Blick von außen - 24. August 2023

Ganz natürlich

Die Natur ist die beste Lehrmeisterin. Das gilt auch für digitale Ökosysteme. Jenes von DATEV folgt der reinen Lehre, sagt Dr. Matthias Koch vom Fraunhofer- Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern.

Leonardo da Vinci war mehr als nur der Maler der Mona Lisa. Er war auch Wissenschaftler und Naturphilosoph. So übertrug er Lösungen aus der Natur auf technische Konstruktionen, entwickelte Flugmaschinen und Automobile. Auch heute noch schaut man sich Designs und Funktionsweisen von der Natur ab, um damit das Leben komfortabler zu machen. Die Idee einer Zange geht beispielsweise auf die Schere von Krebsen und Krabben zurück. Züge werden nach dem Vorbild von Vögeln gebaut. Oder nehmen wir Klettverschlüsse: Sie wurden abgeleitet aus Früchten der Klettdistel, die sich bei Kontakt mit ihren Widerhaken in Tierfellen verfangen. Auch digitale Ökosysteme haben ihren Ursprung in der Natur. Demnach ist ein Ökosystem eine Lebensgemeinschaft von Pflanzen, Tieren, Menschen und anderen Lebewesen. Die Teilnehmer des Ökosystems leben nicht unabhängig voneinander. Zwischen ihnen bestehen vielfältige Abhängigkeiten und Beziehungen. Übertragen auf wirtschaftliche Systeme versteht man unter einem digitalen Ökosystem nichts wesentlich anderes: In diesen soziotechnischen Systemen interagieren verschiedene Akteure miteinander und kooperieren. Entscheidend dabei ist, dass die Akteure dem digitalen Ökosystem freiwillig beitreten, weil sie sich einen Nutzen davon versprechen.
Ökosysteme in diesem Sinne sind seit Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Dr. Matthias Koch vom Fraunhofer IESE in Kaiserslautern ist einer der Expertinnen und Experten, die auf diesem Gebiet forschen. Zusammen mit seinem Kollegen Patrick Mennig analysiert er die Voraussetzungen und Erfolgskriterien und unterstützt Unternehmen beim Aufbau passgenauer digitaler Ökosysteme. So auch DATEV. Die Zusammenarbeit begann bereits 2018. Im ersten Schritt sammelte das Fraunhofer IESE zusammen mit dem DATEV-Projektteam Ideen und explorierte, wie denn ein digitales Ökosystem für die Genossenschaft aussehen könnte. Im zweiten Schritt erarbeitete das Fraunhofer IESE eine wissenschaftlich fundierte Studie und begleitete das DATEV-Projektteam bei der Ausarbeitung einer Vision, aus der die zukünftige Ökosystemstrategie abgeleitet wurde.

Kontakte, Daten, Standing

Grundsätzlich kann jeder an einem digitalen Ökosystem teilnehmen. Wer hingegen ein Ökosystem erfolgreich etablieren möchte, sollte gewisse Kriterien erfüllen. Und sehr schnell kristallisierte sich heraus, dass DATEV die idealen Voraussetzungen mitbringt, um ein digitales Ökosystem zu initiieren und darin zentraler Akteur zu sein. „Wer ein Ökosystem aufbauen will, braucht eine gewisse Menge an Kontakten und darüber hinaus auch das Vertrauen der gewünschten Zielgruppe, um die erforderliche Akzeptanz zu finden“, so Dr. Matthias Koch. „Akzeptanz ist essenziell, weil immer Daten im Spiel sind und man natürlich gerade im Bereich Steuern und Finanzen viel preisgibt.“ Und DATEV bringt noch einen weiteren Pluspunkt mit – das nötige Standing in der Branche. Davon profitieren die Ökosystemteilnehmer: DATEV baut die Infrastruktur auf, die ihnen dabei hilft, ihre Prozesse durchgängig effizienter zu gestalten. Zudem haben die Teilnehmer über die Ökosystemplattform einfachen Zugang zu ihren bestehenden, aber auch zu neuen Kundengruppen.
Die Plattform selbst ist die technische Grundlage, die das digitale Ökosystem erst ermöglicht. Dr. Matthias Koch erklärt es genauer: „Je nachdem, was ein Ökosystem leisten soll, können viele Funktionalitäten erforderlich sein – angefangen von der Authentifizierung über Bezahl- bis hin zu Bewertungsmechanismen. Dabei laufen alle Prozesse auf Automatisierung hinaus.“ Da mit wachsender Anzahl von Akteuren eine entsprechende Skalierung auch auf der technischen Seite nötig ist, bieten sich dafür natürlich Cloud-Lösungen an, die sich je nach Anzahl der Akteure hoch-, aber auch wieder herunterskalieren lassen. Die DATEV-Geschäftsplattform bildet dabei die Basis für die Portfolioentwicklung und somit für die Cloud-Lösungen. Auf dem DATEV-Marktplatz finden sich Lösungen von Software-Herstellern, die sich in die DATEV-Produktwelt einfügen und diese sinnvoll ergänzen. Sowohl Kanzleien als auch Unternehmen finden hier passende Lösungen für ihren individuellen Bedarf. So unterstützt der DATEV-Marktplatz die Portfolioentwicklung.

