Vorsteuerabzug - 23. Juni 2020

Richtungsweisend entschieden

Der Abzug der Vorsteuer aufgrund einer Anzahlung darf bei ausbleibender Lieferung nicht (mehr) versagt werden.

Nach langjährigem Verfahren in den sogenannten Blockheizkraftwerks-Fällen hat der Bundesfinanzhof (BFH), ­zuletzt mit Urteil vom 17. Juli 2019 (BFH – V R 19, V R 29/15) klargestellt, dass der Vorsteuerabzug aus einer Anzahlungsrechnung und der hierauf geleisteten Zahlung nicht versagt werden darf, selbst dann nicht, wenn die Lieferung ausbleibt und schlussendlich ausgeblieben ist. Die Voraussetzung ist aber, dass der Gegenstand der späteren Lieferung aus Sicht des Anzahlenden genau bestimmt ist und daher die Lieferung aus seiner Sicht sicher erscheint. Mit dem Unionsrecht steht auch in Einklang, dass eine Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 Satz 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) eine Rückzahlung ­voraussetzt.

Ausgangsfall

Der (unerfahrene) Kläger schloss mit der B-GmbH (B) einen Vertrag über die Lieferung eines Blockheizkraftwerks (BHKW). Die B erteilte eine Vorausrechnung mit Netto- und Umsatzsteuerbetrag. Zudem meldete der Kläger ein Gewerbe an und ­entrichtete vertragsgemäß die Zahlung. Mit der Firma C schloss der Kläger Verträge über unter anderem die Aufstellung und den Betrieb des Blockheizkraftwerks. Die mit C geschlossenen Verträge wurden jedoch ­anschließend wieder aufgehoben und stattdessen ein Verpachtungsvertrag mit ­monatlicher Pacht ­zuzüglich gesonderter Umsatzsteuer über das Blockheizkraftwerk geschlossen. Die Pachtzahlung floss für November und Dezember 2010. Der Kläger reichte die Umsatzsteuererklärung ­unter Geltendmachung der Anzahlungsvorsteuer ein. Zur Lieferung des Blockheizkraftwerks kam es jedoch nicht, sondern es wurde das Insolvenzverfahren über die Steuerpflich­tigen B/C durchgeführt. Gegen die Geschäftsführer der B und C ergingen Strafurteile wegen ­Betruges unter anderem in 88 Fällen. Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erfolgte aber nicht. Im Rahmen der zwischenzeitlichen ­Umsatzsteuerveranlagung versagte das Finanzamt dem Kläger den Vorsteuerabzug aus den ­Anzahlungsrechnungen. Im Wesentlichen wendete das Finanzamt ein, es läge eine mangelnde ­Leistungsbeschreibung vor, es habe eine erkennbare Lieferunsicherheit bestanden, die Lieferung der vereinbarten Leistung (BHKW) sei nicht erfolgt. Im Übrigen sei der Vorsteuerabzug zu berichtigen, auch wenn es zu keiner Rückzahlung der Anzahlung gekommen sei. Der Einspruch blieb erfolglos, die Klage vor dem Finanzgericht hatte vollumfänglich Erfolg. Daraufhin ging das Finanzamt in Revision. Verfahrenstechnisch erfolgte ein revisionszurückweisender Gerichtsbescheid (27.03.2019), worauf das Finanzamt die mündliche Verhandlung beantragte. Dem folgte – ohne materiell-rechtliche Abänderung – das die Revision als unbegründet zurückweisende Urteil (17.07.2019).

Begründung der Entscheidung

Die Grundlage des berechtigenden Vorsteuerabzugs ist § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 UStG, Art. 167, Art. 168a) in Verbindung mit Art. 65 der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL), der den Zeitpunkt auf jenen der Entgeltvereinnahmung fixiert. Zweifellos stehen Zahlung und ordnungsgemäße Rechnung ­bezüglich der künftigen Lieferung fest, ebenso, dass der Eintritt des Steuertatbestands zum Zeitpunkt der Anzahlung sicher ist, weil alle maßgeblichen Elemente der künftigen Lieferung wie Kaufgegenstand oder Kaufpreis festgelegt waren und es unerheblich ist, dass es nicht zur Lieferung kommen würde – gleichgültig, ob der Zahlungsempfänger gar nicht (objektiv) oder ­subjektiv die Leistung erbringen kann. Vielmehr kommt es ­darauf an, ob anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass der ­Anzahlende zum Zeitpunkt der Zahlung wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die ­Bewirkung der Lieferung/der Dienstleistungserbringung ungewiss ist.

