Generative KI - 30. Mai 2024

Co-Pilot für die Kanzlei

Das enorme Potenzial der neuen KI-Technologien zeigt sich auch im Steuerwesen. Denn schon heute können spezialisierte Assistenten bei der Lohn- und Umsatzsteuer sowie der Verrechnungspreisdokumentation unterstützen.

Spätestens mit der Einführung von ChatGPT im November 2022 ist künstliche Intelligenz (KI) im Zentrum des gesellschaftlichen Interesses angekommen. Dieser Wendepunkt veranschaulicht, dass die breite Öffentlichkeit beginnt, die immense Tragweite und die disruptiven Möglichkeiten dieser Technologie zu erahnen. Ebenso wie das iPhone die mobile Kommunikation revolutionierte, markiert generative KI auf Basis von Sprachmodellen den Beginn einer neuen Ära rasanter technologischer Entwicklungen.

Generative KI

Generative KI grenzt sich von seit Jahren etablierten KI-Ansätzen durch die Fähigkeit ab, Inhalte wie Texte, Bilder, Programmier-Code und Videos selbstständig auf Basis von natürlichen Sprachanweisungen (Prompts) zu erzeugen. Zudem ist sie nicht auf einen speziellen Anwendungsbereich beschränkt, für den sie ursprünglich trainiert wurde. Stattdessen stellt sie ein mächtiges Werkzeug für verschiedene Anwendungen dar und kann ohne aufwendige Implementierung in verschiedensten Branchen genutzt werden. Das Potenzial generativer KI-Technologien zeigt sich besonders im Steuerwesen, wo diese Tools schon jetzt bei der Aufbereitung steuerrechtlicher Dokumente und der Analyse steuerlicher Vorgänge in Unternehmen zum Einsatz kommen. Diese Technologien bieten Steuerexpertinnen und -experten die Möglichkeit, ihre tägliche Arbeit durch IT-Unterstützung und Teilautomatisierung wesentlich effizienter und qualitativ hochwertiger zu gestalten. KI-Systeme agieren dabei als intelligente Assistenten, die eng mit Fachleuten zusammenarbeiten. Dadurch wird die Produktivität in der Steuerberatung signifikant gesteigert sowie eine zeitnahe und umfassende Bearbeitung von Steuerangelegenheiten erreicht. Bevor die Potenziale für den Einsatz von generativer KI im Steuerbereich aufgezeigt werden, werden die schon heute verfügbaren Ansätze skizziert.

Allgemeine Sprachmodelle

Allgemeine Sprachmodelle wie ChatGPT nutzen ihr umfangreiches, aus verschiedenen Quellen erlerntes Weltwissen, um unterschiedliche Fragestellungen zu beantworten. Dieses Wissen umfasst allgemein zugängliche Inhalte aus verschiedenen Bereichen und deckt eine Vielzahl von Themen ab. Durch gezielte Prompting-Strategien lassen sich diese Modelle so instruieren, dass sie spezifische Antworten generieren. So können sie beispielsweise angehalten werden, aus der Perspektive eines Steuerberaters zu antworten und ihre Ausführungen zu steuerlichen Themen kritisch zu prüfen. Allerdings stoßen die Modelle bei komplexen steuerrechtlichen Fragestellungen an ihre Grenzen, da ihnen spezifisches Fachwissen in diesem Bereich fehlt, was die Tiefe und Genauigkeit der Antworten limitiert.

Spezialisierte Steuerassistenten

Mit Methoden wie Retrieval Augmented Generation (RAG) können Sprachmodelle auf externe Informationsquellen zugreifen, die außerhalb ihres Weltwissens liegen. Dies können zum Beispiel unternehmensspezifische Dokumente wie Steuerrichtlinien, Verfahrensanweisungen oder Anfragen an die Konzernsteuerabteilung sein. Zudem bietet dieser Ansatz Steuerberatungen und Fachverlagen die Möglichkeit, ihr jahrzehntelang aufgebautes Expertenwissen über automatisierte Systeme zugänglich zu machen. Dank der hohen Qualität dieser kuratierten Inhalte können so spezialisierte Steuerassistenten für komplexe Fachthemen wie Lohnsteuer, Auslandsentsendungen oder grenzüberschreitende Steuergestaltungen entwickelt werden.