Vertrauen ist das A und O

Technik ist das eine, Vertrauen das andere – und um ein digitales Ökosystem erfolgreich zu etablieren, sind vertrauensbildende Maßnahmen entscheidend. Auch das digitale Ökosystem von DATEV ist kein Selbstläufer, wie Dr. Matthias Koch weiß. Daher wurde im Projekt sehr viel Wert auf den Mehrwert gelegt, den die Akteure von der Teilnahme haben. Denn wie schon gesagt, diese basiert auf Freiwilligkeit. „Das DATEV-Universum ist groß. Da gibt es nicht nur DATEV selbst und die Mitglieder, sondern auch die Mandanten der Mitglieder oder Partner. Einfach war es noch, alle Akteure zu identifizieren. Schwieriger war es schon, deren unterschiedliche Interessen herauszuarbeiten.“ Insbesondere galt es, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was die verschiedenen Akteure bewegt und was sie motivieren könnte, im digitalen Ökosystem mitzuwirken. Gleichermaßen galt es, Hemmnisse und Befürchtungen aufzudecken. „Plakatives Beispiel ist der Datenschutz. Das ist gerade in dem Kontext, in dem sich DATEV bewegt, natürlich ein absolutes Muss“, so Dr. Matthias Koch. Ein weiterer Knackpunkt war die Tatsache, dass DATEV im Sinne der Mitglieder handeln muss. Das heißt, eine Plattform, die das Geschäft der Mitglieder untergräbt und Dienstleistungen direkt für die Unternehmen anbietet, ist ein No-Go. „Und mit diesen Herausforderungen mussten wir umgehen“, erinnert er sich.
Aus wissenschaftlicher Sicht seien, laut Dr. Matthias Koch, besonders die folgenden Fragestellungen wichtig: „Was sind andere Faktoren außer Geld, um die Akteure von einem digitalen Ökosystem zu überzeugen? Und wie gestaltet man ein Modell, das nicht auf Profit, sondern auch auf soziale und ökologische Aspekte aus ist?“ Auch hierfür einige Beispiele: Es geht um Geschäftsbeziehungen, also am Ende natürlich um wirtschaftliche Interessen. Aber auf technischer Ebene geht es auch darum, aufzuzeigen, wie man mit der Plattform arbeitet. Zudem muss transparent sein, wie die Daten verwendet werden und welche Datenschutzmechanismen greifen. Dabei muss klar herausgestellt werden, dass die Akteure jederzeit die Hoheit über ihre eigenen Daten behalten. Doch auch weiche Kriterien können eine Rolle spielen. Was erhalten die Akteure als Gegenleistung für die Datenherausgabe? Welche Marktchancen und Leistungsangebote bietet das digitale Ökosystem, das ohne Zugriff auf die Daten nicht möglich wäre? Ein Beispiel hierfür wäre etwa das Thema Nachhaltigkeit, denn in einem Ökosystem lassen sich Ressourcen effizienter nutzen, als es heute möglich ist. Auch das kann eine Brücke bauen zu denjenigen, die diesen mächtigen Ökosystemplattformen kritisch gegenüberstehen.

Digitale Ökosysteme sind die Zukunft

Wer digitale Ökosysteme heute noch als einen Hype sieht, täuscht sich gewaltig. Es ist ein Trend, der an keiner Branche mehr vorbeigeht. Aus wissenschaftlicher Sicht hat DATEV die richtigen Weichen zur richtigen Zeit gestellt. Der Marktplatz, auf dem Software-Anbieter die DATEV-Schnittstellen unter Einhaltung gewisser Kriterien nutzen, bietet eine gute Basis für die Vernetzung mit DATEV-Lösungen, die von den DATEV-Mitgliedern oder von deren Mandanten genutzt werden. Oder anders gesagt: „Wenn ein Akteur diesen Marktplatz besetzt hat und etabliert ist, kann es schwer werden, da nochmal vorbeizukommen.“

Es ist noch Luft nach oben

Dennoch hat auch DATEV noch viele Hausaufgaben vor sich. Ein nächster Schritt könnte beispielsweise die Arbeit an verschiedenen Prototypen für die verschiedenen Akteure sein. Etwa klickbare Software, die noch gar nicht voll funktional sein müsste, aber kritische Aspekte abprüft wie die Bereitschaft, Daten weiterzugeben. „Aus unserer Sicht wäre dieses Vorgehen sinnvoll, um offene Punkte ganz bewusst zu machen und diese mit Prototypen nach und nach zu klären – auch um das Risiko für DATEV gering zu halten“, meint Dr. Matthias Koch.
Und das Potenzial ist damit noch lange nicht ausgeschöpft. Ein großer Schritt wäre der in Richtung eines noch offeneren digitalen Ökosystems, das weit mehr Teilnehmer zulässt als heute. „Da geht noch mehr, auch für DATEV“, sagt Dr. Matthias Koch. „In dem Sinne, dass das Wissen über die Unternehmen in Deutschland, das ja bei DATEV an zentraler Stelle da ist, auch so genutzt wird, dass für die einzelnen Unternehmen und vielleicht auch sogar für ganze Branchen ein Mehrwert entsteht. Und darin liegt, ohne jetzt zu pathetisch werden zu wollen, ganz viel Potenzial. Es ist noch Luft nach oben.“

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Zu den Autoren

Birgit Schnee

Redaktion DATEV magazin

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SH
Simon Hagen

Redaktion DATEV magazin

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