Berufsständische Versorgungswerke - 27. März 2024

Sonderweg der Altersversorgung

Die Altersvorsorge der Freien Berufe ist in Deutschland speziell geregelt. Daher lohnt sich ein Blick in diese Versorgungswerke zu Aufbau, Struktur und Finanzierung.

Eine Legaldefinition der Freien Berufe findet sich in § 1 Abs. 2 Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe (PartGG), der sich weitgehend mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) deckt. Die dortige jeweilige Aufzählung lässt sich in zwei Gruppen unterteilen: Freiberuflerinnen und Freiberufler, deren Ausübung die Mitgliedschaft in einer Berufskammer erfordert, und der Rest, für die eine solche Kammer nicht existiert. Der ersten Gruppe gehören Ärzte, Tier- und Zahnärzte, Architekten, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater und -bevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, psychologische Psychotherapeuten sowie Ingenieure an. Für diese Gruppe besteht eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk (bVW), das gemäß Art. 70 Grundgesetz (GG) landesrechtlichen Vorschriften unterliegt. Auch Apotheker zählen dazu, obwohl sie infolge ihrer Gewerblichkeit weder unter das PartGG noch unter § 18 EStG fallen und daher nicht den Freien Berufen zuzurechnen sind, obwohl sie ein Kammerberuf sind. Schließlich erfasst die Pflichtmitgliedschaft der bVW auch angestellte Berufsträger, die sich allerdings – dies gilt seit dem 1. Januar 2016 auch für angestellte Syndikusanwälte – von der gleichzeitig bestehenden gesetzlichen Rentenversicherungspflicht (gRV) unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI befreien lassen können. Für angestellte Ingenieure und Psychotherapeuten lässt jene Vorschrift eine Befreiung nicht zu. Ihre Mitgliedschaft in einem bVW ist daher freiwillig. Die restlichen Freiberufler (Gruppe 2) stellen für die Altersvorsorge eine heterogene Gruppe dar: Manche sind gesetzlich pflichtversichert, wie die selbstständig tätigen Lehrer und Erzieher, Seelotsen sowie Künstler und Publizisten gemäß § 2 S. 1 Nr. 1, 4 und 5 SGB VI; andere hingegen unterliegen keiner derartigen Pflichtmitgliedschaft.

Berufsständische Versorgung

Aktuell gibt es in Deutschland nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. (ABV) 91 bVW mit mehr als 1,1 Millionen Mitgliedern, von denen allein über 600.000 auf die Ärzteversorgung inklusive Zahn- und Tierärzte entfallen. Während die Anwälte und Notare mit fast 200.000 Versorgten die zweitgrößte Gruppe darstellen, sind die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mit gut 56.000 Personen vertreten. Aktuell beziehen fast 310.000 Versorgungsberechtigte laufende Rentenleistungen. Pro Bundesland beziehungsweise Kammerbezirk existiert für jeden Berufsstand grundsätzlich ein Versorgungswerk. Ausnahme sind die psychologischen Psychotherapeuten und Steuerberater in Berlin, für die es nach wie vor kein bVW gibt (vergleiche die schriftliche Anfrage der CDU vom 20.01.2023 an das Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 19/14 667). Manche Berufsstände haben sich allerdings einem bVW in einem anderen Bundesland angeschlossen oder lassen ihr bVW von solchen verwalten. Für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer existiert bundesweit nur ein bVW in Nordrhein-Westfalen, dem die Berufsstände der anderen Bundesländer außer dem Saarland per Staatsvertrag angeschlossen sind. Die bVW werden nach dem Prinzip der repräsentativen Demokratie vom jeweiligen Berufsstand selbst verwaltet. Die Mitglieder wählen die Delegierten zu den Kammer- beziehungsweise Vertreterversammlungen, deren Aufgabe es ist, über die Beiträge und Leistungen zu beschließen und ihrerseits die Mitglieder der zur Geschäftsführung und Aufsicht befugten Organe des bVW, also Vorstand und Aufsichtsausschuss, zu wählen. Rechtsgrundlage ist eine entsprechende Ermächtigung im Kammergesetz des jeweiligen Bundeslands oder ein Landesgesetz, wie etwa das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz. Die bVW unterstehen der Aufsicht der Bundesländer, die jeweils von der Aufsichtsbehörde oder dem zuständigen Ministerium ausgeübt wird. Die Versicherungsaufsicht erfolgt durch die Versicherungsaufsichtsbehörden der Länder. Für den Bereich der Vermögensanlagen sind die Versorgungswerke durch Landesrecht in der Regel an die Vorgaben von § 215 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und der dazu nach § 217 VAG erlassenen Anlageverordnung (AnlV) gebunden.

Finanzierung und Leistungen der bVW

Die berufsständische Versorgung finanziert sich kollektiv in einer Mischung aus Umlagen, wie die gRV, und Kapitaldeckung ohne staatliche Zuschüsse. Die meisten bVW wenden das offene Deckungsplanverfahren an, manche auch ein modifiziertes Anwartschaftsdeckungsverfahren. Das offene Deckungsplanverfahren behandelt alle Jahrgänge gleich und baut den Kapitalstock kollektiv auf. Der Umlageteil ermöglicht neu gegründeten bVW durch die Beitragszahlung jüngerer Mitglieder, früh einsetzende Rentenzahlungen per Umlage bestreiten zu können, ohne dass dafür ein Anfangskapital zur Verfügung steht. Fast alle bVW sind daher bei ihrer Gründung im Vergleich zur gRV mit einem relativ geringen Rentenniveau gestartet, haben diesen Rückstand jedoch aufgrund der flankierenden
Kapitaldeckung schnell aufholen können und liegen heute bei Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenleistungen teilweise deutlich über dem Niveau der gesetzlichen Rente. Wie in der gRV werden die Beiträge von den aktiven Mitgliedern des bVW grundsätzlich individuell einkommensabhängig aufgebracht. Sie sind inklusive der künftig zu erwartenden Beiträge Maßstab für die Leistungshöhe. Beitragsteile, die nicht für Rentenzahlungen verwendet
werden, wandern – im Gegensatz zur gRV mit Ausnahme von deren Schwankungsreserve – in einen kollektiven Kapitalstock, der nach Auskunft der ABV in der Summe aller bVW bei aktuell fast 260 Milliarden Euro liegt. Da eine private Lebensversicherung keine Pflichtversorgung ist, hat sie keine Umlagekomponente und bildet den Kapitalstock für jeden Versicherten individuell. Daher muss sie bei der Art der Anlage – verzinslich oder kapitalmarktorientiert – die Lebenserwartung des jeweiligen Versicherten beachten, was bei kollektivem Kapitalstock nicht erforderlich ist.

MEHR DAZU

Lesen Sie dazu die Titelstrecke zur Altersvorsorge im DATEV magazin 05/2024.

Zum Autor

TD
Prof. Dr. Thomas Dommermuth

Steuerberater und Professor für Steuerlehre an der Hochschule Amberg-Weiden mit dem Spezialgebiet Beratung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung; Beiratsvorsitzender des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung; Berater bei der Entstehung ­verschiedener Gesetzgebungsverfahren

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