Arbeitsrecht - 16. April 2024

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer hat im Rahmen einer einstweiligen Verfügung Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung

ArbG Aachen, Pressemitteilung vom 11.04.2024 zum Urteil 2 Ga 6/24 vom 12.03.2024 (nrkr)

In einem nunmehr veröffentlichten Urteil vom 12. März 2024 hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen im einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Anspruch auf die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung gegenüber seiner Arbeitgeberin haben und er diesen auch im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen kann.

Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist seit September 1988 bei der Arbeitgeberin – einem Unternehmen, das Bauelemente herstellt und vertreibt – als Verkaufs- und Vertriebsleiter tätig. Er ist wegen eines Hirntumors seit April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und bis zum 10. April 2024 fahruntüchtig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nach Erreichen der Regelaltersgrenze des Arbeitnehmers mit dem Ablauf des Monats Oktober 2024 enden.

Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin, ihn ab Mitte März 2024 entsprechend einem ärztlichen Wiedereingliederungsplan nach dem Hamburger Modell zu beschäftigen, um zeitnah an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.

Das Arbeitsgericht Aachen gab dem Antrag des schwerbehinderten Arbeitnehmers statt, da die Arbeitgeberin verpflichtet sei, an der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Dem stehe die fehlende Fahrtüchtigkeit des Arbeitnehmers nicht entgegen. Der Arbeitnehmer könne während der Fahruntüchtigkeit zu Beginn der Wiedereingliederung zunächst seinem Aufgabenprofil entsprechende Büroarbeiten erledigen.

Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besondere Eilbedürftigkeit ergab sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts daraus, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf die zeitnahe Wiedereingliederung angewiesen sei. Demgegenüber würde eine Versagung der Wiedereingliederung den Teilhabeanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erwerbsleben aus § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX vereiteln oder jedenfalls erheblich erschweren. Auch der nahe Renteneintritt des Arbeitnehmers ändert nach Ansicht des Arbeitsgerichts nichts am Eilbedürfnis.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Hinweis zur Rechtslage

§ 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX

Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können, […] unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung. Bei der Durchführung der Maßnahmen nach Satz 1 Nummer 1, 4 und 5 unterstützen die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen. Ein Anspruch nach Satz 1 besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.

Quelle: Arbeitsgericht Aachen