Einblick - 24. August 2023

Öko- statt Egosystem

Das digitale DATEV-Ökosystem gehört seit Jahren zum DATEV-Produktportfolio. Mitglieder profitieren von Zusammenarbeit und Innovation. Jutta Rößner, Mitglied der Geschäftsleitung, ist seit 2019 dafür verantwortlich. Im Interview spricht sie über dessen Anfang, warum offenes, gemeinsames Handeln notwendig ist, wie mit künstlicher Intelligenz im DATEV-Ökosystem umgegangen wird und was sie selbst am Ökosystem faszinierend findet.

Das Interview führte Carsten Fleckenstein

DATEV magazin: Was machte das digitale DATEV-Ökosystem am Anfang aus, was heute?
JUTTA RÖßNER: Heute steht im Bewusstsein, dass wir stärker zusammenarbeiten müssen. Nur wenn der Wille vorhanden ist, sich zu vernetzen und zu öffnen, werden die anstehenden Aufgaben bewältigt. Zu Beginn standen wir als DATEV im Zentrum unseres eigenen Ökosystems. Wir gestatteten, dass sich andere anbinden. Aber alles, was wir selbst taten, war am besten. Diese Haltung hatten wir. Es war mehr ein Ego- statt ein Ökosystem. Heute steht die Kanzlei mit ihren Mandanten im Zentrum und arbeitet in der Cloud mit den Lösungen von uns und Partnern. Aber: Das Ziel war und ist, Möglichkeiten für neue Geschäftsideen zu schaffen und die digitalen Geschäftsprozesse durchgängiger zu machen.

Was heißt, durchgängiger zu machen?
Jeder Prozessschritt greift nahtlos ineinander, unabhängig davon, ob bei einer Software in der Kanzlei, bei Vorsystemen des Mandanten oder bei Institutionen wie der Finanzverwaltung. Daten werden übernommen, bearbeitet und ausgetauscht – ohne Brüche. Das alles funktioniert über standardisierte Schnittstellen, sogenannte API. Das ist das Grundprinzip.

Es geht also weiterhin um integrierte Prozesse. Wenn wir auf das vergangene Jahr blicken, was hat sich getan?
Unsere Standardschnittstellen, die API, sind besser geworden. Es ist ein sehr komplexes Thema, und wir behandeln sie im Endeffekt wie ein Produkt. Unsere Partner müssen sie auf einfache Weise nutzen können. Auch hinsichtlich Service und Außendienst haben wir im vergangenen Jahr die Integration verbessert. Das wiederum ist die Grundlage dafür, die Integrationen auf einer technischen Ebene besser umsetzen zu können. Das merken die Mitglieder, Kunden und auch die Partner. Wenn heute ein Partner eine API nutzen möchte, geht es viel schneller als noch vor einem Jahr. Vorher sprachen wir über Monate, jetzt sprechen wir über Tage. Das kommt den Mitgliedern zugute, weil die Prozesse schneller durchgängig werden.

Noch mal zu den Anfängen: Das digitale DATEV-Ökosystem wurde vor einigen Jahren mit dem Fraunhofer-Institut beleuchtet und analysiert. Was war das Ziel?
Es ging darum, zu prüfen, ob es für DATEV überhaupt Potenzial gab für ein Ökosystem und wie man es ausgestalten könnte. Der Zweig vom Fraunhofer-Institut, mit dem wir zusammenarbeiteten, war selbst in den Anfängen, Ökosysteme zu begleiten, wissenschaftlich zu begreifen und das dann für DATEV zu adaptieren. Das Ergebnis war die Grundidee eines Gesundheitschecks für Unternehmen. Und heute bieten wir in unserem Portfolio etliche Produkte, mit denen Steuerberater Unternehmen sagen können, wie es um das Unternehmen bestellt ist: BWA, Controlling Report und seit Kurzem den DATEV Liquiditätsmonitor online.

Sie verantworten das digitale DATEV-Ökosystem seit 2019. Was fasziniert Sie eigentlich selbst daran?
Die Vielzahl an Möglichkeiten. Der Umstand, nicht mehr alles selbst machen zu können – den gibt es nicht nur bei DATEV –, wirft die Frage auf, wo können wir mit Partnern kooperieren? Die Antwort: in sehr vielen Bereichen – in der Infrastruktur, in den Cloud-Systemen oder in der Software-Entwicklung. Ich denke zum Beispiel an die Hackbay in Nürnberg. Da haben Siemens- und DATEV-Entwickler gemeinsam an Lösungen gearbeitet. Das Ökosystemprinzip sehen wir auch bei den Kanzleien. Da sind nicht nur Einzelkämpfer, sondern auch Kanzleiverbünde. Die Kanzleien mit unterschiedlichen Schwerpunkten ergänzen sich und beide profitieren voneinander. Das ist es, was ein Ökosystem für mich so spannend macht. Es geht weg vom Sichabschotten, den Mitbewerber nur als Konkurrenten sehen, hin zum Wir-öffnen-uns. Und so ein Ökosystem funktioniert nur, wenn sich alle öffnen und es jedem Akteur dient, also den Mitgliedern, den Unternehmen, den Partnern, uns.

Gutes Stichwort. Ökosystemen ist es immanent, dass sie sensibel sind. Was tut DATEV, damit das DATEV-Ökosystem stabil bleibt und nicht kippt?
Wir haben natürlich ein Auge auf die Bewegungen im Markt, nehmen Konzentrationsbewegungen wahr. Da müssen wir uns überlegen, wie wir darauf reagieren oder besser schon vorab agieren. Früher haben wir gesagt, wir schotten uns ab, dann kann uns das nicht nahekommen. Heute geht das nicht mehr.