Intelligente Steueragenten

Intelligente Steueragenten markieren die Spitze der aktuellen KI-Entwicklung und integrieren mehrere Sprachmodelle und Datenquellen. Diese Agenten sind in der Lage, durch ein zentrales Controller-Modell verschiedene spezialisierte Assistenten für Themen, wie etwa Lohn- oder Umsatzsteuer, gezielt anzusteuern. Bei einer spezifischen Anfrage, beispielsweise zur Lohnsteuer, leitet der Controller die Anfrage an den entsprechenden Lohnsteuerassistenten weiter und bewertet dessen Rückmeldung. Sollte die erste Antwort nicht den Erwartungen entsprechen, initiiert der Controller eine Nachbesserung. Bei Bedarf an zusätzlichen Informationen, beispielsweise aus firmeninternen Richtlinien, aktiviert der Controller eigenständig den zuständigen Assistenten, um diese Antwort einzuholen. Schließlich werden alle gesammelten Informationen zu einer umfassenden Antwort zusammengeführt.

Rasante Entwicklung der KI-Architekturen

Die Entwicklung und Unterteilung der KI in die verschiedenen Stufen, die gerade aufgezeigt wurden, veranschaulicht die rasante Evolution der Technologie seit der breiten Akzeptanz von Chat-basierten KI-Systemen. Allgemeine Sprachmodelle müssen durch geschicktes Prompting instruiert und mit viel zusätzlichem Kontextwissen gefüttert werden, um Fragen zu spezifischen Problemen zu beantworten. Dementsprechend sind viele Interaktionen mit den Modellen notwendig, um Rückfragen zu klären und weitere Informationen nachzuliefern. Steuerliches Wissen lässt sich zudem nicht in den Modellen persistieren und muss bei jeder Anfrage erneut bereitgestellt werden. Spezialisierte Steuerassistenten sind wesentlich effizienter bei der Beantwortung von Fragestellungen zu ihrem Fachthema. Sie unterstützen Steuerexperten durchgehend und benötigen als Co-Piloten weniger Anleitung, um ein gewünschtes Ergebnis zu erhalten. Auf dieser Basis entwickeln intelligente Steueragenten eigenständige Lösungsstrategien, ähnlich einem Autopiloten, der autonom Informationen recherchiert, anfragt und verknüpft. Sie generieren mehrere Antwortversionen, vergleichbar mit einem menschlichen Experten, der Vorschläge zur Verbesserung macht oder im Zuge seiner Recherche zusätzliche Informationen sammelt. Die Anwendungsfälle von KI im steuerlichen Bereich sind vielfältig und betreffen nahezu alle Fragen, in denen Texte und Daten zusammengefasst, bewertet oder erzeugt werden müssen. Beispielhaft soll dies anhand von Tätigkeiten bei der Lohnsteuer und Verrechnungspreisdokumentation dargestellt werden.

Lohnsteuer

Steuerassistenten leisten bei der Bewertung von steuerlichen Anfragen bei der Lohnsteuer Unterstützung für Personen ohne Fachwissen. Die Beantwortung von Routineanfragen zu Themen, wie etwa steuerbegünstigten beziehungsweise steuerfreien Mitarbeitergeschenken oder Sachbezugsfreigrenzen, die wiederholt bei der Steuerabteilung eingehen, können damit automatisiert und trotzdem individuell beantwortet werden. Zudem sind auch gezielte Rückfragen an den Fragesteller möglich, um dessen spezifische Situation besser zu verstehen. Dies ist besonders wichtig, da die steuerliche Bewertung oft von den Details des Einzelfalls abhängt, wie beispielsweise dem Anlass des Geschenks oder dessen Wert. KI kann dabei helfen, durch gezielte Nachfragen die relevanten Informationen zu sammeln, die für eine korrekte und individuell zugeschnittene Antwort erforderlich sind. Die effiziente Unterstützung leistet damit einen direkten Beitrag zur Minimierung steuerlicher Risiken, indem auch steuerfremde Personen in die Lage versetzt werden, korrekte Antworten auf komplexe steuerliche Fragen zu erhalten.

