Das StaRUG - 30. Juni 2021

Haftung durch die Hintertür

Die neuen Regelungen zur Sanierung und Restrukturierung von Unternehmen könnten speziell für die steuerlichen Berater eine Reihe von Haftungsrisiken auslösen. Fraglich ist, ob der Gesetzgeber diese Problematik im Turbogesetzgebungsverfahren übersehen hat oder eine verschärfte Haftung gar gewollt ist.

Anfang des Jahres ist das Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz – kurz StaRUG – als Teil des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG) in Kraft getreten. Beschleunigt durch die Corona Pandemie hat der Gesetzgeber damit die bisherige Lücke zwischen außergerichtlicher Sanierung und Insolvenzverfahren geschlossen. Mit den neuen Regelungen stehen den Unternehmen nun mehrere Sanierungstools zur Verfügung, jedoch erfordert die Komplexität des neuen Verfahrens eine professionelle Planung sowie ein umfassendes Know-how. Daher soll nachfolgend erläutert werden, ob diese eventuell neuen Beschäftigungsfelder für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugleich auch ein neues Haftungsrisiko beinhalten beziehungsweise eine Verschärfung der bestehenden Haftung für die Berater auslösen können.

Möglicher Insolvenzgrund

Im letzten Paragrafen des StaRUG und damit an einer systematisch ungewöhnlichen Stelle findet man nun eine neue Hinweispflicht unter anderem für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte im Zusammenhang mit der Erstellung von Jahresabschlüssen. Der § 102 StaRUG verpflichtet diesen Personenkreis, den Mandanten, für den sie den Jahresabschluss erstellen, auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrunds nach §§ 17 bis 19 Insolvenzordnung (InsO) und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleitung und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen. Dies allerdings nur, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.

Unbestimmte Rechtsbegriffe

Der Gesetzgeber verwendet bei dieser Gesetzesformulierung viele unbestimmte Rechtsbegriffe und unterlässt es, Rechtsfolgen für das Zuwiderhandeln zu normieren. Ob das redaktionelles Versehen oder Absicht des Gesetzgebers war, ist unklar. Fraglich bleibt, ob der § 102 StaRUG lediglich eine reine Obliegenheit oder eine echte, haftungsrelevante Verpflichtung des genannten Personenkreises normiert. Aufgrund der Formulierung „haben (..) hinzuweisen“ ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eher eine echte Verpflichtung einführen wollte. Wenn das so ist, folgt daraus die Frage, welche haftungsrechtliche Konsequenz ein Verstoß haben kann. Das Unterlassen des Gesetzgebers, eine Rechtsfolge in das Gesetz aufzunehmen, ist vielleicht auch die Erklärung dafür, warum die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) in ihrer Stellungnahme zum damaligen Referentenentwurf mitteilte, dass sie der Ansicht sei, diese Hinweis- und Warnpflichten seien lediglich die Kodifizierung der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) durch das Urteil vom 26. Januar 2017 (Az. IX ZR 285/14). Der BGH ist dort der Ansicht, dass ein Steuerberater bereits aufgrund des Mandats für die Erstellung des Jahresabschlusses zur Prüfung verpflichtet sei, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit seines Mandanten entgegenstehen könnten. Allerdings stellte der BGH damals klar, dass der Steuerberater gerade nicht verpflichtet sei, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen oder weitere Analysen anzustellen.

Vorsicht ist geboten

Bei der Lektüre des § 102 StaRUG kann man sich des Eindrucks aber nicht erwehren, dass der Gesetzgeber mit der Einführung dieses Paragrafen ein „Mehr“ zu dieser Rechtsprechung wollte. Die Tatsache, dass in der Formulierung des Paragrafen alle drei Insolvenzgründe zitiert sind, spricht dafür, dass diese auch – zumindest summarisch – durch den Ersteller des Jahresabschlusses zu prüfen sind. Damit gehen die Verpflichtungen allerdings weiter und eher in die Richtung des Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig vom 29. November 2019 (Az. 17 U 80/19), das in seiner Entscheidung zur Überschuldung urteilte, dass ein Steuerberater erst dann seiner Hinweispflicht genüge, wenn er unmissverständlich die Überschuldung feststelle und seinen Mandanten auf die gesetzliche Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags hinweise. Was letztlich der Gesetzgeber wollte, muss die Praxis zeigen oder eine Novelle zum StaRUG klären. Bis dahin kann dem Ersteller eines Jahresabschlusses nur geraten werden, bei eventuellem Vorliegen eines Insolvenzgrunds die Sachlage zu prüfen und dem Mandanten das Ergebnis schriftlich mitzuteilen. Vor allem deswegen, weil es im Gegensatz zu den Abschlussprüfern, deren Ersatzpflicht gesetzlich nach § 323 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) beschränkt ist, derzeit keine solche gesetzliche Haftungsbeschränkung für den Ersteller des Jahresabschlusses gibt.

