Business Judgement Rule - 24. November 2022

Organhaftung begrenzen

Durch die Reform im Stiftungsrecht wurde auch die Verantwortung der Vorstandsmitglieder bei Pflichtverletzungen verschärft. Ein spezielles Gutachten unterstützt hier, um die unternehmerischen Entscheidungen abzusichern.

Entscheidungen unter Unsicherheit sind immer risikobehaftet. Das gilt vor allem im Bereich Geldanlage und Verwaltung von Immobilienportfolios, bei Stiftungen insbesondere in Bezug auf die Verwaltung des Grundstockvermögens. Entscheidungsfindung von Unternehmensführungen in Unsicherheit, auch Business Judgement Rule (BJR) genannt, ergibt sich heute schon aus § 93 Aktiengesetz (AktG), der die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder regelt. Danach hat deren Handeln auf Basis angemessener Informationen zu erfolgen, die auch zu dokumentieren sind. Diese Bestimmung wurde bereits vor Verabschiedung des neuen Stiftungsrechts 2021 analog für Vorstände von Stiftungen angewandt, ist nun aber verbindlich. Eine Pflichtverletzung bei der Entscheidungsfindung in Unsicherheit liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied nachweislich bei unternehmerischen Entscheidungen mit Beurteilungs- und Ermessensspielraum – im Gegensatz zur gebundenen Entscheidung – davon ausgehen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Fehlt es am Nachweis, wird Pflichtwidrigkeit angenommen. Auch Nichthandeln kann eine Pflichtverletzung sein.

Voraussetzungen und Anwendbarkeit der BJR

In § 89 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind nun für Stiftungen Anwendbarkeit und Voraussetzungen der BJR geregelt. Dabei geht es um die unternehmerische Entscheidung mit Beurteilungs- und Ermessensspielraum, um ein Handeln auf Grundlage angemessener Informationen, um eine rationale Entscheidung ohne Partikularinteressen beziehungsweise zum Wohle der Stiftung sowie nicht zuletzt um eine zeitnahe Dokumentation. Eine Pflichtverletzung kommt folglich dann nicht in Betracht, wenn die Handelnden auf Basis angemessener Informationsgrundlagen davon ausgehen durften, dass die getroffenen Entscheidungen dem Wohle der Stiftung dienen. Asset Allocation rund um Geldanlage, Kredit und Immobilien ist das exemplarische Gefahrenfeld beim Nichthandeln. Gerade hier müssen die Entscheidungsgrundlagen sowie die vorgenommenen Abwägungen zeitnah und nachvollziehbar dokumentiert werden, um Organhaftungen zu vermeiden.

BJR-Gutachten

Unser BJR-Gutachten überprüft, ob das Anlageportfolio einer Stiftung gemäß dem gesetzlich vorgegebenen Prinzip der BJR nachvollziehbar angelegt ist, und sichert damit die Verantwortlichen ab. Dabei greifen wir auf die Kompetenz unseres Expertenrats zu. So erfolgt die Zertifizierung nach Rendite-Risiko-Verhältnis und der Nachhaltigkeit durch das Institut für Vermögensaufbau AG (IVA) beziehungsweise für das Immobilienportfolio durch Dieter Eimermacher, Buchautor für Immobilienmanagement sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zur Bewertung von Immobilien. Das Gutachten hat zudem positive Auswirkungen auf die Öffentlichkeitsarbeit, da es bei gemeinnützigen Stiftungen das Einwerben von Spenden beziehungsweise die Erschließung neuer Spender- und Zustiftergenerationen unterstützt. Klassische Fälle von Entscheidungen in Unsicherheit sind die Geldanlage und das Immobilienportfolio, bei Stiftungen insbesondere die Verwaltung des Grundstockvermögens. Generelle Erfordernisse bei Stiftungen sind der Erhalt des Grundstockvermögens sowie die Erzielung von Erträgen für den Stiftungszweck. Um beide Ziele in Zeiten einer Nullzins- beziehungsweise Niedrigzinsperiode zu erreichen, muss ein gewisses Anlagerisiko eingegangen werden.

