Jahresrückblick - 23. November 2023

Digitale Mutmacher

Der Fachkräftemangel treibt uns weiterhin genauso um wie die überbordende Bürokratie und nicht zu Ende gedachte digitale Prozesse. Helfen kann hier nur ein Konzept, das sämtliche Herausforderungen gleichermaßen in den Blick nimmt.

In diesen Wochen, wo sich das Jahr 2023 dem Ende zuneigt, wird es so manchem von Ihnen ähnlich ergehen wie mir: darüber nachdenken, was uns vor einem Jahr beruflich beschäftigt hat, wie die politische Großwetterlage damals aussah und womöglich sogar, was die meteorologischen Perspektiven für die Feiertage versprachen. Ich habe noch einmal in der Kolumne geblättert, die ich vor einem Jahr für Sie geschrieben habe – und habe dabei festgestellt, wie ähnlich die Themen doch geblieben sind. Was dafür spricht, dass uns einige Entwicklungen die nächsten Jahre enger begleiten werden, als uns das womöglich lieb sein könnte. Allen voran der Fachkräftemangel, vor allem demografisch bedingt durch das sich verschiebende Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Ruheständlerinnen und Ruheständlern: Schon im Jahr 2030 werden aktuellen Statistiken zufolge nur noch durchschnittlich 2,1 Arbeitnehmer auf einen Rentner kommen. Eine Entwicklung, die für einen dauerhaften Engpass auf dem Arbeitsmarkt sorgen wird. Der Fachkräftemangel ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern eine ernstzunehmende Herausforderung, mit der wir uns alle befassen müssen. Speziell in den sozialen, gesundheitlichen, aber auch in den technischen Berufen und in unserem Berufsstand fehlen schon jetzt eklatant viele qualifizierte Menschen.

Kenntnisse müssen angepasst werden

Ein weiterer Grund für den Fachkräftemangel ist die Kluft zwischen Ausbildung und Arbeitsmarkt, zwischen den Fähigkeiten, die Menschen erwerben, und den Erfordernissen in der beruflichen, zunehmend digitalisierten Praxis. Arbeitnehmer müssen ihre Qualifikationen ständig anpassen und ihre Kenntnisse gewissermaßen digitalisieren. Neue Berufsfelder in der IT, aber auch in der Datenanalyse allgemein entstehen, andere Berufe – wie auch der unsrige – unterliegen einer kompletten Transformation.
Der Fachkräftemangel zwingt uns als Berufsstand und als Gesellschaft ebenso wie die Digitalisierung zum Umdenken. Wenn sich diese Herausforderungen nicht negativ auf die Wirtschaft und die allgemeine Daseinsvorsorge auswirken sollen, müssen wir umsteuern. Denn in diesem Zusammenhang muss ein weiteres großes Problem in den Blick genommen werden, das uns seit Jahr und Tag begleitet: die Bürokratie und die damit verbundenen erheblichen Kosten. Wenn man der Definition des Statistischen Bundesamts folgt, ist Bürokratie für sich genommen erst einmal nichts Negatives. Demnach ist Bürokratie „das Ausführen von Verwaltungstätigkeiten nach klaren Vorgaben und innerhalb festgelegter Strukturen“ – also ein Rahmen für offiziell erforderliche Vorgänge, der im besten Fall Rechtssicherheit gibt.

Bürokratiekosten steigen wieder an

Allerdings wird Bürokratie nicht nur als immer belastender empfunden, sondern lässt sich tatsächlich auch in Erfüllungsaufwand bemessen. Bürokratiekostenindex und Belastungsbarometer bilden diese Kosten ab, die zugleich auch die Ineffizienz der jeweiligen Vorgänge offenlegen. Seit Erhebung des Bürokratiekostenindex 2012 sind die Zahlen kaum gesunken; im Gegenteil: Seit gut anderthalb Jahren steigen die Kosten wieder leicht an.
Und nicht nur unser Steuerrecht ist komplex. Auch die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren in Deutschland haben es in sich. So hat der BDI ausgerechnet, dass vor 15 Jahren solche Verfahren durchschnittlich noch mit zwei Gutachten auskamen. Heute sind es zwischen fünf und zehn Unternehmen. Mit dem Onlinezugangsgesetz von 2017 sollten zudem zahlreiche Verwaltungsleistungen digitalisiert werden – nun ist auch dem Gesetzgeber klar geworden, dass dies erst der Anfang eines langen Wegs sein konnte. Im Herbst dieses Jahres wurde daher das Onlinezugangs-Änderungsgesetz ins Parlament eingebracht (der aktuelle Stand des Gesetzgebungsverfahrens war bei Redaktionsschluss noch offen). Ob damit aber die Kernprobleme bei der vollständigen Digitalisierung der Verwaltung gelöst werden, ist noch offen – beispielsweise digitale Ende-zu-Ende-Prozesse oder einheitlich digitalisierte Verfahren quer durch die Bundesländer.

Deutschland kein Glasfaserland

Selbstverständlich müsste als Basis dafür – vor allem im ländlichen Raum – die Digitalisierung durch gut funktionierendes Internet erst einmal ermöglicht werden. Deutschland ist laut OECD immer noch kein Glasfaserland und liegt beim Ausbau dieser Technologie mit 8,1 Prozent auf den hinteren Plätzen. Nur in Österreich, Belgien und Griechenland ist der Anteil noch geringer – im europäischen Vergleich steht Spanien mit einem Anteil von 81 Prozent Glasfaseranschlüssen am besten da.
Wir schöpfen unser Potenzial nicht aus, nicht bei zugrunde liegenden Technologien, nicht in der Umsetzung neuer Ansätze, nicht in der Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden. Dabei könnten wir als Gesellschaft so viel gewinnen, wenn wir das Zutrauen in digitalisierte Prozesse stärken und diese ausbauen würden.
Begegnen wir den genannten Problemen also nicht nur mit Skepsis, sondern mit der Akzeptanz, dass wir für Veränderung bereit sind. Dann können wir die Transformation gemeinsam gestalten. Und genau das ist das Entscheidende, sowohl auf der Suche nach Fachkräften als auch bei der Umsetzung erfolgreicher Digitalisierung: der gemeinschaftliche Mut, Dinge anders anzupacken als früher.

Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

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