Weitere offene Fragen

Außerdem besteht derzeit ein weiteres offenes Risiko für den Ersteller des Jahresabschlusses. Es ist nämlich fraglich, ob sich durch die Normierung der Warn- und Hinweispflichten am Adressatenkreis der Inhaber von Schadensersatzansprüchen etwas geändert hat. Bisher galt, dass lediglich der Mandant aufgrund des Dienstleistungsvertrags Schadensersatzansprüche gegen den Ersteller des Jahresabschlusses geltend machen konnte. Dritte hatten, trotz Schadens aufgrund der später eingetretenen Insolvenz, keinen eigenen Anspruch, weil der Mandatsvertrag keine drittschützende Wirkung entfaltet. Aufgrund der exponierten und an sich systemwidrigen Verankerung außerhalb des jeweiligen Berufsrechts der Ersteller des Jahresabschlusses könnte man aber zur Ansicht gelangen, dass der Gesetzgeber mit dem § 102 StaRUG ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) schaffen wollte. Das hätte zur Folge, dass neben den vertraglichen Schadensersatzansprüchen des Mandanten auch die deliktische Haftung für spätere Insolvenzgläubiger eröffnet wäre. Diese könnten sich dann darauf berufen, dass der Ersteller des Jahresabschlusses seinen Warn- und Hinweispflichten nicht nachkam, um somit direkte und eigene Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Ob der Gesetzgeber eine derartige Ausweitung der Schadensersatzpflicht auch auf die deliktische Haftung gewollt hat, ist fraglich, aber eben auch nicht auszuschließen. Es ist aber anzumerken, dass die Berufsverbände, insbesondere die BStBK, bereits nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs auf diese Problematik hingewiesen hat. Eine Klarstellung oder – wie gefordert – die Streichung des Paragrafen blieb jedoch aus.

Jahresabschluss ein Spätwarnsystem

Die Ausweitung der Haftung ist schließlich auch deswegen problematisch, weil der Anknüpfungspunkt – die Erstellung des Jahresabschlusses – zeitlich nachgelagert ist. Der Gesetzgeber wollte durch die Einführung des StaRUG neben dem Sanierungsverfahren zusätzlich ein Krisenfrühwarnsystem etablieren, das es dem Schuldner ermöglichen soll, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um seine Krise zu beheben. In diesem Licht müsste eigentlich auch der § 102 StaRUG gesehen werden, zumal Teil 4 des StaRUG, der den § 102 StaRUG enthält, mit „Frühwarnsysteme“ überschrieben ist. Der Jahresabschluss ist jedoch kein geeignetes Mittel für ein Frühwarnsystem, sondern eher ein Spätwarnsystem. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber im Zuge einer Evaluierung nachlegt oder was sich aus der Praxis beziehungsweise der Rechtsprechung ergibt. Zunächst muss das im Turbogesetzgebungsverfahren geschaffene StaRUG erst einmal über einen gewissen Zeitraum zur Anwendung kommen.

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Kompaktwissen für Berater „Unternehmensrestrukturierung mit dem StaRUG

Zu den Autoren

MW
Marcus Winkler

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und für Steuerrecht. Er ist Partner der WINKLER GOSSAK Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Stuttgart, aber überregional und branchenunabhängig als Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder bestellt.

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SW
Sascha Wein

Rechtsanwalt bei der WINKLER GOSSAK Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Stuttgart. Er ist auf Unternehmenssanierungen und -restrukturierungen in unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen, aber mit deutlichem Schwerpunkt im Automobilsektor spezialisiert.

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