Effektive Hilfen - 22. Dezember 2022

Wenn der Mandant in Not gerät

Im Verhältnis zur klassischen Insolvenz sind die modernen Instrumente Schutzschirm, Sanierung in Eigenverwaltung und das ganz neue Restrukturierungsverfahren Optionen, das betroffene Unternehmen nachhaltig zu retten.

Als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer sehen Sie es täglich: Die Krisen der jüngsten Zeit gehen an kaum ei­nem Unternehmen spurlos vorbei. Wurden viele schon von den Lockdowns arg gebeutelt, sitzt nun das Geld der Kunden der Mandantschaft alles andere als locker. Gleichzeitig laufen die Betriebskosten weiter. Da können selbst eigentlich solide Unternehmen ins Trudeln geraten – und Sie fragen sich beim Blick in die Bücher: Sind die eigentlich noch zu retten? Zum Glück lautet die Antwort in den meisten Fällen: Ja! Und zwar oft leichter als gedacht. Die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer in Schwierigkeiten probieren zunächst klassi­sche betriebswirtschaftliche Maßnahmen, um wieder auf ei­nen grünen Zweig zu kommen. Dazu gehören Kosteneinspa­rung, frisches Kapital, Umsatzsteigerung oder auch der Verkauf zum Beispiel besonders unrentabler Filialen oder eines Teils des Fuhrparks. Schwinden die roten Zahlen dennoch nicht, sehen die Geschäftsführer den Abgrund ungebremst auf sich zukommen. Sie sind überzeugt, dass diese Situation der Anfang vom Ende ist. Und vor etwas mehr als einer Deka­de wäre das wohl oft auch so gewesen. Doch die Zeiten ha­ben sich geändert – in diesem Fall zum Positiven.

Schuldenschnitt ohne Insolvenz

Heute stehen die Chancen, ein Unternehmen zu retten, bes­ser als je zuvor. Hier hat sich in den vergangenen Jahren von­seiten des Gesetzgebers viel getan, der spannende neue Möglichkeiten zum Schuldenschnitt geschaffen hat. Dieser ist nicht nur ein hoffnungsvoller Silber­streif am Horizont. Er ist die Rettungs­boje, die das Unternehmen sofort wieder über Wasser zieht. In vielen Fällen wird die Liquidität durch diese Maßnahme kurzfristig wiederhergestellt, denn beim Schuldenschnitt werden die Forderun­gen der Gläubiger stark gekürzt. Statt 100 Prozent der ursprünglichen Schulden muss nur noch eine auszuhandelnde Quote bezahlt werden, beispielsweise von zehn Prozent oder sogar weniger. Die Restschuld wird dem Unternehmen erlassen. Noch bis Ende 2020 war es für das Erreichen eines Schuldenschnitts notwendig, Insolvenz anzumelden.

Restrukturierungsverfahren

Mit dem 1. Januar 2021 hat sich das geändert. Seitdem gibt es das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturie­rungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). Dieses neue Ge­setz ist so etwas wie eine kleine Revolution, denn es ermög­licht das Kappen der Schulden ganz ohne Insolvenz – im so­genannten Restrukturierungsverfahren. Das leider selbst in Fachkreisen noch unbekannte Verfahren bietet vielen Betrie­ben schnelle und weitgehend unbürokratische Hilfe. Voraus­setzung dafür ist, dass das Unternehmen vor allem durch Fi­nanzverbindlichkeiten in die Bredouille geraten ist, denn nur für derartige Schieflagen ist der Schuldenschnitt im Restruk­turierungsverfahren ohne Insolvenz zugelassen.

Corona-Kredite ohne Insolvenz reduzieren

Gerade wenn eine Firma die staatlichen sogenannten Coro­na-Kredite in Anspruch genommen hat und nun vor allem mit deren Tilgung überfordert ist, ansonsten aber schon wieder gut läuft, kann das Restrukturierungsverfahren schnell, un­kompliziert und ohne bei den Kunden das geringste Aufse­hen zu erregen das Unternehmen wieder auf stabile Füße stellen. Der Vorteil der staatlichen Kredite: Sie sind nicht durch Sachwerte oder Zessionen gesichert, wie das häufig bei regulären Bankkrediten der Fall ist. Dadurch lassen sie sich mit dem Restrukturierungsverfahren effektiv reduzieren. Doch nicht nur auf die staatlichen Hilfen trifft dies zu, auch aufgelaufene Rechnungen, zum Beispiel von Lieferanten und Dienstleistern, verlieren mit dem neuen Verfahren ihren Schrecken in Sekunden.

Reduzierung der KfW-Kredite

Ein typisches Beispiel für eine erfolgreiche Sanierung mithil­fe des Restrukturierungsverfahrens ist der Fall einer Spedition. Deren Ge­schäftsführung hatte Corona-Hilfen der staatlichen Kreditanstalt für Wiederauf­bau (KfW) in Anspruch genommen, um die Lockdowns zu überstehen. Sobald es möglich war, nahm die Spedition ihren Betrieb wieder auf. Doch auch wenn die­ser sich schnell wieder in etwa auf dem Niveau von vor der Pandemie einpendel­te, reichten die Einnahmen nicht, um die Kreditraten zu tilgen. Ohne Restrukturierungsverfahren wäre das Unternehmen binnen eines halben Jahres zahlungsunfä­hig geworden. Mit Restrukturierungsverfahren hingegen konnten die KfW-Kredite um 92 Prozent gekürzt werden. Die­se Maßnahme reichte aus, um die drohende Zahlungsunfä­higkeit abzuwenden. Dabei dauerte das Verfahren lediglich zweieinhalb Monate.