Auf einen nicht nach außen offengelegten geheimen Vorbehalt des Zahlungsempfängers kommt es nicht an.

Auf einen nicht nach außen offengelegten geheimen Vorbehalt des Zahlungsempfängers kommt es nicht an (vgl. § 116 BGB). Demgemäß ist auch für die Frage nach einem unberechtigten Umsatzsteuerausweis gemäß § 14c UStG die Empfängersicht (Käufer) entgegen Reiß (MwStR 2019, 392ff., 394f.) maßgeblich. Steuerentstehungsgrund für das Vorsteuerabzugsrecht (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG) ist die tatsächliche Zahlung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1a) S. 4 UStG (BFH-Urteil, BFHE 263,359, Rz. 59). Die Einwendung objektiv erwiesenen Wissens des Klägers beziehungsweise eines Vernünftigerweise-hätte-wissen-Müssens der Nichtlieferung im Zeitpunkt der Anzahlung ist zu verneinen. Kein Unternehmer will sich wissentlich betrügen lassen, und unrealistische Rentabilitätsberechnungen lassen keinen Rückschluss zu, denn wirtschaftlich unvernünf­tige Entscheidungen werden auch bei wirtschaftlichen Tätigkeiten getroffen. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 Satz 2 UStG scheidet in Ermangelung ­einer Rückzahlung, wie bereits entschieden (BFH-Urteil vom 15.09.2011, ­BStBl II 2012, 365), aus. Eine Berichtigung kommt nur in Betracht, wenn sich die vorsteuerabzugsbestimmenden Faktoren (Kaufrückgängigmachung, erlangte Rabatte) nach ­Abgabe der Steuererklärung ­geändert haben. Ferner dann, soweit eine Rückzahlung durch den Anzahlungsempfänger erfolgt ist.

Hinweise für die Praxis

Der BFH hat im Einklang mit dem XI. Senat entschieden (BFH-Urteil vom 05.12.2018 – XI R 44/14), also die Rechtsprechung zugunsten des Anzahlenden und seines Vorsteuerabzugsanspruchs verfestigt, wenngleich bis zur Veröffentlichung im Bundessteuerblatt (BStBl) die Finanzverwaltung selbst in gleich gelagerten Fällen nicht an die Entscheidungen gebunden ist. Denn die Urteile entfalten immer nur zwischen den beteiligten Parteien Rechtsbindungskraft (Inter-Partes-Wirkung). Daher kam es dann auch in einem anderen Fall so, dass erst das Finanzgericht Niedersachsen dem Kläger zu seinem Vorsteuerabzug wegen der Anzahlung auf ein Blockheizkraftwerk verhelfen konnte. Wichtig für die Praxis ist daher Folgendes hervorzuheben: Soll der Vorsteuerabzug nicht durch eine Sachargumentation des Finanzamts konterkariert werden, ist darauf zu achten, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Beschreibung des Vertragsgegenstands in den Vertragsgrundlagen beziehungsweise die Bestellung hinreichend bestimmt, also individualisierbar ist. Auch ist zwischenzeitlich von der Rechtsprechung zugelassen, dass eine ergänzende Beschreibung in Produktblättern und die Bezugnahme darauf in den Bestellunterlagen den Bestimmungsvoraussetzungen genügt (vgl. Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 22.08.2019 – 11 K 121/19; zur Abgrenzung vgl. zum Beispiel Finanzgericht Hessen, Urteil vom 12.10.2017 – 1 K 547/14; BFH-Urteil vom 02.09.2010 – V R55/09). Daneben ist selbstverständlich zügig oder dynamisch der Lieferzeitpunkt niederzulegen. Ferner bedarf es grundsätzlich keiner Kaufvertragsurkunde als solcher. Denn nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts kommt ein Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande, die jeweils für sich separat abgegeben werden können und dürfen (vgl. etwa Finanzgericht Niedersachsen aaO). Selbst ein auf die Variante des Verzichts der Annahmeerklärung gestützter Vertrag ist daher möglich (vgl. § 151 BGB). Wegen der Feststellungslast sollte aber letztere Variante eher vermieden werden. Leistet der Besteller dann aufgrund des Vertrags/der Bestellung und der dort niedergelegten Merkmale vertragsgemäß an den Verkäufer die Anzahlung, ist wegen des Merkmals „Lieferung sicher ist“ auf den Empfängerhorizont der Bestellung abzustellen und insoweit ein geheimer Vorbehalt der Nichterfüllungsabsicht des Lieferers unbeachtlich. In Abgrenzung hierzu sei auf die Firin-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei gleichfalls ausgebliebener Lieferung hingewiesen (EuGH, Urteil vom 13.03.2014 – C 107/13). Denn in dieser Entscheidung wurde festgestellt, dass es den Beteiligten durch die personellen und gesellschaftsrechtlichen Verquickungen und des erfolgten Zahlungsverkehrs gerade auf die Ausnutzung des Auseinanderfallens von Vorsteuerabzug und Steuerabführung ankam. Zudem hat der Bundesfinanzhof jetzt durch seine Entscheidungen und der verfestigten Postulierung, dass die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 UStG die Rückzahlung voraussetzt, quasi einen sicheren Hafen für den Anzahlenden geschaffen – zumindest so lange, wie der Vertragspartner die Rückzahlung verweigert oder sie kraft Insolvenz gar nicht mehr erfolgt.