Verrechnungspreisdokumentation

Der Einsatz von KI bei der Erstellung von Verrechnungspreisdokumentationen kann für Unternehmen eine signifikante Effizienzsteigerung und Kostenreduktion bedeuten. Angesichts der Neuregelungen im Rahmen der DAC-7-Richtlinie stehen Unternehmen vor der Herausforderung, umfangreiche Dokumentationen von mehreren Hundert Seiten in kurzer Zeit und mit einem höheren Detaillierungsgrad zu erstellen. Diese Dokumentationen müssen nicht nur unternehmensweit konsistent sein, sondern sind häufig auch in mehreren Sprachen anzufertigen. Derzeit ist die Erstellung der Dokumentationen mit erheblichem manuellem Aufwand bei der Zusammenstellung, Aufbereitung und Strukturierung notwendiger Informationen verbunden. Spezialisierte Steuerassistenten können bei der Strukturierung von Daten, der Identifikation und Bewertung relevanter Transaktionen sowie der Erstellung der Dokumentation unterstützen. Eine weitgehende Automatisierung des Prozesses kann helfen, den gestiegenen zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht zu werden und gleichzeitig das Risiko von Verzögerungszuschlägen und anderen Strafen zu minimieren.

Bedeutung für den Steuerbereich

Mit Blick auf die Zukunft der Technologie lassen sich zwei Perspektiven unterscheiden. Die offensichtliche Entwicklung, die durch die skizzierten Entwicklungen in der generativen KI ermöglicht wird, zeigt ein enormes Potenzial für hohe Effizienzsteigerungen aus dem Stand. Abhängig vom Anwendungsszenario und den jeweiligen Tätigkeiten kann von einer Steigerung in der Größenordnung von 20 bis 40 Prozent ausgegangen werden. Diese signifikanten Verbesserungen unterstreichen die transformative Kraft der Technologie und bieten eine Chance, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Eine sichere und datenschutzkonforme Datenverarbeitung ist hierbei entscheidend. Ebenso wichtig ist es, dass Anbieter sensible Nutzerdaten nicht zur Verbesserung ihrer Modelle verwenden. Anbieter, die Lösungen speziell für den europäischen und deutschen Markt entwickeln, etablieren sich dadurch zunehmend am Markt.

Ausblick

Langfristig wird die exponentielle Entwicklung der Technologie darüber hinaus zu einer Disruption steuerlicher Tätigkeiten führen, die sich in einer Veränderung des steuerlichen Service-Angebots niederschlagen wird. Wie erwähnt lassen sich bereits heute Verrechnungspreisdokumentationen stark automatisiert erzeugen, sodass sich Steuerexperten auf den Review und die Verifizierung der Ergebnisse konzentrieren können. Damit einhergehend werden sich auch bisherige, stundenbasierte Abrechnungsmodelle wandeln müssen, wenn das gleiche Ergebnis in einem Bruchteil der Zeit erbracht werden kann. Generell kündigt sich in beratungsintensiven Branchen ein Trend an, bei dem professionelle Dienstleistungen weniger auf stundenbasierten Abrechnungen, sondern mehr auf wertorientierten Ansätzen beruhen werden. Viele technologische Entwicklungen teilen das Schicksal, dass ihre kurzfristigen Potenziale stark überschätzt und ihre langfristigen Auswirkungen eher unterschätzt werden. Die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der sich generative KI-Technologien weiterentwickeln, sollte Steuerexperten aller Tätigkeitsbereiche dazu ermutigen, sich frühzeitig mit diesen Veränderungen zu beschäftigen.

MEHR DAZU

finden Sie unter www.datev.de/ki

Zum Autor

TN
Tim Niesen

Manager bei AdEx Partners in Hamburg. Als Digitalisierungsexperte arbeitet er zudem als Dozent und Keynote Speaker zu KI.

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