Phantomlohn - 27. Februar 2020

Lückenlos übermitteln

Das Verfahren der Brutto-/Nettoabrech­nungen für Arbeitnehmer setzt korrekte Meldungen voraus. Kommt es bei den Sozialver­sicherungsbeiträgen zu Ungereimtheiten, droht dem Arbeitgeber Ungemach bis hin zu strafrechtlichen Folgen.

In der Praxis, etwa bei Handwerksbetrieben oder Einzelunternehmen, kommt es nicht selten vor, dass der Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitern mündlich vereinbart, sie je nach Auftragslage zu bezahlen. Ein solches Vorgehen ist per se nicht verboten. Problematisch ist nur, dass Sozialversicherungsbeiträge entstehen, unabhängig von der tatsächlichen Zahlung des ­Arbeitgebers. Werden die Beiträge nicht an die zuständige Krankenkasse abgeführt, kann sich der Unternehmer strafbar machen. Weder kann er sich darauf berufen, sein Verhalten sei branchenüblich und gängige Praxis, noch sein Steuerberater habe ihn nicht auf mögliche strafrechtliche Risiken sowie auf Nachforderungen der Krankenkassen aufmerksam gemacht. Für den Steuerberater wiederum kann bei dieser Sachlage ein Haftungsfall entstehen, schlimmstenfalls kann er wegen Beihilfe zu § 266a Abs. 1 und 2 Strafgesetzbuch (StGB) bestraft werden.

Ausgangsfall

Ein seit Jahren erfolgreicher Handwerksbetrieb beschäftigt sieben bis zehn Mitarbeiter, mit denen der Inhaber verabredet hat, sie monatlich jeweils nach Auftragslage zu entlohnen, für die übrige Zeit seien sie freigestellt. Mit dieser Regelung waren die Arbeitnehmer einverstanden, bis ein unzufriedener Mitarbeiter den Arbeitgeber anzeigte und die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB einleitete. Zu seiner Rechtfertigung trug der Arbeitgeber vor, dass es in seiner Branche üblich sei, Arbeitnehmer nach den geleisteten und nicht nach den im Tarifvertrag vereinbarten Arbeitsstunden zu bezahlen. Die Betriebe befürchteten Kündigungen, wenn sie von dieser Übung abwichen, zumal die Mitarbeiter mit dieser Praxis einverstanden gewesen seien. Im Übrigen habe sein Steuerberater, der die monatliche Lohnabrechnung gegenüber den Kassen erledigte, ihn zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er seine Mitarbeiter nach vereinbarten und nicht nach tatsächlich geleisteten Stunden bezahlen müsse. Der Steuerberater habe ihn auch nicht auf die mögliche Strafbarkeit seines Tuns hingewiesen.

Elektronisches Meldeverfahren

Der Unternehmer sandte monatlich die Montagezettel seiner Mitarbeiter an seinen Steuerberater, der die Brutto-/Nettoabrechnungen elektronisch an die zuständigen Krankenkassen übermittelte. Hierzu bediente er sich der für das Baugewerbe üblichen DATEV-Formulare. Auf diesen müssen Mitarbeiterkennzahlen eingegeben werden, zum Beispiel der Personengruppenschlüssel (PGRS), der Informationen über die Art der Anstellung beinhaltet: PGRS 101 = Vollzeitbeschäftigung, PGRS 110 = geringfügig Entlohnte oder PGRS 109 = kurzfristig Beschäftigte. Die Meldung des richtigen Schlüssels ist die Grundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge.

In der Spalte PGRS wurde in unserem Beispielsfall der betreffende Mitarbeiter mit der Kennziffer 101 zutreffend als Vollzeitarbeitskraft und als „normal sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer“ bezeichnet. Die nächste Spalte BGRS (Beitragsgruppenschlüssel) 1111 weist auf die ­Tatsache hin, dass der Arbeitnehmer normal pflichtversichert, also kranken-, renten-, arbeitslosen- und pflegeversichert ist.

In unserem Beispiel hat der Steuerberater den zuständigen Krankenkassen alle Kennzahlen der Mitarbeiter elektronisch übermittelt. Außerdem hat er im nachfolgenden Monat die korrekte Zahl der nicht geleisteten Stunden sowie der Überstunden nachgereicht.

Verschulden der Krankenkasse?

Hätte also der zuständige Mitarbeiter der Krankenkasse aufgrund der auf dem DATEV-Formular korrekt angegebenen Kennzahlen erkennen müssen, dass es sich um einen vollbeschäftigten, normal sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter handelt, der gemäß dem Tarifvertrag für das Baugewerbe zu monatlich 150 Arbeitsstunden verpflichtet ist?