Geben Sie uns bitte ein Beispiel, wie agiert wird?
Wenn wir bei einem Partner Konkurrenz zu den Kanzleien entdecken. Dann werden wir sofort aktiv, nach standardisiertem Plan. Wir stufen diesen Partner anders ein oder nehmen ihn ganz vom DATEV-Marktplatz. Oder wenn ein Partner damit wirbt, dass mit seinen Lösungen Kunden schneller sind als der Steuerberater. Bei solchen Aussagen sind wir sehr empfindlich und intervenieren sofort.

Mitglieder könnten aufgrund dieser Sensibilität den Wunsch hegen, dass DATEV doch besser alles selbst machen soll, auch mit Blick auf den Service. Wir gehen mit der Zeit. Wir modernisieren unsere Produkte, digitalisieren und integrieren sukzessive in die Cloud, weg von On-Premises-Lösungen. Gleichzeitig pflegen wir diese Bestands-Software, auch weil der Gesetzgeber sehr aktiv ist. Das heißt, wir decken schon mit sehr viel Entwicklerkapazität das Bestandsgeschäft ab. Also müssen wir priorisieren und entscheiden, wie und womit wir die Kanzleien am besten unterstützen. Was tun wir selbst und wo setzen wir etwas mit Partnern um? Und es hat noch andere Benefits: Wir erhalten durch Partner eine andere Sicht auf die Dinge. Die haben andere Ideen. Wir nutzen die Innovationskraft, die aus dieser Zusammenarbeit entsteht, weil sie unseren Mitgliedern dient. Und es bietet allen Akteuren die Möglichkeit, Geschäftsbeziehungen untereinander einzugehen.

Viele Akteure, viele Interessen. Nach wessen Bedürfnissen und wie wird das Ökosystem weiterentwickelt?
Ganz klar nach den Bedürfnissen der Mitglieder. Wir machen Benutzereinbezüge mit Kanzleien, aber auch Umfragen mit Partnern. Je näher eine Partnerlösung an unser eigenes Portfolio rankommt, desto mehr wünschen sich die Mitglieder Integration. Und desto mehr wünschen sie sich auch einen Service, der so gut funktioniert, wie der von DATEV – um das noch einmal aufzugreifen. Das heißt: Als Mitglied wünsche ich mir, dass ich Stammdaten automatisch übernehmen kann. Ich wünsche mir ein Log-in mit DATEV, also mit DATEV-Account. Das muss funktionieren. Wenn es im Nachgang heißt, der Service kommt nicht von DATEV, der wird vom Partner kommen, wird das akzeptiert. Besonders, wenn es um spezifische Partnerthemen geht. Akzeptiert wird aber nicht, wenn ein Problem an der Schnittstelle existiert und es zwischen Partner und DATEV ein Pingpong gibt. Das sind die Grundbedürfnisse einer Kanzlei, wenn sie an Partner denkt. Ganz oben der Bedürfnispyramide, wenn alles andere gelöst ist, kann man sich Gedanken darüber machen, ob DATEV ein komplettes Fulfillment übernimmt. Also auch die Verträge mit dem Partner abschließt oder die Rechnungserstellung aus einer Hand macht. Und manchmal wird es darauf hinauslaufen, dass wir den Service übernehmen.

Derzeit erzeugen künstliche Intelligenz (KI) und ChatGPT gehörig viel Wirbel. Inwiefern ist das digitale DATEV-Ökosystem davon betroffen?
Wir beschäftigen uns schon seit einigen Jahren mit generativer KI. Neu sind Verfügbarkeit und Schnelligkeit. Das ist es, was ChatGPT vorangetrieben hat. Es gibt keinen Bereich, auf den die generative KI keinen Einfluss hat. Wir untersuchen, wo uns generative KI nutzen kann, Prozesse zu vereinfachen. Wo kann uns KI auch helfen, dem Fachkräftemangel in den Kanzleien zu begegnen? Was müssen wir tun, um Risiken der KI zu minimieren? Das sind Fragen, für die wir schon Antworten erarbeiten. Hier hilft uns das Ökosystem. Es wird Partner geben, die sich auch damit beschäftigen. Und wir werden überlegen, wie wir das für unsere Mitglieder und Kunden nutzen können. Wichtigster Punkt dabei ist nach wie vor der Datenschutz und die Souveränität der Daten. Die Unterstützung mit KI hört da auf, wo der Preis zu hoch ist, weil wir sensible Daten nach außen geben sollen.

Wie sind wir darauf vorbereitet, wenn plötzlich aufgrund von KI die Partnersysteme wegbrechen sollten, mit denen die Mitglieder arbeiten?
Das lässt sich unabhängig von KI beantworten. Denn das Thema haben wir heute schon. Wir beobachten den Markt, wir machen jährliche Gespräche mit unseren Partnern, um ein Gespür dafür zu kriegen und vorab agieren zu können. Verhindern werden wir es nicht. Das Risiko bleibt.

Und wenn deren Mechanismen unseren Lösungen zuwiderlaufen?
Wir haben sehr starke Security Guidelines und neue Guidelines zur Nutzung von KI. Das ist etwas, bei dem wir aktuell an der Weiterentwicklung arbeiten. Besonders mit Partnern, mit denen wir eine hohe Integration haben, mit Premiumpartnern, wie wir sie nennen. Da werden wir auf die Partner einwirken und mit ihnen gemeinsam über Datenethik sprechen.

Zum Autor

Carsten Fleckenstein

Redakteur und Podcaster bei DATEV.

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