Transformation - 28. September 2023

Die Zukunft ist da

Künstliche Intelligenz zu verstehen, ist unerlässlich, um gesellschaftliche und arbeitsmarktrelevante Veränderungen vorherzusehen. Dr. Joris Steg vom Institut für Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal, Zukunftswissenschaftler Prof. Dr. Horst Opaschowski und Dr. Michael Stops vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sprechen darüber, wie KI unseren Alltag formt und in Zukunft weiterhin prägen wird.

Das Interview führte Astrid Schmitt

DATEV magazin: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz?
DR. JORIS STEG: Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, die alle Gesellschaftsbereiche und das alltägliche Leben prägt, beeinflusst und verändert. Sie wirkt sich auf Wirtschaft, Mobilität, Medien, Bildung, Politik, Militär, Überwachung, Gesundheit, Datenschutz und soziale Ungleichheit aus und wirft ethische, moralische, normative und regulatorische Fragen auf. Technische Entwicklungen und Revolutionen haben die Menschen von Anbeginn begleitet und besitzen seit jeher auch das Potenzial, zu substanziellen gesellschaftlichen Umwälzungen und Transformationen zu führen.

Welche Visionen und Befürchtungen ruft KI hervor?
DR. JORIS STEG: Enthusiastische Ansichten über künstliche Intelligenz kontrastieren mit warnenden Zukunftsvisionen vor Kontrollverlust und menschlicher Unterwerfung. Neben Technikbegeisterung gibt es stets auch Skepsis. Historisch wurde die Beherrschung des Menschen durch Technik oft befürchtet. Die aktuelle höchste technologische Entwicklung, die künstliche Intelligenz, bietet das Potenzial, das Mensch-Technik-Verhältnis zu revolutionieren, und könnte zu einer noch engeren und im besten Fall noch effizienteren Zusammenarbeit zwischen Mensch und Technik führen.
DR. MICHAEL STOPS: Risiken des Einsatzes von KI können sich aus in der Regel überzogenen Erwartungen an die Funktionsfähigkeit der KI ergeben und aus der Tatsache, dass eine KI nicht völlig fehlerfrei arbeiten kann. KI-Technologien werden zudem Fehler produzieren, wenn sie für Zwecke eingesetzt werden, für die sie nicht trainiert wurden. Zum Beispiel wenn sie, statt Entscheidungen vorzuschlagen, die Entscheidungen treffen sollen, ohne dass sie deren Konsequenzen verantworten müssen.

Welche ethischen Fragen stellen sich bei KI?
PROF. DR. HORST OPASCHOWSKI: Wir treten in eine spannende Phase ein, in der Computer immer mehr zu Ausdrucksmitteln und nicht nur zu Werkzeugen werden. Dies markiert den Übergang aus der Ära des Cyberoptimismus. Zwar hat die fortschreitende Verbreitung der künstlichen Intelligenz Bedenken geweckt, sogar bei visionären Denkern wie Bill Gates und Elon Musk, dennoch bietet sie auch neue Möglichkeiten. Ja, künstliche Intelligenz zeigt ein Janusgesicht, aber das fordert uns heraus, ethische Standards und Richtlinien für eine mögliche total vernetzte Welt zu etablieren. Die Dynamik zwischen dem menschlichen und dem digitalen Gehirn eröffnet uns neue Perspektiven und inspiriert uns, anstatt Bedrohung zu sein.

Muss KI reguliert werden? Und wenn ja, welche Regulierungen und Standards sind erforderlich?
DR. JORIS STEG: Damit die Chancen und Potenziale überwiegen, damit nicht vor allem eine kleine machtvolle Elite von der Anwendung von KI profitiert, sondern die segensreichen Wirkungen und positiven Effekte von KI der Gesellschaft insgesamt zugutekommen, ist eine effektive demokratische Regulierung mit hohen ethischen Standards in Bezug auf die Entwicklung und Anwendung von KI erforderlich.
PROF. DR. HORST OPASCHOWSKI: Nach Sam Altmans Ansicht, dem Schöpfer von ChatGPT, hat das Sprachmodell das Potenzial, in Zukunft eine ähnlich transformative Wirkung auf Politik und Gesellschaft auszuüben, wie es die Atomwaffen im letzten Jahrhundert taten. Dieser bahnbrechende Einfluss ist der Grund, warum alle gespannt auf ein globales Regelwerk warten.

Welche Branchen profitieren von künstlicher Intelligenz?
DR. MICHAEL STOPS: Der IT-Sektor entwickelt KI und Unternehmensdienstleister integrieren diese in verschiedene Industrien. Davon profitiert auch entsprechend ausgebildetes Personal. Insbesondere in Branchen wie dem verarbeitenden Gewerbe, den Finanzen und dem Einzelhandel sahen wir einen höheren Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Einführung, Anpassung und Wartung von KI-Systemen. Obwohl KI-Anwendungsbereiche noch erforscht werden, sind Grenzen dort erkennbar, wo es im Kern um menschliche Interaktionen geht oder wo Intuition, ethisch-moralische Abwägungen, menschliche Sozialisierung oder auch persönliche Präferenzen eine Rolle spielen.

