Digitalisierung, Automatisierung und KI - 10. März 2021

Die Sicht des Wissenschaftlers

Die Phänomene im Zusammenhang mit dem Betrieb von Computern werden mit einer Reihe von Schlagwörtern versehen. Während Digitalisierung und Automatisierung lediglich Modewörter sind, behandeln die Begriffe künstliche Intelligenz und maschinelles beziehungsweise tiefes Lernen jene Ideen, die eine Imitation natürlicher Intelligenz, natürlichen Lernens sowie natürlicher Neuronen eines Gehirns betreffen.

Anfang des letzten Jahrhunderts entstand das Berufsbild des menschlichen Computers. Sein Aufgabenfeld bestand im Wesentlichen im Vollzug mathematischer Berechnungen. Dieser Beruf wurde inzwischen vollständig durch technische Apparate, die Computer, verdrängt, die ohne menschlichen Eingriff, hochgradig automatisiert Symbolketten verarbeiten. Derartige Symbolketten sind nicht nur Aneinanderreihungen von Zeichen, sondern repräsentieren lebensweltliche Daten und Objekte und haben damit das Potenzial, vielfältig auf unser Verhalten in allen Lebensbereichen einzuwirken. In diesem Sinne sind Digitalisierung und Automatisierung bereits seit Jahrzehnten Wirklichkeit.

Natürliche Intelligenz simulieren

Das von Computern ausgehende Veränderungspotenzial der Welt wird mit einer Fülle unterschiedlicher Begriffe belegt. Einerseits sind diese manchmal nur reine Worthülsen, andererseits beinhalten sie auch theoretisch reizvolle Bedeutungskerne. So werden die vielfältigen Veränderungen aktuell beispielsweise intensiv unter den Ausdruck künstliche Intelligenz (KI) subsumiert. Die Idee zum Forschungsfeld der KI beruht auf einem Forschungsantrag aus dem Jahr 1955, in dem die Arbeitshypothese formuliert wurde, dass sämtliche Facetten der natürlichen Intelligenz durch eine Maschine simuliert werden können. Heute werden mit der KI auf der einen Seite vielfältige Erwartungshaltungen verknüpft, die zukünftig einzulösen sind. Auf der anderen Seite sind Systeme der KI bereits in der Gesellschaft angekommen, wie die drei nachfolgenden Beispiele verdeutlichen:

  • Schachcomputer,
  • automatische Passkontrolle am Flughafen und
  • maschinelles Sprachverstehen, insbesondere Übersetzen.

Tiefes Lernen (deep learning)

Eine besondere Technik ist das sogenannte tiefe Lernen. Tiefes Lernen ist ein spezielles Verfahren des maschinellen Lernens, das auf der Idee beruht, Wissen zur Lösung eines Problems nicht explizit in Form eines Programmcodes zu repräsentieren. Ähnlich wie Lebewesen aufgrund von Erfahrungen mit ihrer Umwelt neues Verhalten erlernen, soll sich die Problemlösungsfähigkeit eines Computers steigern, wenn mehr Erfahrungsdaten bekannt werden. Grundlage dafür sind unter anderem spezielle Techniken, welche die vielfältigen neuronalen Strukturen eines natürlichen Gehirns künstlich nachbilden. Erste Ideen dazu wurden bereits vor Jahrzehnten beschrieben, konnten aber erst in den letzten Jahren bahnbrechende Erfolge aufweisen.

Wie leistungsfähig sind die Systeme?

Bei der Betrachtung dieser Ideen stellt sich eine zentrale Frage: Wie leistungsfähig sind die auf diesen Ideen beruhenden Systeme in der Praxis tatsächlich? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach, denn es gilt auch in der Informatik: Die Prognose des Erfolgs einer Therapie ist ohne Kenntnis der Symptome und gründlicher Diagnose nicht seriös, auch wenn viele Werbeversprechen das Gegenteil suggerieren. Aber selbst dann, wenn die Symptome umfassend bekannt sind, eine gründliche Diagnose gestellt ist sowie eine fundierte Therapie festgelegt wurde, ist der Erfolg der Therapie nicht gesichert. Folglich kann auch eine exzellent begründete Prognose sich nach Abschluss der geplanten Therapie als falsch erweisen, sodass eine weitere Behandlung notwendig wird.

Was bedeutet das in der Informatik?

Für manche informatischen Probleme können Garantien ausgesprochen werden, die eine Problemlösung gesichert erreichen kann. Damit kann dann nicht nur begründet prognostiziert, sondern tatsächlich garantiert werden, dass die Lösung nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führt, sondern mathematisch-beweisbare Eigenschaften besitzt. Für andere Probleme der Informatik konnte sogar bewiesen werden, dass sie prinzipiell nicht oder nur mit praktisch kaum vertretbarem Aufwand lösbar sind. Allerdings ist auch zu beachten, dass nicht jede subjektiv wahrgenommene Problemsituation unmittelbar einem objektiv formulierbaren Problem entspricht. Da ein lebensweltliches Problem der Informatik heute sogar häufig die Lebenswelten mehrerer Menschen betrifft, bestehen zwangsläufig unterschiedliche Sichten auf die Problemsituation und auch auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit möglicher Lösungen.

Wissenschaftlicher Diskurs und Betriebsgeheimnisse

Folglich kann eine Problemlösung aus einer Perspektive gesehen überaus erfolgreich sein, aber aus einer anderen Perspektive sich sogar als Misserfolg darstellen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma verspricht ein gründlicher und gewissenhafter Diskurs über das eigentliche Problem, das mit einer technischen Lösung zu bewältigen ist. Ein solcher Diskurs steht zuweilen unter enormen Zeitdruck, der im Einzelfall vermutlich unausweichlich ist, aber im Allgemeinen auf andere, tieferliegende Probleme hindeuten kann. Diese einfachen Tatsachen führen immer wieder dazu, dass in der Öffentlichkeit Lösungen gehandelt werden, die ein Heilsversprechen anpreisen, das nüchtern betrachtet (noch) nicht einlösbar ist. Viele dieser Lösungen werden zudem als Geschäftsgeheimnis verstanden, sodass überprüfbare Angaben zur Leistungsfähigkeit von vorneherein prinzipiell ausgeschlossen sind.

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Zum Autor

PF
Prof. Dr. Peter Fettke

Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlands sowie Leiter der Forschungsgruppe Geschäftsprozessmanagement am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken

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