Meines Erachtens hätte der Sachbearbeiter die tariflich festgelegte Zahl an Wochenarbeitsstunden für Beschäftigte im Baugewerbe feststellen müssen. Die Tarifverträge sind allgemein bekannt und verfügbar. § 33 Abs. 1 der Verordnung über die Erfassung und Übermittlung von Daten für die Träger der Sozialversicherung (Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung – DEÜV) schreibt vor:

„Die Annahmestelle prüft die Meldungen auf Vollständigkeit und Richtigkeit, insbesondere darauf, dass die Meldungen nur die zugelassenen Zeichen, Schlüsselzahlen und sonstigen vorgesehenen Angaben enthalten.“

Der Sachbearbeiter hätte somit aus den übermittelten Informationen, insbesondere aus den Nachberechnungen erkennen können, ob und in welcher Höhe der Unternehmer keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat.

Rechtsprechung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 16.01.2018 (BFH, VI R 41/16) wie folgt entschieden:

1. Gleicht das Finanzamt bei einer Papiererklärung den elektronisch übermittelten und der Steuererklärung beigestellten Arbeitslohn generell nicht mit dem vom Steuerpflichtigen in der Einkommensteuererklärung erklärten Arbeitslohn ab und werden die Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit im Einkommensteuerbescheid infolgedessen unzutreffend erfasst, liegt darin keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 Abgabenordnung (AO)“,

2. Stimmen der vom Steuerpflichtigen erklärte und der in der Einkommensteuererklärung bereitgestellte Arbeitslohn nicht überein, hat der Sachbearbeiter regelmäßig – gegebenenfalls in weiteren Datenbanken – zu ermitteln, welches der zutreffende Arbeitslohn ist …“

Leider liegt bisher keine vergleichbare höchstrichterliche Entscheidung im Hinblick auf das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen vor. Die Frage, ob ein Sachbearbeiter der Krankenkasse verpflichtet ist, den tarifvertraglichen Arbeitslohn, etwa durch Recherchen in Datenbanken zu ermitteln, wurde bisher von der Rechtsprechung nicht beantwortet.

Rechtliche Würdigung

In unserem Ausgangsfall hat sich der Unternehmer durch die bloße Nichtzahlung der Arbeitnehmeranteile nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Solange die Taten nicht verjährt sind, haben die Sozialkassen überdies Anspruch – möglicherweise noch für 36 Jahre – auf Begleichung der Rückstände. Zusätzlich ist zu prüfen, ob aufgrund der besonderen Umstände unseres Beispielsfalls ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorliegt, etwa durch die seit Jahren in der Branche gängige Praxis sowie wegen mangelhafter Beratung durch den Steuerberater. Hinzu  kommt in unserem Fall, dass vorausgegangene Betriebsprüfungen der Deutschen Rentenversicherung kein Fehlverhalten des Unternehmers festgestellt haben.

Der Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums steht jedoch entgegen, dass der Unternehmer nach allgemeiner Rechtsauffassung sich zuvor bei der Rentenversicherung hätte kundig machen müssen. Umstritten ist allerdings, ob Rechtsanwälte oder Steuerberater ohne Zusatzausbildung überhaupt ausreichend kompetent sind, die „sozialversicherungsrechtliche Schuld“ zu bewerten. Müller-Gugenberger hält in seinem Kommentar (Wirtschaftsstrafrecht, 5. Auflage, Rn. 239 zu § 38) zum Beispiel nur Auskünfte der Einzugsstellen oder der Deutschen Rentenversicherung gemäß § 17 Satz 1 StGB für schuldausschließend.

Die Meldung des richtigen Schlüssels ist die Grundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge.

Der Unternehmer kann jedoch nicht wegen Vorenthaltens von Arbeitgeberanteilen nach § 266a Abs. 2 StGB belangt werden, da er weder durch aktives Tun noch durch Unterlassen die zuständige Einzugsstelle getäuscht hat. Er hat in der monatlichen Abrechnung der Brutto-/Nettobezüge alle notwendigen Fakten, wie die Kennzahlen PGRS und BGRS, die monatliche Stundenzahl, die Höhe des Stundenlohns und so weiter, korrekt angegeben und somit seine Mitteilungspflicht gegenüber der Kasse nach § 28a SGB IV vollumfänglich erfüllt. Darüber hinaus hat er im Folgemonat in einer Nachberechnung die Zahl der versicherungspflichtigen Überstunden sowie der Stunden, für die keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden, korrekt mitgeteilt.

