Aktionärsrechte - 16. Oktober 2023

Für effektiven Rechtsschutz sorgen

Für Kapitalanleger fehlt es an kollektiven und vor allem effektiven Klageformen. Denn die bestehenden Möglichkeiten sind nicht mehr als ein Sammelsurium kaum funktionierender Rechtsmittel.

Die Aktionärskultur in Deutschland wird vom nationalen Gesetzgeber weiterhin stiefmütterlich behandelt. So ging es vor längerer Zeit um den Ausbau der Mitarbeiterbeteiligung, die nie kam. Und in den vergangenen Jahren wurden insbesondere die Aktionärsrechte sukzessive abgebaut. Im Koalitionsvertrag 2017 versprach man noch, die Stellung von Minderheitsaktionären zu stärken. Ein hehres Ziel, das jedoch auch komplett verfehlt wurde. Bedauerlicherweise hat man keine klare Regelung dafür gefunden, verdrängte Aktionäre bei Squeeze-outs und Delistings adäquat – also nach dem Ertragswert der Aktie – abzufinden, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gefordert hatte. Daher können die Gerichte heute Verluste der Mitgliedschaft in einer Gesellschaft rein nach Börsenwert abfinden. Dieser Börsenwert macht aber gerade nicht den intrinsischen Wert eines Anteils aus. Auf diese Weise können große Kapitalgeber nach der geltenden Rechtslage günstig an Aktien kommen.

Kein guter Rechtsschutz für Anleger

Für die Jahreshauptversammlungen hat man den Aktiengesellschaften eine virtuelle Durchführung gestattet, in Fortführung der Pandemienotfallregelung. Dies beschneidet viele Mitwirkungsrechte der Aktionäre, die nur bei einer Präsenzveranstaltung ausgeübt werden können, und widerspricht der Aktionärsdemokratie. Auch der nachgelagerte Rechtsschutz für Anleger ist in Deutschland nicht effektiv. Als den Aktionären vor Jahren in den Verkaufsunterlagen der Aktien eines großen Konzernunternehmens falsche Versprechungen gemacht wurden, musste der Gesetzgeber aufgrund der großen Anzahl betroffener Anleger sowie des öffentlichen Drucks das sogenannte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) verabschieden. Damit sollten Geschädigte über einen ausgewählten Musterkläger ihren Schaden kollektiv einklagen können.

Reform des KapMuG steht aus

Der kollektive Rechtsschutz ist im Prinzip ein probates Mittel, um eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle gebündelt zu verhandeln. Das entlastet die Justiz und soll zu schneller Rechtsfindung führen. Doch genau daran hapert es beim KapMuG. Im Beispiel des Verfahrens mit dem oben genannten Konzern vergingen vom Prozessbeginn bis zum Vergleichsschluss 19 Jahre. Das BVerfG kritisierte die lange Prozessdauer und sah darin einen „Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie“ des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Dem Gesetzgeber ist die Thematik also bekannt. Dennoch ist bis heute nichts geschehen, um das KapMuG zu reformieren. Gerade weil dieses wichtige Verfahren so viele Anleger betrifft, ist es enorm wichtig, es auf die richtigen Füße zu stellen. Zumal seinerzeit eine sogenannte Sunset Clause eingebaut wurde, die das Auslaufen des Gesetzes zum Ende des Jahres 2020 vorsah. Bei einer Sachverständigenanhörung im September 2020 wurde von den Experten eine Verlängerung des KapMuG bis Ende dieses Jahres vorgeschlagen, um bis dahin die von Professoren, Richtern und Praktikern erarbeiteten Reformvorschläge umzusetzen. Dem folgend wurde das KapMuG verlängert und dient heute als Grundlage für ein weiteres, aktuelles Verfahren. Nun gibt es seit Ende 2021 eine neue Regierung, die laut Koalitionsvertrag eine weitgehende Reform beim kollektiven Rechtsschutz vorsieht. Denn im Koalitionsvertrag steht: „Wir bauen den kollektiven Rechtsschutz aus. Bestehende Instrumente, wie zum Beispiel nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, modernisieren wir und prüfen den Bedarf für weitere.“

Keine Zeit für eine Modernisierung

Bisher hat das Bundesjustizministerium (BMJ) das KapMuG noch nicht modernisiert. Bis vor Kurzem schien man gar nicht bemerkt zu haben, dass es am 31. Dezember 2023 ausläuft. Ein Wegfall dieser Verfahrensform würde für Tausende von Klägern in den aktuellen Verfahren einen Super-GAU bedeuten. Manche der beteiligten Rechtsanwälte hielten dies aber sogar für einen Vorteil, weil die Geschädigten dann individuell weiterklagen könnten. Dem KapMuG fehlt nämlich bisher eine Opt-out-Möglichkeit, die es mutigen Anlegern ermöglichen würde, bei sich endlos hinziehenden Verfahren auszusteigen und auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko selbst zu klagen. Einem Hinweis des Bundestagsrechtsausschusses zufolge hat das BMJ nun zwar eine Verlängerung des KapMuG bis zum 31. August 2024 bekannt gegeben. Dieser kurze Zeitraum bedeutet allerdings auch, dass der Koalition jetzt nur noch etwas mehr als ein halbes Jahr bleibt, um die angekündigte Modernisierung des Anlegerverfahrens umzusetzen. Bisher liegt aber kein Referentenentwurf vor. Hauptziel dieser Reform müsste sein, das Verfahren erheblich zu beschleunigen.

Schleppende juristische Aufarbeitung

Wann es in den aktuell laufenden Verfahren zu Entschädigungen kommt, steht in den Sternen. Denn drei Jahre nach Klageerhebung ist nicht absehbar, wann hier Urteile ergehen. Die schleppende juristische Aufarbeitung in diesen Verfahren halten nicht wenige für einen Skandal. Die deutsche Justiz arbeitet im Schneckentempo, insbesondere im Bereich von Finanzstraftaten und bei Anlegerklagen. In den USA wird hier viel schneller und viel energischer Recht gesprochen und den beteiligten Klägern werden hohe Entschädigungssummen zugesprochen. Dort ist der kollektive Rechtsschutz ein scharfes Schwert, weil die Unternehmen Sammelklagen fürchten.

Ineffektive Klagen

Hierzulande hat man für den Verbraucherschutz die Verbandsklage der Europäischen Union (EU) eingeführt, die geschädigten Verbrauchern und Kleinunternehmen erlaubt, sich klageführenden Verbraucherverbänden anzuschließen. Leider ist diese Abhilfeklage genauso ineffektiv wie die daneben weiter bestehende Musterfeststellungsklage. Klagebefugt ist nämlich nicht der Verbraucher, sondern nur ein Verband. Für Aktionäre und andere Anleger ist die Verbandsklage daher nicht hilfreich, da es insoweit an klagefähigen Verbänden fehlt. Hier wurden gesetzlich viel zu hohe Hürden aufgebaut. Der Forderung einiger Sachverständigen nach einer Gesamtlösung des kollektiven Rechtsschutzes, nach der jeder von Masseschäden betroffener Bürger selbst entscheiden kann, ob er einem Musterverfahren beitritt oder selbst eines initiiert, wurde leider nicht gefolgt. So bleibt es weiterhin bei einem Sammelsurium von nicht funktionierenden Klageformen, die letztendlich dazu beitragen, dass Deutschland beim kollektiven Rechtsschutz kein gutes Bild abgibt.

Zum Autor

RP
Robert Peres

Rechtsanwalt in Berlin und Wiesbaden und Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre e. V.

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