Rettung für visionäre Unternehmen

Ein weiteres Beispiel ist der Fall einer Marke für nachhaltige Mode. Die Geschäftsidee des Unternehmens besteht darin, hochwertige Designmode im etwas erhöhten Preissegment absolut fair und unter ökologisch nachhaltigen Bedingungen zu entwerfen und herzustellen. Zum Konzept gehören kurze Transportwege und der lückenlos nachverfolgbare Weg der Kleidung von der Herstellung in Deutschland oder dem nähe­ren europäischen Ausland bis zum Kunden. Da die Kleidung einen exklusiven Charakter besitzt, hatte die Firma zunächst auf den Online-Handel verzichtet. Der Plan war zwar, dies langfristig zu ändern, aber dem Ausbau eines Netzwerks klei­ner Filialen sowie der Etablierung des Kontakts zu ausge­wählten Bekleidungshäusern wurde Vorrang eingeräumt. Bis Anfang 2020 wuchs der Umsatz kontinuierlich, doch dann führte die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns ab Früh­jahr 2020 zu einem massiven Einbruch des Umsatzes. Der nun eilig eingerichtete Online-Shop konnte dies kaum abfan­gen. Mit dem Kredit einer Crowdinvesting-Plattform und staatlichen Corona-Hilfen hangelte sich das Unternehmen durch diese schwierige Phase. Ab dem dritten Quartal 2021 stabilisierte sich die Nachfrage wieder, seit April 2022 über­trifft sie dank eines durch den Klimawandel gewachsenen Nachhaltigkeits- und Qualitätsbewusstseins der Kunden so­gar das Niveau vor der Krise. Auch der Online-Shop läuft mittlerweile gut. Dennoch wäre das Unternehmen ohne wei­tere Hilfe spätestens im Herbst 2022 zahlungsunfähig gewor­den. Ursache dafür sind die hohen Rückzahlungsraten, aber auch notwendige Investitionen, um die gestiegene Nachfrage zu bedienen. Außerdem gab es Änderungen in der Produkti­on. Der Schneidereibetrieb in Portugal, der als Ersatz für eine kriegsbedingt geschlossene Textilwerkstatt in der Ukrai­ne gefunden wurde, ist deutlich teurer als sein Vorgänger.

Restrukturierungsplan

Das Restrukturierungsverfahren hilft dem Mode-Label, die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Der Restrukturierungs­plan sieht vor, dass die Corona-Kredite und der Kredit von den Kleininvestoren der Crowdinvesting-Plattform mit jeweils ei­ner Einmalzahlung abgegolten werden. Gleiches gilt für For­derungen weiterer Gläubiger, die derzeit fällig sind und denen eine Kürzung im Gesamtinteresse aller Beteiligten zugemutet werden kann. Gläubiger aus dem Gesellschafterumfeld wer­den sogar zu 100 Prozent gekürzt. Auf diese Weise kann der Betrieb ohne Störungen weitergeführt werden, das Unterneh­men kann sich auf sein weiteres Wachstum konzentrieren und dabei sogar neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen.

Restrukturierung versus Sanierung in Eigenverwaltung

Um herauszufinden, ob sich das Restrukturierungsverfahren für die Sanierung eines Unternehmens eignet, sollte zunächst geprüft werden, welcher Art die besonders belastenden Ver­bindlichkeiten sind. Stellt sich bei diesem Check heraus, dass vor allem ungesicherte Finanzverbindlichkeiten die größte Hürde ausmachen, stehen die Chancen gut, die Firma durch ein Restrukturierungsverfahren in Einklang mit dem StaRUG aus der Gefahrenzone zu bringen. Ist das Unternehmen aller­dings zusätzlich zu den Schulden mit zu hohen Allgemeinkos­ten aus langfristigen Verträgen konfrontiert, ist es wichtig, zu­nächst sehr sorgfältig auszurechnen und abzuwägen, ob be­reits gekappte finanzielle Verbindlichkeiten ausreichen, um es erfolgreich aus der Krise zu führen. Durch das Restruktu­rierungsverfahren nicht verringerbare Kosten sind typischer­weise längerfristige Mietverträge der Geschäfts- und Büro­räume, das Leasing von Firmenwagen, Mobilfunkverträge und ähnliche Verpflichtungen.

Rettung in vielen Fällen möglich

Stellt sich bei dieser Prüfung heraus, dass auch finanzielle Verpflichtungen aus Verträgen maßgeblich zur Bedrängnis beitragen, ist aber noch lange nicht Hopfen und Malz verlo­ren. Dann helfen meist der sogenannte Schutzschirm bezie­hungsweise eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Sie erlauben sowohl den Schuldenschnitt als auch zusätzlich die meist fristlose Kündigung jeder Art von Verträgen.

Fazit und Ausblick

Im Vergleich zum klassischen Insolvenzverfahren, das häufig zur Zerschlagung des Unternehmens führte, sind die 2012 ins Leben gerufenen Verfahren Schutzschirm und Insolvenz in Eigenverwaltung wesentlich sanftere Optionen. Auch sie haben eine schnelle und nachhaltige Rettung des Unterneh­mens zum Ziel. Weil sie aber tiefer in die Strukturen eingrei­fen, aufwendiger sind und über längere Zeit laufen als das Restrukturierungsverfahren, sollten betroffene Unternehmen in jedem Fall zunächst herausfinden, ob für sie die mit dem StaRUG geschaffenen neuen Möglichkeiten infrage kommen. Die ersten Erfahrungen zeigen: In einem Großteil der Fälle ist das Restrukturierungsverfahren eine echte Chance.

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Zum Autor

JF
Jörg Franzke

Rechtsanwalt und Partner bei Dols | Franzke Rechtsanwälte und

Notar in Berlin. Er berät Unternehmen bundesweit zu Restrukturierung und Sanierung.

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