Ende 2019 hat sich der Gesetzgeber wieder einmal selbst übertroffen. Beim Versuch, das Thema Grundsteuer zu regeln, entstanden Normen, die wohl wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen werden.
In weniger als 90 Minuten, also mit ganz heißer Nadel, wurde im Bundestag am 18. Oktober vergangenen Jahrs in zweiter und dritter Lesung sowie in namentlicher Abstimmung – gegen die Stimmen von FDP und AfD, bei Stimmenthaltung der Linken – das Grundsteuer-Reformgesetz beschlossen. Die Zustimmung des Bundesrats erfolgte dann am 8. November 2019. Damit steht meines Erachtens – leicht erkennbar – fest, dass ein eindeutig verfassungswidriges Gesetz auf den Weg gebracht worden ist (siehe hierzu auch meinen Artikel im DATEV magazin 07/19, Heilen oder beerdigen – nachfolgend kurz Dm 07/19 genannt).
Rechtfertigung erforderlich
Für das Grundsteuergesetz gilt, dass hierfür eine Rechtfertigung gegeben sein muss. Und genau diese Rechtfertigung fehlt beim Grundsteuer-Reformgesetz, weil die darin enthaltenen Bewertungsregeln eindeutig nicht dazu geeignet sind, den Belastungsgrund für die Grundsteuer B zu erfassen (siehe dazu Urteil des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG vom 10.04.2018). Da die Grundsteuer dem früheren Ertragsteuersystem entstammt, hätte sie mit der Einführung der (personenbezogenen Ertragsteuer) Einkommensteuer eigentlich bereits abgeschafft werden müssen. Das ist nur deshalb nicht geschehen, weil für eine zusätzliche Belastung durch die – jetzt nur noch sachbezogene – Grundsteuer B die relativ enge Beziehung zwischen bestimmten gemeindlichen Leistungen und der Nutzung von Wohngrundstücken spricht [siehe hierzu Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen (BMF), Heft 41 der Schriftenreihe des BMF, Februar 1989, S. 35ff.]. Also auch nur insoweit ist noch eine Rechtfertigung für die Grundsteuer B gegeben und auch nur insoweit ist noch eine Anrechnung dieser bestimmten gemeindlichen Leistungen für die zur Rechtfertigung der Grundsteuer B notwendigen Äquivalenz möglich. Dies ist durch den Bundesfinanzhof, Bezug nehmend auf das BVerfG, auch bestätigt beziehungsweise konkretisiert worden. Danach rechtfertigt sich die Grundsteuer in ihrer Eigenschaft als Objektsteuer beziehungsweise gemäß § 3 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) als Realsteuer durch ihre örtlich radizierbare Verknüpfung mit den durch die Grundstücke verursachten Lasten (Kosten) für die Gemeinde (siehe dazu BFH-Urteil vom 19.07.2006, II R 81/05, BVerfG vom 27.05.1992, 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90). Also nur sachbezogene Kosten, die die Objekte (Grundstücke/wirtschaftliche Einheiten) verursachen, rechtfertigen diesbezüglich die Festsetzung und Erhebung der Grundsteuer, da nur sie dem Bereich der notwendig erforderlichen Äquivalenz zuzurechnen sind. Und dabei handelt es sich um die Kosten für die materiell-technische Infrastruktur zur Grundversorgung mit technischen Infrastruktureinrichtungen der Ver- und Entsorgung sowie zur Sicherstellung einer guten Erreichbarkeit der Grundstücke für den Personen- und Güterverkehr. Welche Kosten hier im Einzelnen zur Äquivalenz herangezogen werden dürfen, siehe Dm 07/19.