Bausteine des Gutachtens

Um ein Anlagerisiko zu erkennen und zu minimieren, muss zunächst das Rendite- und Risikoverhältnis überprüft werden. Renditen entstehen immer innerhalb der realen Wirtschaft. Wertpapiere, wie etwa Anleihen oder Aktien, sind lediglich die Vehikel, mit denen Renditen zu den Investorenfließen, die das Kapital bereitgestellt haben. Jede Rendite hat dementsprechend einen Sponsor – in der Regel ein Unternehmen oder den Staat. Kein Sponsor zahlt freiwillig zu viel. Kapitalanlagen müssen für das Anlagerisiko angemessene Erträge aufweisen, um bei der Verteilung des mehr oder weniger knappen Kapitals durch die Anlegerinnen und Anleger Berücksichtigung zu finden. Am Kapitalmarkt gibt es nichts geschenkt. Das heißt, Renditen lassen sich nur erzielen, wenn dafür auch Risiken in Kauf genommen werden. Sie im Portfolio zu erkennen, hilft die Ertragskraft abzusichern. Beispielsweise steigt bei einer Anleihe mit zunehmender Laufzeit die Gefahr, dass ihr Marktwert infolge steigender Zinsensinkt. In dieser Situation lassen sich Anleihen mit niedrigeren Zinsen nur noch mit Abschlag verkaufen. Weiter zu beachten ist das Kreditausfallrisiko. Es umfasst Verluste, die dadurch entstehen, dass ein Kreditnehmer die ihm obliegenden Verbindlichkeiten nicht fristgerecht oder nicht in voller Höhe bedienen kann. Es wird in Form eines Ratings zwischen AAA (höchste Bonität) bis C (problematische Bonität) bewertet. Um die langfristigen Chancen und die Risiken eines Portfolios im Einzelnen beurteilen zu können, ist ein hohes Maß an Sachkenntnis erforderlich. Daher lohnt sich ein externes Gutachten zur Prüfung und Sicherstellung der Qualität für jeden größeren Kapitalanleger, in diesem Kontext für die Stiftung beziehungsweise den Stiftungsgründer. Hier stellt das BJR-Gutachten das fachliche Urteil eines unabhängigen Dritten bereit. Es basiert auf einem regelmäßigen Prüfprozess, dessen Ergebnisse in einer für die Beteiligten nachvollziehbaren Art und Weise gutachterlich dokumentiert sind.

Aspekte der Nachhaltigkeit

Aktuell steht die Nachhaltigkeit besonders im Fokus. Eine allgemein anerkannte Definition von Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage gibt es bis heute nicht. Es herrscht allerdings zumindest Einigkeit darüber, dass bei der Bewertung von Nachhaltigkeit bei wirtschaftlichen Aktivitäten zumindest drei Ebenen unterschieden werden. Auf der Umweltebene (Environment) geht es insbesondere um Auswirkungen auf die natürliche Umwelt, wie zum Beispiel Kohlendioxidemissionen oder Wasserverbrauch. Die Soziale Ebene (Social) behandelt insbesondere Auswirkungen auf die beteiligten beziehungsweise betroffenen Personen; hier geht es beispielsweise um Arbeitssicherheit oder Datenschutz. Auf der Regelungsebene (Governance) sind Auswirkungen der Regeln zu beachten, nach denen agiert wird, wie etwa Vergütungsstrukturen oder die Bekämpfung von Korruption.