Fördert KI die Schaffung neuer Arbeitsplätze?
DR. MICHAEL STOPS: Neue KI-Innovationen beflügeln die Automatisierungsdiskussion. KI-basierte Tools könnten viele Jobs verändern, indem sie menschliche Tätigkeiten ersetzen und neue erforderlich machen. KI könnte einerseits Aufgaben übernehmen, die bisher Menschen vorbehalten waren, auch mit überlegenen Fähigkeiten, zum Beispiel in Informationsverarbeitungsbereichen der Radiologie oder der Qualitätsprüfung in der Bauteilefertigung. Menschen müssen andererseits die KI-Systeme verstehen, um sie einrichten, warten oder ihre Ergebnisse überprüfen zu können.
DR. JORIS STEG: Zudem kann KI theoretisch zu Sicherheitsgewinnen und zu Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung, etwa bei der Krebsdiagnose, beitragen. Darüber hinaus kann es sein, dass Menschen durch den Einsatz von KI Zeit gewinnen und so mehr Freizeit haben werden, weil bestimmte Aufgaben von Maschinen übernommen werden.

Wie verändern KI und Digitalisierung die Arbeitswelt?
PROF. DR. HORST OPASCHOWSKI: KI und Digitalisierung transformieren die Arbeitswelt und fördern die Homeoffice-Kultur. Sie erleichtern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und führen zu flexibleren Arbeitszeiten und -orten. Flexibel heißt auch effektiv. Erwerbstätigkeit und Familienmanagement wachsen zusammen und werden Frauen- und Männersache zugleich. Präsent und digital ergänzen sich. Mobilarbeit wird zur Norm und ist klimafreundlicher. Jeder fünfte Beschäftigte kann künftig mobil arbeiten.

Bekommt KI in der Arbeitswelt zunehmend inhumane Züge?
PROF. DR. HORST OPASCHOWSKI: Die Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt führen zu vermehrten atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Assistenz, Ersatz, Ergänzung oder Notbehelf: In diesen Funktionen sind KI-Errungenschaften willkommen. Fällt beispielsweise bei einem Live-Konzert in letzter Minute ein Dirigent wegen Krankheit aus, hilft ein Roboter – wie im Juni 2023 in Südkorea: Ein Roboter dirigiert erfolgreich 60 Musiker vor 950 Zuschauern. Das begeisterte Publikum lobte die tolle Harmonie zwischen der Maschine Eve R 6 und den Musikern.

Wie sollte KI betrachtet und analysiert werden?
DR. JORIS STEG: Künstliche Intelligenz kann eine Gesellschaft tiefgreifend verändern, daher ist eine rein technikzentrierte Sicht unzureichend. KI sollte als gesellschaftstheoretische Kategorie mit umfangreichen technologischen, ökonomischen, politischen und lebenswesentlichen Folgen verstanden und analysiert werden.

Welche Maßnahmen halten Sie für wesentlich in der demokratischen Regulierung von künstlicher Intelligenz?
DR. JORIS STEG: Nicht alles technisch Mögliche muss umgesetzt werden. Eine wirksame KI- und Algorithmenregulierung sollte weit mehr als nur Datenschutz gewährleisten, einschließlich Begrenzung der Monopolmacht von Tech-Konzernen und Sicherung individueller Freiheit und Grundrechte vor staatlicher Überwachung. Es besteht dringender Handlungsbedarf beim Umgang mit künstlicher Intelligenz.

Können Sie uns einige positive Aspekte der KI nennen?
DR. JORIS STEG: Zu den potenziellen Chancen zählen technologischer Fortschritt, Jobentstehung, Wohlstandsführung, Sicherheitsgewinne, Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung und Zeitgewinne. KI sollte als technisches Hilfsmittel zur Unterstützung des Menschen eingesetzt werden, dabei müssen demokratische Standards eingehalten werden und Entscheidungsbefugnisse in menschlicher Hand bleiben.
DR. MICHAEL STOPS: KI kann Unternehmen produktiver machen. So kann die Arbeit schneller vorangehen, weil beispielsweise Informationen schneller zusammengestellt und verarbeitet werden – und dabei werden auch viel mehr Informationen als bisher berücksichtigt. Zudem ist KI dort ideal eingesetzt, wo sie die Qualität, die Diversität oder den Innovationsgrad der erstellten Güter erhöht. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann die KI entlastend wirken, zum Beispiel zugunsten einer höheren Kreativität, der Verrichtung komplexerer Tätigkeiten oder der besseren Fundierung von Entscheidungen und weiterem Handeln.

Was ist die Zukunft der KI?
PROF. DR. HORST OPASCHOWSKI: Wir sollten der Entwicklung einer KIvolution gelassen entgegensehen. Aus der digitalen Revolution von heute kann durchaus eine digitale Wende von morgen werden. Aus psychologischer, nicht industrieller Sicht ist absehbar, dass schon bald der Neuheitseffekt der Technologien langweilig wird und die Inhalte wieder wichtiger und interessanter werden. Der intelligente Kühlschrank fasziniert nur einmal. Danach wird es öde, sich per Videokamera saure Milch oder welkes Gemüse anzusehen.

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Astrid Schmitt

Redaktion DATEV magazin

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