Grundsteuer als Objektsteuer
Im Übrigen knüpft die Grundsteuer entsprechend ihrem Charakter als Objektsteuer ausschließlich an das Vorhandensein einer Sache (wirtschaftliche Einheit des Grundbesitzes) an, keineswegs jedoch, wie zur Begründung des Grundsteuer-Reformgesetzes angegeben, an das Innehaben von Grundbesitz. Und die Grundsteuer als Realsteuer belastet deshalb diese Sache ohne Rücksicht auf den Grundstücksertrag und auf die persönlichen Verhältnisse sowie die persönliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers (siehe dazu BVerfG-Beschluss vom 25.10.1977 – 1 BvR 15/75 und Ostendorf in NWB Nr. 46 vom 09.11.1992, S. 3769ff. sowie Eisele in NWB Nr. 39 vom 22.09.2003, S. 3037ff.). Selbst Leerstand beendet nicht die Steuerpflicht beziehungsweise die Grundsteuerbelastung (siehe § 34 Grundsteuergesetz). Es ist deshalb auch völlig ohne Auswirkung auf die Belastung mit Grundsteuer B, ob etwa in einem Einfamilienhaus eine oder sechs Personen wohnen beziehungsweise ob davon eine oder mehrere Personen Wahlleistungen der Gemeinde (zum Beispiel Schwimmbad) in Anspruch nehmen oder nicht – oder ob eine oder mehrere Personen der gesetzlich verordneten Schulpflicht nachkommen müssen oder nicht. Und dass die Person Leerstand erst gar nicht personenbezogene Leistungen der Gemeinde in Anspruch nehmen kann, dürfte ohnehin jedermann klar sein. Somit ist auch ohne jeden Zweifel klar, dass die Grundsteuer keine soziale Komponente beinhaltet. Dem Bürger steht lediglich in Ausnahmefällen der Bitte-bitte-Weg offen, also die Möglichkeit des Erlasses gemäß § 163 beziehungsweise § 227 AO.
Selbst Leerstand beendet nicht die Steuerpflicht beziehungsweise die Grundsteuerbelastung.
Personenbezogene Leistungen
Unzweifelhaft ist damit auch, dass personenbezogene Leistungen der Gemeinden für die Nutzung von Wohngebäuden nicht erforderlich und demzufolge auch nicht mit als Rechtfertigung der Grundsteuer B herangezogen werden dürfen. Genau dies wird aber – völlig unhaltbar – zur Rechtfertigung des Grundsteuer-Reformgesetzes getan. So werden beispielsweise Kosten für Schwimmbäder und Bibliotheken als Rechtfertigung herangezogen. Immerhin sind für Schwimmbäder sogar Eintrittsgelder zu entrichten. Und wenn diese nicht kostendeckend bemessen werden, so liegen hier eindeutig personenbezogene Gründe beziehungsweise soziale Kosten vor, die in den Bereich des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer entfallen. Und auf keinen Fall aber werden Wahlleistungen der Gemeinden durch die Grundstücke verursacht.
Bewertungsrecht ungeeignet
Des Weiteren ist das Bewertungsrecht überhaupt nicht dazu geeignet, Grundsteuerzwecken zu dienen (siehe auch Dm 07/19). Denn beispielsweise besteht zwischen dem Wert eines Einfamilienhauses und den der Gemeinde entstehenden Kosten für die Straßenbeleuchtung absolut kein Zusammenhang. Eine Rechtfertigung für das Grundsteuer-Reformgesetz scheidet insoweit ohnehin von vornherein aus.