Da der Unternehmer demnach die Krankenkassen nicht getäuscht hat, kann er auch nicht wegen Vorenthaltens von Arbeitgeberanteilen bestraft werden. Er schuldet lediglich für maximal vier Jahre den Krankenkassen die noch offenen Arbeitgeberanteile.

Um auf der sicheren Seite zu sein, wird empfohlen, das ­DATEV-Formular unter „Abrechnung der Brutto-/Nettobezüge für … (Monat Jahr)“ um den Hinweis
• auf die vertraglich vereinbarte monatliche Anzahl der Arbeitsstunden oder
• die monatlich gemäß Tarifvertrag geschuldete Stundenzahl zu ergänzen.

Verjährungsfristen

Überraschende neue Entwicklungen gibt es im Zusammenhang mit den Verjährungsfristen. Bereits Ende 2018 hatte ich ausführlich auf die für Einzelunternehmen nachteiligen überlangen Verjährungsfristen hingewiesen, die nach Beendigung der Tat wegen der sozialrechtlichen Akzessorietät des § 25 Sozialgesetzbuch (SGB) IV in Verbindung mit § 266a Abs. 1 und 2 Strafgesetzbuch (StGB) bis zu 36 Jahren betragen können (DATEV magazin 11/2018, „Nichts darf fehlen“, S. 28). Nach den Vorstellungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) sollen zukünftig die Verjährungsfristen erheblich verkürzt werden (BGH, Beschluss vom 13.11.2019 – 1STR 58/19). In dem Beschluss heißt es:

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts zu laufen.“
2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an – gegebenenfalls – entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.“

Nochmals zur Erläuterung: Bisher verjährt eine nach § 266a StGB strafbare Tat fünf Jahre nach ihrer Beendigung (§§ 78 
Abs. 3 Satz 4, 78a StGB). Straftaten nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB sind jedoch erst beendet, wenn die Pflicht zur Zahlung entweder durch Zahlung der Beiträge oder durch Wegfall des Beitragsschuldners (Tod oder Beendigung der Gesellschaft) erloschen ist. Das heißt, die Beendigung der Tat und der Eintritt der Verjährung richten sich nach § 25 SGB IV. Dort heißt es: „Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind“ (Satz 1). „Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind“ (Satz 2). Das hat zur Folge, dass die Tat bei vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung möglicherweise erst nach 35 Jahren verjährt.

Unwucht im Verjährungssystem

Durch die Verkürzung der Verjährungsfrist würde endlich auch die zu Recht beklagte „Unwucht im Verjährungssystem“ beendet werden (vgl. S. 12 des oben angegebenen Beschlusses des 1. Strafsenats). Sie hätte jedoch keine Auswirkungen auf die üblicherweise vom Gericht festzusetzende Einziehung des Werts von Taterträgen nach § 73c StGB, die erst in 30 Jahren verjähren. Restlose Klarheit über eine Verkürzung der Verjährungsfrist ist allerdings erst nach der Entscheidung des 1. Strafsenats in schätzungsweise ein bis zwei Jahren zu erwarten.

Strafrechtliches Ergebnis im Beispielsfall

Nach zähen Verhandlungen mit Staatsanwaltschaft und Gericht hat der Inhaber des Einzelhandelsunternehmens (siehe Beitrag „Nichts darf fehlen“, DATEV magazin 11/2018) schließlich aus prozessökonomischen Gründen den Einspruch zurückgenommen und die im Strafbefehl verhängte Geldstrafe sowie die angeordnete Einziehung der angeblich rückständigen Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe an die Justizkasse bezahlt. Die Einziehung war im Übrigen auferlegt worden, obwohl die Krankenkassen mitgeteilt hatten, es wären keine Sozialversicherungsbeiträge mehr offen. Hätte in unserem Fall eine Entscheidung des BGH über eine Verkürzung der Verjährungsfrist bereits vorgelegen, dann hätte unser Unternehmer eine erheblich geringere Geldstrafe und einen geringeren Einziehungsbetrag zahlen müssen. Leider ist eine Wiederaufnahme nicht möglich, da bei Änderung der Rechtsprechung eine Wiederaufnahme nicht zugelassen wird. 

Zur Autorin

LL
Lilli Löbsack

Rechtsanwältin in Berlin sowie Oberstaatsanwältin i. R.

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