KI im Steuerbereich - 28. September 2023

Der Automatisierung zur Seite stehen

In einer Ära beispielloser technologischer Innovation verändert sich auch die Steuerlandschaft. Gleichwohl bleibt die menschliche Expertise essenziell.

Die Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 markierte den Beginn einer neuen Ära der künstlichen Intelligenz (KI). Entwickler von OpenAI ermöglichten erstmalig Nutzerinnen und Nutzern ohne technische Vorkenntnisse den kostenlosen Zugriff auf ein breit trainiertes Sprachmodell. Seitdem kommen immer weitere Sprachmodelle mit neuen Features und verbesserten Sprachfähigkeiten auf den Markt und beleben die Diskussion, dass KI bald die menschliche Arbeitskraft aus den Steuerabteilungen verdrängen könnte. Doch die Realität in deutschen Steuerabteilungen zeigt, dass viele Prozesse weiterhin manuell und unter Nutzung von Standardtabellenkalkulationsprogrammen durchgeführt werden, obwohl bereits seit Jahren eine sich stetig fortentwickelnde IT-Lösung zur Automatisierung zur Verfügung steht.

Palette von IT-Lösungen

Der Markt für IT-Lösungen im Steuerbereich ist breit gefächert. Vor allem sollen Prozesse automatisiert werden und damit Kapazitäten für nicht automatisierbare Themen entstehen. Gleichzeitig sollten Qualität, Richtigkeit, Vollständigkeit und Transparenz sichergestellt werden. Künftig werden auch Real Time Diagnostics weiter an Bedeutung gewinnen. Hierbei geht es darum, steuerliche Risiken bereits bei ihrer Entstehung zu identifizieren, etwa durch eine automatisierte Rechnungsprüfung oder Identifizierung von Auffälligkeiten bei der Verbuchung.

Regelbasierte Automatisierung

Neben spezifischen Tools, die bei speziellen Themen in einem bestimmten steuerlichen Bereich unterstützen, geht der Trend zunehmend zur Kombination mit sogenannten Off-the-shelf-Produkten. Mit diesen Standard-Software-Lösungen aus dem Bereich Low Code / No Code können verschiedene Prozesse transparent nachgebildet und basierend auf nutzerdefinierten Schritten automatisiert werden – weit über den Steuerbereich hinaus. Ergänzend werden häufig sogenannte Robotic-Process-Automation(RPA)-Lösungen eingesetzt, um insbesondere Schnittstellenaufgaben zwischen verschiedenen Anwendungen zu automatisieren.

KI-basierte Lösungen

Für Aufgaben, bei denen regelbasierte Lösungen nicht einsetzbar sind, kommen KI-basierte Lösungen infrage. KI ist im Steuerbereich nicht neu. Bisher konnte KI vor allem bei strukturierten Daten Mehrwert stiften, also dort, wo große Mengen an tabellarischen Daten bereitstehen. Dies betrifft vor allem Steuerbereiche, die stark transaktionsbezogen arbeiten, wie etwa bei der Umsatzsteuer, dem Zoll und den Verrechnungspreisen. Hier konnte KI bereits in den letzten Jahren vor allem bei der Klassifizierung und Anomalieerkennung unterstützen. Durch KI lassen sich dabei komplexe Zusammenhänge und Regeln automatisiert erkennen. Die breite Verfügbarkeit von großen Sprachmodellen erschließt nun völlig neue Datenquellen in der Steuerabteilung, nämlich unstrukturierte Daten. Damit sind insbesondere alle Textarten gemeint, die als Basis für die Arbeit der Steuerfunktion dienen, wie zum Beispiel Gesetzestexte, Richtlinien, Urteile, Fachbeiträge, interne Guidelines und Schulungsunterlagen oder Verträge. Bisher konnten KI-basierte Tools hier lediglich bei sehr eng umrissenen Aufgaben unterstützen, vor allem in der Übersetzung, wo KI-basierte Tools bereits in den letzten Jahren sehr gute Dienste geleistet haben. Die aktuellen Entwicklungen von generativen Sprachmodellen hingegen erlauben technologische Unterstützung bei Aufgaben in Zusammenhang mit Texten in einer Dimension, die in den letzten Jahren nicht denkbar war. Darüber hinaus verbessern generative Sprachmodelle auch die Möglichkeiten einer KI-basierten Auswertung von strukturierten Datensätzen, da diese häufig auch relevanten Text enthalten, etwa in Form von Buchungstexten. Gleichzeitig entwickeln sich die Fähigkeiten der Sprachmodelle schnell weiter und erstrecken sich auch auf weitere Formate, etwa auf Daten aus Tabellenkalkulationsprogrammen oder Programm-Codes. Einige Anbieter vertreiben bereits komplexe Datenanalysen auf Basis einer simplen Aufforderung im Chat-Fenster.

