VRUG - 18. August 2023

Mit Verspätung beschlossen

Deutlich nach der gesetzten Frist wurde hierzulande nun die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie beschlossen. Als kollektive Leistungsklage wird die neue deutsche Abhilfeklage die Prozesslandschaft eher um ein weiteres Element ergänzen, als sie zu entlasten.

Nach zähem Ringen im Gesetzgebungsverfahren hat der Bundestag am 7. Juli 2023 das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) verabschiedet. Damit wird erstmals eine kollektive Leistungsklage, die Abhilfeklage, eingeführt. Sie wird neben der Musterfeststellungsklage im neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) geregelt. Mit dem VRUG wird die sogenannte Verbandsklagenrichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/1828) umgesetzt. Aufgrund der notwendigen Beteiligung des Bundesrats wird das Gesetz frühestens im September in Kraft treten. Deutschland hat nicht nur die Umsetzungsfrist der Verbandsklagenrichtlinie am 25. Dezember 2022, sondern auch die Anwendungsfrist am 25. Juni 2023 gerissen. Damit ist Deutschland nicht allein. In den meisten europäischen Staaten dauern die Diskussionen und Gesetzgebungsverfahren noch an.

Bereits jetzt stellen sich zahlreiche Fragen. Wie ist der Anwendungsbereich der Abhilfeklage? Welche Fälle werden Gegenstand von Abhilfeklagen werden? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Klage zulässig ist? Wie läuft die Abhilfeklage ab? Muss sich der Verbraucher aktiv beteiligen? Wie sind die Regelungen zur Verjährung?

Anwendungsbereich

Gegenstand der neuen Abhilfeklage sind alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche und Rechtsverhältnisse einer Vielzahl von Verbrauchern gegen ein Unternehmen betreffen (§ 1 Abs. 1 VDuG). Deutschland setzt die Verbandsklagenrichtlinie damit überschießend um. Nach der Richtlinie muss das Verbandsklageverfahren nur bei Verletzung von bestimmten im Annex I genannten Verbraucherschutzbestimmungen, etwa aus den Bereichen Bank- und Kapitalmarktrecht, Versicherungs- und Medizinrecht, Produkthaftungsrecht, Energie, Datenschutz, Verkehr und Digital Markets zur Verfügung stehen. Die Richtlinie will den europäischen Verbraucherschutznormen ein wirksames und europaweit verfügbares Instrument zur kollektiven Durchsetzung zur Verfügung stellen. § 1 Abs. 2 VDuG stellt kleine Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von nicht mehr als zwei Millionen Euro mit Verbrauchern gleich. Auch darin liegt eine überschießende Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie.

Klagebefugnis

Der einzelne Verbraucher kann keine Abhilfeklage erheben. Klagebefugt sind qualifizierte, inländische Verbraucherverbände, die in der Liste nach § 4 Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) eingetragen sind und nicht mehr als fünf Prozent ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 VDuG). Auch klageberechtigte, qualifizierte Einrichtungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten sind in Deutschland klagebefugt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VDuG). Umgekehrt können deutsche Verbände nach der Verbandsklagenrichtlinie entsprechende Klagen auch in anderen Mitgliedstaaten erheben. Abhängig davon, wie andere Mitgliedstaaten die Abhilfeklage ausgestalten, kann ein Wettbewerb der Rechtsordnungen entstehen, da die Verbandsklagenrichtlinie nur Mindestanforderungen regelt. Insbesondere Unternehmen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind, werden sich auf ein Nebeneinander verschieden ausgestalteter Verbandsklagen in den Mitgliedstaaten einstellen müssen.

In Deutschland ist das Oberlandesgericht (OLG), in dessen Gerichtsbezirk das verklagte Unternehmen seinen Sitz hat, zuständig (§ 3 Abs. 1, Abs. 2 VDuG). Damit wird eine Instanz gespart.