Fazit und Ausblick

In den vorliegenden Fällen trägt damit der Fiskus hinsichtlich der Umsatzsteuer das Ausfallrisiko. Für den Praktiker bedeutet dies, besonders aber für die Zukunft, dass die formalen Anforderungen gemäß § 14, 14a UStG, § 31 UStDV, Abschnitt 14.5 UStAE an eine Rechnung/Vorausrechnung noch intensiver ernst genommen werden müssen. Gerade für Gründer gilt dies im Besonderen, als die Vorsteuerabzugsfähigkeit mangels Anzeige gemäß § 138 Abgabenordnung (AO) wegen der jetzt gesetzten zeitlichen Zäsur (zeitgleich) zum Streitpunkt werden könnte, denn der Beginn der Unternehmereigenschaft im Sinne des § 2 UStG ist nicht gesetzlich definiert (zur Erfüllung des Tatbestands vgl. etwa BFH-Urteil vom 16.12.1993 – V R 103/88, BStBl 1994 II S. 278). Prozessual könnte es jedoch im laufenden Klageverfahren zu einem Einlenken des Finanzamts kommen (Abhilfebescheid), sodass zugleich das Finanzamt als Beklagter gegenüber dem Finanzgericht die Erledigung erklärt. Für den Kläger ist das gegebenenfalls verfänglich, weil die Gesetzesformulierung in § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) missverständlich ist. Hier müsste es dem Zweck nach lauten: „Wurde der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt […],“ denn nur dann kommt es zur Entscheidung lediglich über die Kosten und nicht mehr über den Streitgegenstand. Unterbleibt die Erledigungserklärung, ist in der Sache durch das ­Finanzgericht zu entscheiden, und zwar klageabweisend, sofern tatsächlich die Erledigung eingetreten ist. Dem Kläger werden dann vollumfänglich die Kosten auferlegt, weil in Ermangelung eines Rechtsschutzinteresses die Klage abweisungsreif ist. Mithin muss der Kläger/Prozessbevollmächtigte in einer solchen Prozesslage genau prüfen, ob eine Erledigung eingetreten ist, also das vorliegt, was mit der Klage erreicht werden sollte, ­andernfalls ist der Antrag umzustellen oder am ursprünglichen Antrag festzuhalten, soll ein Rechtsverlust oder eine Beraterhaftung vermieden werden. 

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Umsatzsteuer-Expertisen, Art.-Nr. 68265

Zu den Autoren

CG
Christina Grönwoldt

Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Bamberg

Weitere Artikel der Autorin
JG
Jens Grönwoldt

Rechtsanwalt und Diplom-Betriebswirt in Hallstadt

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