Was lässt sich derzeit automatisieren?

Die Nutzung von Tools ermöglicht eine (Teil-)Automatisierung von repetitiven Prozessen in der Steuerabteilung. Dies umfasst sowohl steuerliche Kernaufgaben als auch solche, die den steuerlichen Prozess flankieren, wie zum Beispiel die Abfrage von Informationen aus anderen Bereichen, die Ablage von Dokumenten oder das Versenden von Arbeitsergebnissen mittels RPA-Tools. Für die (Teil-)Automatisierung repetitiver Prozesse stehen sowohl regelbasierte als auch KI-basierte Lösungen zur Verfügung. Wenn die einzelnen Schritte des gesamten Prozesses von den Rohdaten bis zum gewünschten Daten-Output klar ausformuliert werden können, lässt sich der Prozess meist regelbasiert automatisieren. Andernfalls kommen KI-basierte Lösungen infrage, etwa wenn Regeln nur Teilaspekte des Prozesses abbilden können oder die Datenbasis aus unstrukturierten Daten besteht. Wenn ein Prozess unter Beachtung von Kosten-Nutzen-Aspekten regelbasiert automatisierbar ist, sollte dieser Lösung der Vorzug gegeben werden. KI-Lösungen sind immer dann sinnvoll, wenn man mit regelbasierten Lösungen nicht weiterkommt. Für bestimmte Fallkonstellationen hat sich auch eine Kombination aus regelbasierten und KI-basierten Ansätzen etabliert. Neben der Automatisierung von repetitiven Prozessen fungieren sogenannte Conversational Chatbots auf Basis breit trainierter Large Language Models (LLM), wie etwa ChatGPT oder Bing Chat, als persönliche Assistenz-Tools, die Mitarbeiter der Steuerabteilung bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen können. Ob zur Recherche, beim Brainstorming, um Erstellen von Textentwürfen oder zur Datenanalyse – die entsprechenden Tools unterstützen im Arbeitsalltag. Inzwischen werden entsprechende KI-Lösungen in verschiedene Standardanwendungen, beispielsweise aus der Microsoft-Office-Produktlinie, integriert und damit in einer bereits bekannten Umgebung nutzbar gemacht. Andere eher spezifische als repetitive Aufgaben, wie etwa die steuerliche Würdigung von Einzelsachverhalten oder die Begleitung von Betriebsprüfungen, erfordern steuerliche Fachexpertise. Technologische Lösungen wie Chatbots können hier unterstützen, aber nicht übernehmen.

FAZIT

Technologische Innovationen und Tools erlangen in immer kürzeren Zeiträumen beeindruckende Fähigkeiten. Repetitive Prozesse in der Steuerabteilung sowie zahlreiche alltägliche Arbeitsschritte können dadurch schon gut (teil-)automatisiert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt und auf absehbare Zeit ist der Verzicht auf menschliche Expertise allerdings noch nicht realistisch.

Zu den Autoren

JK
Dr. Jenny Köppe-Karkutsch

Senior Manager im Bereich WTS Digital, Transfer Pricing & AI bei der WTS Group am Standort Nürnberg

Weitere Artikel der Autorin
MB
Michel Braun

Steuerberater sowie Partner im Bereich WTS Digital, Transfer Pricing & AI bei der WTS Group am Standort Düsseldorf

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