediglich passiv den Ablauf einer gesetzlichen Frist abwartet, sodass sich eine zunächst steuerbare Transaktion steuerfrei realisieren lässt. Grenzüberschreitend ist eine Steuergestaltung, wenn sie eine Steuer im Sinne des EU-Amtshilfegesetzes (EUAHiG) betrifft, mindestens ein Beteiligter in einem anderen Steuerhoheitsgebiet ansässig oder tätig ist oder dort seine Betriebsstätte hat und mindestens ein Kennzeichen im Sinne des § 138e AO erfüllt ist. Sofern sie besteht, gilt die Mitteilungspflicht für alle Steuern – mit Ausnahme der Umsatzsteuer, der Einfuhrumsatzsteuer und der harmonisierten Verbrauchsteuern und Zölle (§ 1 Abs. 2 EUAHiG).
Kennzeichen und Relevanztest
Kompliziert, aber von entscheidender Bedeutung ist die Frage, ob die grenzüberschreitende Steuergestaltung ein Kennzeichen nach § 138e AO erfüllt. Dabei hat der Gesetzgeber versucht, Anzeichen zu sammeln, die auf eine potenziell aggressive Steuergestaltung hindeuten. Dabei gibt es zwei Arten von Kennzeichen, solche mit und solche ohne Relevanztest. Die Kennzeichen nach § 138e Abs. 2 AO sind derart auffällig, dass ihr Vorliegen zu einer Mitteilungspflicht führt, ohne dass es eines Relevanztests bedürfte. Bei den Kennzeichen nach § 138e Abs. 1 AO ist hingegen ein zusätzlicher Relevanztest erforderlich. Dabei ist zu fragen, ob der Hauptvorteil der Steuergestaltung ein Steuervorteil ist. Der Relevanztest ist also zweistufig: Mit der Gestaltung muss ein Steuervorteil einhergehen und dieser muss der Hauptvorteil der Gestaltung sein. Ist beides der Fall, ist die Steuergestaltung mitteilungspflichtig.
Steuervorteil
Der Begriff des Steuervorteils ist in § 138d Abs. 3 AO legal definiert. Er ist weder deckungsgleich mit dem „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil“ gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 AO noch mit dem „nicht gerechtfertigten Steuervorteil“ gemäß § 370 Abs. 1 AO. Deshalb kommt es für die Mitteilungspflicht nicht darauf an, ob die Steuergestaltung angemessen oder unangemessen, legal oder illegal ist. Unbeachtlich ist daher auch, ob der steuerliche Vorteil im Inland oder in einem anderen Steuerhoheitsgebiet eintreten soll. Entscheidend ist nur, ob durch die Steuergestaltung Steuern erstattet, Steuervergütungen gewährt oder erhöht oder Steueransprüche entfallen oder verringert werden sollen und ob ihre Entstehung verhindert oder in andere Besteuerungszeiträume oder auf andere Besteuerungszeitpunkte verschoben werden soll.
Hauptvorteil der Gestaltung
Die Meldepflicht soll dadurch begrenzt werden, dass nicht jeder steuerliche Vorteil ausreicht, sondern er gerade der Hauptvorteil der Gestaltung sein muss. Das ist ausweislich des BMF-Schreibens der Fall, wenn die günstige steuerliche Auswirkung bei der Gestaltung im Vordergrund steht. Jedoch bleibt unklar, nach welchen Kriterien der Hauptvorteil von einer lediglich vorteilhaften Nebenfolge der Steuergestaltung abzugrenzen ist. Dabei könnte man zum Beispiel rein rechnerisch bestimmen, welcher Vorteil der Gestaltung der Hauptvorteil war, oder man könnte auf die Motivation des Nutzers abstellen und fragen, aus welchen Gründen er die Gestaltung gewählt hat. Leider enthält das BMF-Schreiben in dieser Hinsicht keine praktikablen Abgrenzungskriterien, sodass der potenziell Mitteilungspflichtige in den meisten Fällen kaum darlegen können wird, dass der Steuervorteil ein bloßer Nebenvorteil war. Immerhin hat das BMF, um Rechtssicherheit zu schaffen und den Betroffenen die Einordnung zu erleichtern, im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder als Bestandteil des Interpretationsschreibens eine sogenannte White List veröffentlicht. Darin sind bestimmte Gestaltungen aufgezählt, in denen kein steuerlicher Vorteil erlangt wird und die demzufolge nicht mitteilungspflichtig sind. Die Liste umfasst 18 Fallgruppen und sollte sukzessive erweitert werden, um die Anwendung der komplexen neuen Regelungen für alle Beteiligten handhabbarer und rechtssicherer zu machen.
Verfahren und Sanktionen
Zuständig für die Entgegennahme der Mitteilungen ist das BZSt. Die Frist zur Mitteilung beträgt 30 Tage. Sie beginnt nach Ablauf des Tages, an dem die Steuergestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird, der Nutzer zur Umsetzung bereit ist oder mindestens ein Nutzer den ersten Schritt zur Umsetzung gemacht hat. Nach dem Eingang weist das BZSt der Mitteilung eine Registrier- und Offenlegungsnummer zu und teilt diese dem Mitteilungspflichtigen mit. Diese Nummer hat der Nutzer in seiner Steuererklärung anzugeben. Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 e–g AO) und kann mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro geahndet werden (§ 379 Abs. 7 AO).
Fazit und Ausblick
Die gesetzliche Umsetzung der DAC-6-Richtlinie steckt voller unbestimmter Rechtsbegriffe und ist äußerst komplex. Ohne dezidierte Fachkenntnisse erschließt sich allein aus den gesetzlichen Vorschriften kaum, wann genau eine Mitteilungspflicht besteht. Auch das BMF-Schreiben hilft insofern nur bedingt. Dennoch dürfte es die Compliance-Bemühungen potenziell Betroffener erleichtern und auch das Handeln der Finanzbehörden bereits deutlich besser abschätzbar machen, wenngleich eine sukzessive Weiterentwicklung – vor allem angesichts der angedrohten Sanktionen – dringend geboten erscheint. Insofern sind vor allem tatsächlich greifbare Anwendungshilfen wie die White List eine spürbare Erleichterung für die sichere Rechtsanwendung. Trotz allem bleiben zumindest dem Strafjuristen verfassungsrechtliche Bedenken, da die Verletzung der Mitteilungspflicht als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet ist und somit gemäß § 3 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) der strenge Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) gilt. Gerade bei komplexen grenzüberschreitenden Steuergestaltungen ist für den Rechtsanwender anhand der gesetzlichen Vorgaben kaum abzusehen, ob er mitteilungspflichtig ist und das Unterlassen der Mitteilung ein Bußgeld zur Folge haben kann. Auch das BMF-Schreiben schafft bislang nicht ausreichend Abhilfe und stellt allenfalls einen ersten Schritt zur Lösung dieses Problems dar. Stand jetzt wird der potenziell Mitteilungspflichtige eine Gestaltung im Zweifel melden müssen. Daher ist mit einer Vielzahl von Meldungen zu rechnen, die zügig von qualifiziertem Personal bearbeitet werden müssen, sofern das Ziel der Richtlinie tatsächlich erreicht werden soll. Die Vielzahl an meldepflichtigen Gestaltungen wird nicht nur den Rechtsanwender, sondern auch das BZSt vor große Herausforderungen stellen.