Gleichartigkeit von Ansprüchen

Mit der Abhilfeklage sollen „im Wesentlichen gleichartige Ansprüche“ von Verbrauchern gebündelt werden können (§ 15 Abs. 1 S. 1 VDuG). Dies setzt voraus, dass Ansprüche auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe von im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte beruhen und für die Ansprüche die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind (§ 15 Abs. 1 S. 2 VDuG). Nach Kritik des Bundesrats sind die Anforderungen an die Gleichartigkeit deutlich gesenkt worden. Die Entscheidung, was im Wesentlichen vergleichbare Sachverhalte und was im Wesentlichen gleiche Tatsachen- und Rechtsfragen sind, bleibt mangels weiterer Vorgaben des Gesetzgebers den Gerichten überlassen. Die Frage der Gleichartigkeit wird ein zentraler Streitpunkt der neuen Abhilfeklage sein.

Die klageberechtigte Stelle muss in der Klageschrift nachvollziehbar darlegen, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sind (§ 4 Abs. 1 VDuG). Es ist jedoch kein Nachweis einer tatsächlichen Betroffenheit erforderlich.

Finanzierung

Eine Prozessfinanzierung macht die Abhilfeklage nur im Ausnahmefall unzulässig (§ 4 Abs. 2 VDuG). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Prozessfinanzierer ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von mehr als zehn Prozent versprochen wird. Der Verband hat dem Gericht stets die Herkunft der Mittel für die Finanzierung der Klage offenzulegen (§ 4 Abs. 3 S. 1 VDuG). Bei einer Drittfinanzierung sind darüber hinaus die Finanzierungsvereinbarungen offenzulegen (§ 4 Abs. 3 S. 2 VDuG). Da das Unternehmen bei Verurteilung nur an berechtigte angemeldete Verbraucher leisten darf (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/7631, S. 110), muss der Prozessfinanzierer eine vertragliche Vereinbarung mit den angemeldeten Verbrauchern über die Zahlung der Erfolgsbeteiligung treffen. Dies dürfte für die Prozessfinanzierer zu erheblichen praktischen Herausforderungen führen.

Ablauf der Klage

Bei der neuen Abhilfeklage existieren drei Modelle. Im ersten Modell wird eine Zahlung an namentlich benannte Verbraucher vom Verband begehrt (§ 16 Abs. 1 S. 2 VDuG). Das Gericht entscheidet durch Urteil über die Zahlung an die benannten Verbraucher oder die Klageabweisung. Dieses Modell dürfte in der Praxis nur begrenzte Bedeutung haben, da der Verband den Kreis der anspruchsberechtigten Verbraucher in der Regel jedenfalls bei Erhebung der Klage nicht namentlich kennt. Bei einem klar abgrenzbaren und bekannten Kreis potenziell Geschädigter könnte es aber ein geeignetes Instrument sein und ein zügiges und kostengünstiges Verfahren bieten.

Das zweite Modell dürfte der Hauptanwendungsfall der Abhilfeklage werden. Die Klage ist dann auf Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags oder auf eine andere Leistung gerichtet und gliedert sich in drei Verfahrensabschnitte:

  • ein gerichtliches Abhilfeverfahren (§§ 16 –21 VDuG),
  • ein Umsetzungsverfahren (§§ 22 –38 VDuG) und
  • etwaige gerichtliche Anschlussverfahren (§§ 39, 40 VDuG).

Das Gericht erlässt ein Abhilfegrundurteil, wenn es die Abhilfeklage dem Grunde nach für begründet hält (§ 16 Abs. 1 S. 1 VDuG). Nach dem Abhilfegrundurteil soll das Gericht die Parteien zur Unterbreitung eines Vergleichsvorschlags auffordern (§ 17 VDuG). Kommt kein Vergleich zustande, entscheidet das Gericht durch Abhilfeendurteil (§ 18 VDuG). Bei einer Zahlungsklage tenoriert das Gericht nach Schätzung einen kollektiven Gesamtbetrag, der zu Händen des Sachwalters zu zahlen ist.

Im dritten Modell können die Parteien das zweite Modell abwandeln und beantragen, dass direkt ein Urteil ergeht, indem Abhilfegrund- und Abhilfeendurteil zusammengefasst werden (§ 16 Abs. 4 VDuG). Voraussetzung ist, dass die Bemühungen um einen Vergleich aussichtslos erscheinen.

