Arbeitszeiterfassung - 27. April 2023

Rückkehr zur Stechuhr?

Sind die Vertrauensarbeitszeit, das mobile Arbeiten sowie die Tätigkeiten im Homeoffice infolge einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 in Gefahr? Vor diesem Hintergrund wartet die Praxis gespannt auf ein Handeln des nationalen Gesetzgebers.

Es ging im Herbst vergangenen Jahres wie ein Paukenschlag durch sämtliche – auch nichtjuristische – Informationsmedien: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) lässt in einer Grundsatzentscheidung verlauten, dass alle Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) zur konsequenten Aufzeichnung der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten verpflichtet sind. Nach Veröffentlichung der näheren Begründung dieser Entscheidung herrscht aber immer noch Unsicherheit. Mit Spannung wird daher ein Gesetzesvorhaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erwartet, das für das erste Quartal 2023 geplant ist. Dies hätte bereits seit Mai 2019 Einzug halten sollen, als das ursprüngliche Stechuhrurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erging und die Mitgliedstaaten anwies, ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung zu entwerfen. Damals schon sollte dieses Gesetz die Arbeitgeber dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einer jeden Arbeitnehmerin und einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann (EuGH-Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18). Passiert ist seither aber auf der nationalen Gesetzesebene nichts. Andeutungen einer konkreten Aufzeichnungspflicht finden sich bisher immer noch nur im Arbeitszeitgesetz (ArbZG), wonach die Arbeitszeit, die über acht Stunden täglich hinausgeht, und etwaige Sonn- und Feiertagsarbeit zu dokumentieren sind sowie darüber hinaus für gewisse Branchen oder im Mindestlohnbereich.

BAG als Korrektiv

Dies veranlasste das BAG einzugreifen. Unter Verweis auf das Urteil des EuGH von damals sollen Arbeitgeber nun künftig ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einführen müssen, „mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Grundlage sei eine Norm im ArbSchG, der auf den ersten Blick keine direkte Aussage zur Arbeitszeit zu entnehmen ist. Gemäß ArbSchG müssen Arbeitgeber zur Planung und Durchführung von Arbeitsschutzmaßnahmen für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel bereitstellen. Das BAG hat diese Norm nun unionsrechtskonform ausgelegt, sodass dazu auch die Einrichtung eines objektiven, verlässlichen, unzugänglichen Systems für die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten gehört. Konkret gibt das BAG vor, dass sich ein künftiges System nicht darauf beschränken darf, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit inklusive Überstunden im Betrieb lediglich zu erheben. „Diese Daten müssen vielmehr auch erfasst und damit aufgezeichnet werden“, heißt es. Auf welche Weise die Arbeitszeit erfasst werden soll, also in digitaler oder analoger Form, lässt das Gericht offen. Solange es noch kein konkretes Gesetz zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten gibt, sind Arbeitgeber noch weitgehend frei in der Wahl ihrer Mittel und haben einen Spielraum, wie sie die Arbeitszeiten aufzeichnen. Die elektronische Form soll derzeit noch nicht vorgeschrieben sein, ebenso ist die Delegierung der Aufzeichnungspflicht auf die Arbeitnehmer möglich, sofern stichprobenartig kontrolliert wird.

Letzte Stunde der Vertrauensarbeitszeit?

Verunsicherung herrscht weiter vor allem hinsichtlich der Vertrauensarbeitszeit und der durch die Corona-Pandemie lieb gewordenen Arbeitszeitmodelle Homeoffice und mobiles Arbeiten von überall. Ein Blick in den Koalitionsvertrag soll hier jedoch beruhigen. Es ist festes Ziel der Regierung, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Insbesondere die Vertrauensarbeitszeit soll weiterhin möglich sein und mobile Arbeit sogar gestärkt werden. Aber auch unabhängig von den Angaben im Koalitionsvertrag steht eine Dokumentation der Arbeitszeit einer Vereinbarung über Vertrauensarbeitszeit gar nicht im Wege. Bei Vertrauensarbeitszeit steht nicht die Anwesenheit des Beschäftigten, sondern das Arbeitsergebnis der Tätigkeit im Vordergrund. Über die Lage ihrer Arbeitszeit, also Beginn und Ende, können die Beschäftigten eigenverantwortlich entscheiden. Durch Vertrauensarbeitszeit entfällt allerdings nicht die Verpflichtung des Beschäftigten, Arbeitszeit in einem nach Stunden bemessenen Umfang abzuleisten. Die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitschutzes, insbesondere zur täglichen Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten, dienen der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und sind auch bei Vertrauensarbeitszeit heute schon einzuhalten. Vertrauensarbeitszeit unter Beachtung dieser Vorgaben ist daher weiterhin möglich. Für die Aufzeichnung der Arbeitszeit käme hier allen voran die Delegierung auf den Arbeitnehmer in Betracht. Ebenso gelten die Vorgaben des ArbZG bislang schon unabhängig vom Arbeitsort, also zum Beispiel auch im Homeoffice oder bei mobiler Arbeit. Das bedeutet, dass die Vorgaben zur täglichen Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten bereits heute auch bei mobiler Arbeit eingehalten werden müssen. Das BMAS plant gerade zur mobilen Arbeit zusätzlich einen eigenen Rechtsrahmen. Von einem Ende der Vertrauensarbeitszeit oder der mobilen Arbeit durch die aktuelle Entscheidung des BAG und Aufzeichnungspflicht ist daher mitnichten die Rede. Denn dass diese Regelungen enden, die auch im Interesse der Arbeitnehmer selbst liegen, möchte niemand.

Kontrollen und Bußgeld

Die Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit greift bereits jetzt. Ein Zuwarten auf die gesetzliche Umsetzung der Entscheidung ist für Arbeitgeber ausgeschlossen. Die Größe des Betriebs ist unerheblich. Kontrollen oder gar Bußgelder durch die Gewerbeaufsichtsämter sind derzeit zwar noch mehr als unwahrscheinlich, es sollte aber beachtet werden, dass die zuständigen Behörden im Rahmen von Routinebesichtigungen auch den Arbeitsschutz prüfen. Bei diesen Prüfungen wird die Einhaltung des ArbSchG überprüft und damit künftig wohl auch das Vorhandensein eines Zeiterfassungssystems. Bei Verstößen gegen das ArbSchG hat die Behörde die Möglichkeit, per Einzelfall Anordnungen zu treffen, deren Nichteinhaltung letztlich doch mit einem Bußgeld bis zu 30.000 Euro geahndet werden kann. Ohne eine solche vorangegangene Anordnung müssen Arbeitgeber derzeit aber nicht in Panik verfallen.

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Zum Autor

AW
Anne-Franziska Weber

Rechtsanwältin bei Ecovis in München.

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