EU-Recht - 22. Januar 2021

Recht auf Nichterreichbarkeit soll in der EU Grundrecht werden

EU-Parlament, Pressemitteilung vom 21.01.2021

  • Zwang zur ständigen Erreichbarkeit erhöht Gefahr von Depressionen, Angstzuständen und Burnout
  • Mindestanforderungen für Telearbeit sollen auf EU-Ebene geregelt werden
  • Wer sein Recht auf Nichterreichbarkeit ausübt, soll keine Konsequenzen fürchten müssen

Das EU-Parlament fordert auf Unionsebene ein Recht darauf, nicht rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen. Arbeitnehmer sollen vor negativen Folgen geschützt werden.

Damit Telearbeiter das Recht haben, außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht erreichbar zu sein, solle die Kommission eine entsprechende Richtlinie vorschlagen. Das fordert das Parlament in seiner Gesetzgebungsinitiative, die mit 472 zu 126 Stimmen bei 83 Enthaltungen angenommen wurde. Darüber hinaus will es Mindestanforderungen für die Telearbeit festlegen und mit Blick auf Arbeitsbedingungen sowie Arbeits- und Ruhezeiten Klarheit schaffen.

Dass in der Arbeitswelt immer häufiger digitale Hilfsmittel genutzt werden, habe einen Zwang zur ständigen Erreichbarkeit hervorgebracht. Darunter leide die Ausgewogenheit zwischen Berufs- und Privatleben, so die Abgeordneten. Das Arbeiten von zuhause aus trage in der Coronakrise zwar wesentlich dazu bei, Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten. Doch lange Arbeitstage und höhere Erwartungen schadeten der körperlichen und geistigen Gesundheit. Zu beobachten sei etwa, dass Angstzustände, Depressionen und Burnout-Erkrankungen häufiger werden.

Für die Abgeordneten ist das Recht auf Nichterreichbarkeit ein Grundrecht, das es Arbeitnehmern erlaubt, außerhalb ihrer Arbeitszeit keine arbeitsbezogenen Aufgaben erledigen zu müssen. Das gelte etwa für Telefonate, die Beantwortung von E-Mails und andere Formen der digitalen Kommunikation – und zwar auch an Feiertagen und im Urlaub. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer dieses Recht tatsächlich in Anspruch nehmen können. Das sollte zum Beispiel von den Sozialpartnern in Tarifverträgen vereinbart werden. Dabei müsse sichergestellt werden, dass die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter in keiner Weise benachteiligen: Sie dürften nicht schlechter behandelt, angeprangert oder gar entlassen werden.

Zitat

„Wir können Millionen von Arbeitnehmer in Europa nicht im Stich lassen, die durch den Druck ständiger Erreichbarkeit und durch übermäßig lange Arbeitszeiten erschöpft sind. Jetzt ist es an der Zeit, ihnen zur Seite zu stehen und ihnen zu geben, was sie verdienen: Das Recht, nicht erreichbar zu sein. Das ist lebenswichtig für unsere geistige und körperliche Gesundheit. Die Rechte der Arbeitnehmer müssen nun überarbeitet werden, damit sie der neuen Wirklichkeit des digitalen Zeitalters entsprechen“, sagte Berichterstatter Alex Agius Saliba (S&D, MT) nach der Abstimmung.

Hintergrundinformationen

Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat dazu geführt, dass nun fast 30 % mehr Bürger von zuhause aus arbeiten. Der Anteil der Telearbeiter dürfte auch in Zukunft hoch bleiben oder sogar noch steigen. Zu beachten ist, dass in der EU eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden gilt. Untersuchungen von Eurofound, der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, haben jedoch ergeben: Wer nicht in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers, sondern regelmäßig von zuhause aus arbeitet, überschreitet diesen Grenzwert mit mehr als doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit. Darüber hinaus geben 30 % der Telearbeiter an, mehrmals pro Woche oder sogar täglich auch in ihrer Freizeit zu arbeiten. Bei Arbeitnehmern, die im Büro arbeiten, liegt dieser Wert hingegen bei weniger als 5 %.

Quelle: EU-Parlament