Beim Umsetzungsverfahren im zweiten und dritten Modell richtet der gerichtlich ernannte Sachwalter einen Umsetzungsfonds ein und prüft auf der Grundlage der im Abhilfegrundurteil bestimmten Parameter, ob der vom Verbraucher geltend gemachte Anspruch berechtigt ist (§§ 27, 28 VDuG). Der Entscheidung des Sachwalters können sich jeweils auf Antrag von Verbraucher und Unternehmen ein Widerspruchsverfahren vor dem Sachwalter (§ 28 Abs. 2 VDuG) sowie eine gerichtliche Entscheidung über den Widerspruch anschließen (§ 28 Abs. 4 VDuG). Wurde die Berechtigung des Verbrauchers (teilweise) verneint, steht diesem der Weg einer Individualklage offen, sofern er nicht schon hätte Widerspruch einlegen können (§ 39 VDuG). Zudem kann das Unternehmen gestützt auf Einwendungen, mit denen es im Abhilfeverfahren oder im Widerspruchsverfahren nicht gehört wurde, Herausgabe vom Verbraucher verlangen (§ 40 VDuG).

Individuelle Teilnahme

Der Gesetzgeber hat sich bei der Abhilfeklage für das sogenannte Opt-in-Modell entschieden. Dies bedeutet, dass sich die Verbraucher aktiv der Abhilfeklage durch eine Anmeldung zur Eintragung im Verbandsklageregister beim Bundesamt für Justiz anschließen müssen. In anderen Jurisdiktionen, etwa in den Niederlanden, gilt das sogenannte Opt-out-Modell; hier sind Verbraucher grundsätzlich erfasst und müssen aktiv erklären, nicht von der Verbandsklage erfasst sein zu wollen. Die Anmeldung zur Eintragung in das Verbandsklageregister muss bis zum Ablauf von drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen (§ 46 Abs. 1 VDuG). Da ein Urteil frühestens sechs Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergehen darf (§ 13 Abs. 4 VDuG), müssen sich Verbraucher stets vor einem Urteil anmelden. Der späte Zeitpunkt des Opt-in dürfte in der Praxis vor allem einen Vergleich während des Verfahrens erschweren, wenn die Zahl teilnehmender Verbraucher unklar bleibt.

Verjährungshemmung

Eine Hemmung der Verjährung tritt durch Erhebung der Abhilfeklage für Ansprüche ein, die Gegenstand der Klage sind, wenn die Verbraucher ihre Ansprüche zum Verbandsklageregister anmelden (§ 204a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB). Die Verjährungshemmung gilt bei Abhilfeklagen aber nicht für Altfälle (Art. 9 VRUG). Da die Er-hebung einer Musterfeststellungsklage die Verjährung auch in Altfällen hemmt, wäre naheliegend, dass Verbände zumindest bei Altfällen allein oder zusätzlich zur Abhilfeklage auf eine Musterfeststellungsklage zurückgreifen.

Fazit und Ausblick

Der deutsche Gesetzgeber ist mit der Einführung der Abhilfeklage über die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie hinausgegangen. Ob es dem dreistufigen Regelverfahren gelingt, wirklich die erhoffte Zahl von Ansprüchen zu konzentrieren und damit zu einer Entlastung der Gerichte und einer effektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten zu führen, bleibt abzuwarten. Aus Unternehmenssicht dürfte die Abhilfeklage die Prozesslandschaft eher um ein weiteres Element neben Individualklagen und Inanspruchnahmen durch Legal-Tech-Unternehmen und Rechtsdienstleister ergänzen, als diese zu ersetzen. Damit die Abhilfeklagen in ihrem Streitgegenstand nicht ausufern und sich die Streitigkeiten in das Umsetzungsverfahren oder nachgelagerte Rückforderungsklagen verlagern, ist das Zulässigkeitskriterium der Gleichartigkeit präzise vom Gericht zu bestimmen.

Zu den Autoren

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Dr. Barbara Schmitt-Lampe

Associated Partnerin der Kanzlei Noerr

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Dr. Henner Schläfke

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