Fehlende Hebesatzbegrenzung
Auch fehlt in dem Grundsteuer-Reformgesetz eine Bestimmung über eine Belastungsobergenze. Diese Belastungsobergrenze wird entscheidend geprägt durch die Grundsteuerhebesätze und deren große Hebelwirkung. In den letzten Jahren war dann auch ein regelrechter Grundsteuerhebesatz-Erhöhungsrausch zu beobachten – ohne die von den Grundstücken verursachten Kosten zu berücksichtigen. Selbst nach dem Urteil des BVerfG vom 10. April 2018 und der festgestellten Verfassungswidrigkeit haben die Gemeinden gleichwohl noch Grundsteuerhebesätze erhöht; dafür fehlt jedes Verständnis, ein eklatanter Verstoß gegen Treu und Glauben und ein Hinweis dafür, was zukünftig von Gemeinden zu erwarten wäre, sofern die zwingend notwendige Veränderung des Grundsteuer-Reformgesetzes ausbleiben sollte. Ganz besonders schlimm ist dabei, dass speziell die Verwaltungsgerichte (VG) bisher jede noch so hohe Grundsteuerhebesatzerhöhung in schöner Regelmäßigkeit abgesegnet haben, wobei die Urteilsbegründungen jeweils schnell klare Fehlurteile erkennen ließen. So hat etwa das VG Schleswig mit Urteil vom 6. März 2019 (4 A 612/17) wie auch viele andere Gerichte in der Zeit davor eine Grundsteuerhebesatzerhöhung von 480 Prozent auf 690 Prozent mit der völlig unhaltbaren Begründung auf Haushaltsrecht und nicht vorliegende Erdrosselungswirkung abgesegnet. Es ist deshalb die Pflicht des Gesetzgebers, dafür Sorge zu tragen, dass eine Grundsteuerhebesatzbegrenzung gesetzlich verankert wird. Immerhin hat sogar das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) schon darauf hingewiesen, dass das Grundsteuergesetz bisher keinen allgemein vorgeschriebenen Höchstsatz für den Grundsteuerhebesatz vorsehe (BVerwG, Beschluss vom 26.10.2016 – 9 B 28/16).
Fehlende Öffnungsklausel
Darüber hinaus fehlt in dem Grundsteuer-Reformgesetz eine Art Öffnungsklausel für Grundsteuerhebesätze, die den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, für einzelne Ortsteile einen abweichenden, niedrigeren Hebesatz festzusetzen. Nur so kann beispielsweise für die Vielzahl von Privatstraßen in Niedersachsen, für die anstelle der Gemeinde die Anlieger die vollständigen Kosten für die materiell-technische Infrastruktur tragen, eine zu rechtfertigende Lösung gefunden werden (siehe dazu auch Dm 07/19). Und nur so kann schließlich auch eine aus Klimaschutzgründen zu rechtfertigende Lösung gefunden werden. Nach dem bisherigen Grundsteuer-Reformgesetz beziehungsweise infolge der Öffnungsklausel für die Länder würden große Grundstücke im ländlichen Raum stärker mit Grundsteuer belastet werden; einmal abgesehen davon, dass zwischen der Grundstücksgröße und beispielsweise den Kosten für die Straßenbeleuchtung kaum ein Zusammenhang hergestellt werden kann.
Größere Grundstücke begünstigen
Mit einem niedrigeren Grundsteuerhebe-satz könnten insbesondere die größeren Grundstücke begünstigt werden, auf denen mit hohem Kostenaufwand Bäume, Sträucher und Stauden angeschafft und gepflanzt sowie etwa Blumenwiesen angelegt worden sind, sodass viele paradiesähnliche Verhältnisse für Vögel, Insekten, Igel, Eichhörnchen entstanden sind. Ganz abgesehen von der erfreulichen Produktion von Sauerstoff und der Vernichtung von Kohlendioxid. Im Übrigen kommt noch hinzu, dass diese Anlagen fortlaufend mit hohem Arbeits- und Kostenaufwand unterhalten werden müssen.
Fehlende Einnahmen kein Rechtfertigungsgrund
Die Rechtfertigung des Grundsteuer-Reformgesetzes kann im Übrigen auch nicht damit erfolgen, dass den Gemeinden dann – allerdings nur vorübergehend – wichtige Einnahmen nicht mehr zur Verfügung stehen und deshalb eben diese viel zu schnelle, übereilte politische Entscheidung vom 18. Oktober 2019 notwendig war. Denn zum einen haben die Gemeinden seit langer Zeit schon davon profitiert, dass sie der Höhe nach rechtswidrig Grundsteuereinnahmen kassiert haben (siehe Dm 07/19). Und zum anderen werden die Kommunen auch noch durch die Pro-futuro-Rechtsprechung des BVerfG begünstigt.
Mehr dazu
Kompaktwissen für Berater „Die Grundsteuerreform“, Art.-Nr. 35455
Mandanten-Info-Broschüre „Grundsteuerreform“, Art.-Nr. 32422