ESG-Bewertungen

Die im BJR-Gutachten dargestellten Bewertungen zu Environment, Social und Governance, kurz: ESG-Bewertungen, basieren auf den Ratings etablierter ESG-Datenanbieter, konkret von ISS ESG, Refinitiv, ESG Data und CSRHub, mit unterschiedlichen Sichtweisen von Nachhaltigkeit und unterschiedlichen Herangehensweisen. Im Rahmen einer abwägenden Synopse wird der gemeinsame Nenner zur ESG-Bewertung im BJR-Gutachten ermittelt. Nachhaltiges Investieren führte in der Vergangenheit zu keinem Renditenachteil, über die Auswirkungen auf das allgemeine Anlagerisiko gibt es hingegen weniger Studien. Einerseits verringern nachhaltige Unternehmen ihre Risiken, was auch das Portfoliorisiko verringert. Andererseits haben auch alle nachhaltigen Investitionsmethoden gemeinsam, dass sie damit zugleich auch Wertpapiere ausschließen. Dies vermindert die Risikostreuung, bei einem Ansatz mehr, beim anderen weniger. Der Effekt wird dadurch verschärft, dass Aktivitäten, die üblicherweise vermieden werden, nicht gleichmäßig über alle Sektoren des Gesamtmarkts verteilt sind, sondern in bestimmten Branchen, etwa der Energieversorgung, dem Verkehr oder der Unterhaltung, deutlich häufiger anzutreffen sind als in anderen. Dadurch steht ein rein an Nachhaltigkeitsüberlegungen orientiertes Portfolio in der Gefahr, relativ zum Gesamtmarkt problematische Klumpenrisiken aufzuweisen. Eine solide Analyse der Anlagerisiken ist bei nachhaltigen Portfolios also besonders wichtig.

Immobilien

Auch Immobilien unterliegen vielfältigen Risiken, die insbesondere bei der Vermietung, Bewirtschaftung oder Finanzierung auftreten können. Hinzu kommen oft aber auch noch Umwelt- und operationelle sowie politische Risiken, die kaum vorhersehbar sind. Schließlich können sich noch Probleme aus einer Wertänderung der Immobilie ergeben und nun zunehmend auch aufgrund der an Relevanz gewinnenden Fragen zur Nachhaltigkeit.

Fallbeispiel

Der Vorstand einer Stiftung war hocherfreut, dass man für die Stiftung günstig ein Wohn- und Geschäftshaus in einer Kleinstadt erwerben konnte. Neben den sechs Wohnungen versprach auch der Gewerbemieter im Erdgeschoss, eine der größten Drogeriemarktketten in Deutschland, eine hohe Sicherheit der Einnahmen. Der Drogeriemarkt war schon lange in der Kleinstadt vertreten und erfreute sich in der Bevölkerung großer Beliebtheit. Umso größer war das Entsetzen, als in den Medien von der Insolvenz dieser Drogeriemarktkette berichtet wurde. Die Insolvenz mündete in der kurzfristigen Kündigung des Mietvertrags durch den Insolvenzverwalter sowie der Räumung des Ladenlokals. Bei den Bemühungen um einen Nachmieter aus der Drogeriebranche stellte sich heraus, dass die Ladenfläche von allen infrage kommenden Unternehmen als zu klein eingestuft wurde. Das Ladenlokal konnte daher nur noch an einen Restpostenmarkt zu empfindlich schlechteren Konditionen vermietet werden. Die negativen Folgen waren außer einem temporären Mietausfall ein dauerhaft niedrigerer Cashflow, ein schlechteres Image der Immobilie sowie Wertverlust.

Prozesse und Investments dokumentieren

Für Unternehmen und Stiftungen lohnt es sich deshalb, eine Dokumentation der Anlageprozesse und Investments zu erstellen. In der Innenwirkung können vorhandene Klumpenrisiken erkannt werden, in der Außenwirkung wird Stiftern, Spendern und Vorständen die verantwortungsvolle Auswahl der Anlage gezeigt. Durch das BJR-Gutachten können Unternehmen und Stiftungen die Bereiche „Ausgewogenes Rendite-Risikoverhältnis“, „ESG-Konformität“ sowie „Immobilie“ zertifizieren und eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Umsetzung von Anlagerichtlinien sowie die nachhaltige Sicherung dokumentieren. Auf diese Weise können Vorstände, Geschäftsführer und Stiftungsverantwortliche Haftungsrisiken begrenzen und sich auf das Tagesgeschäft konzentrieren.

Zu den Autoren

MS
Manfred Speidel

Steuerberater in München; StiftungsMentor

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MS
Michael Schurr

Stiftungsbeauftragter und Pressesprecher bei StiftungsMentor

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