Neue Wege - 28. Oktober 2021

Ganz schön mutig!

Eine Viertagewoche bei einem Fünftagegehalt. Klingt nach einem Traum, ist aber bei der SKS Steuerberatung in Dresden und Berlin seit April Realität.

Man kann einen Menschen mit harten Fakten beschrei­ben. Das liest sich bei Dmytro Sonkin, Mitinhaber der SKS Steuerberatung, dann so: 40 Jahre jung, verheiratet, zwei Kinder. Mit 16 Jahren kam er aus der Ukraine nach Deutschland, machte hier sein Abitur, studierte Steuerrecht und gründete 2010 mit einer Geschäftspartnerin die SKS. Damals war er 29. Man kann einen Menschen auch anhand von Beobachtun­gen beschreiben. Während unseres einstündigen Gesprächs per Videokonferenz lacht Dmytro Sonkin viel. Er spricht schnell und gestenreich, wirkt sehr sympathisch und manchmal sogar etwas spitzbübisch, offen und immer ein wenig unter Strom.

Man kann einen Menschen aber auch mit einer einzelnen Anekdote beschreiben. Das liest sich bei Dmytro Sonkin dann so: Dass Sonkin heute Steuerberater ist, liegt vor al­lem an einer Schulfreundin und an einer Wette. „Diese Mit­schülerin hatte mich eines Tages auf einen Tag der offenen Tür an der Berufsakademie Dresden hingewiesen und ge­sagt, dass man dort unter anderem Steuerrecht studieren könne. Darauf antwortete ich, dass das Studienfach interes­sant klingt. Sie erwiderte mir, ich würde dieses Studium eh nicht schaffen, und zum damaligen Zeitpunkt wiesen meine Noten auch nicht auf das Gegenteil hin. Aber in diesem Mo­ment ging ich mit ihr die Wette ein, dass ich das Studium Steuerrecht sehr wohl meistern würde.“

Dmytro Sonkin schrieb sich folglich für das Studium ein und gewann die Wette. In gewisser Weise ist auch die Viertagewoche die seit dem 1. April in seiner Kanzlei gilt, eine Art Wette. Und die geht so: Das Problem kennen viele Kanzleiinhaberinnen und Kanzlei­inhaber. Wie nur finde ich fähiges Personal? Für Dmytro Son­kin und seine Geschäftspartner heißt das: Wie finden wir Per­sonal, das sich im nationalen wie internationalen Steuerrecht auskennt, Deutsch, Englisch und Russisch spricht. Das sind die besonderen Anforderungen, die Sonkin hat. „Über 80 Pro­zent unserer Mandanten sind Mittelständler und Konzerne, einige davon börsennotiert, über 60 Prozent sind internatio­nal tätig. Viele Unternehmen sind deutsche Ableger von Kon­zernen aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), ihre Geschäftsfelder sind Erdöl, Erdgas oder der Handel. Wir betreuen aber auch viele Start-ups und Fintechs“, erzählt Sonkin. Zu den bekanntesten Start-ups, die SKS betreut, ge­hören die Macher der App Endel, die ihre Nutzer zu besserem Schlaf und mehr Achtsamkeit verhelfen soll und derzeit in Teslas und Mercedes eingebaut wird, wie Sonkin sagt. An­sonsten nimmt SKS derzeit keine weiteren Mandate an, die entsprechende Warteliste umfasse vier Seiten. Zu ausgelastet sind die 28 Mitarbeiter, von denen sieben im sogenannten Front Office in Berlin und der Rest in Dresden, dem Know How Center, sitzen. Die Repräsentanz in Kiew ist derzeit we­gen der instabilen politischen Lage vor Ort geschlossen.

Eine Wette auf die Zukunft

Die Kanzlei ist in den zurückliegenden Jahren groß gewor­den, teilweise lag das jährliche Wachstum bei 100 Prozent. Doch alles Wachstum ist endlich, vor allem, wenn es an der wichtigsten Ressource mangelt: den Mitarbeitern. „Der Fachkräftemangel ist echt der Hammer. Und wenn die Fach­kräfte dann auch noch Russisch und am besten auch Englisch sprechen sollen, ist es schier unmöglich, Stellen zu beset­zen“, beschreibt Dmytro Sonkin die Ausgangssituation seiner Wette auf die Zukunft der Kanzlei. Sonkin und seine Partner probierten viel, um neue Mitarbeiter zu gewinnen: über Emp­fehlungen und Job-Portale zum Beispiel, meist nur mit über­schaubarem Erfolg. Vor knapp eineinhalb Jahren reifte die Überlegung, einen ganz neuen Weg zu beschreiten: die Vier­tagewoche.

„Der Entschluss, das zu machen, war sehr schnell gefasst. Die Frage war nur, wie machen wir das? Wir können ja nicht einfach von heute auf morgen von fünf auf vier Tage umstellen. Dann freuen sich zwar alle, aber wohin mit der Arbeit?“ Sonkin stürzte sich zu­nächst in die eher übersichtlich vorhan­dene Literatur zu dem Thema. Er las von positiven Beispielen wie Microsoft, das in Japan mit der Viertagewoche die Produk­tivität um 30 Prozent steigern und den Krankenstand um 20 Prozent senken konnte. Bei einem Gewinn an Mitarbei­terzufriedenheit von satten 70 Prozent. „Ich habe diese positiven Beispiele gele­sen und mich gleichzeitig gefragt, warum nicht alle Unter­nehmen auf die Viertagewoche schwenken, wenn die so gut funktioniert. Also suchte ich gezielt nach negativen Beispie­len, auch die fand ich.“ Zwei wesentliche Erkenntnisse zog Sonkin aus seiner Literaturrecherche. Erstens: Die Enttäu­schung, die Viertagewoche rückgängig zu machen auf eine Fünftagewoche, ist wesentlich größer als die Freude darü­ber, sie einzuführen. Das Rad zurückzudrehen, muss also unbedingt verhindert werden. Und zweitens: Niemand hat eine Anleitung veröffentlicht, wie genau die Viertagewoche eingeführt wurde.

Ein Dank an die Deutsche Bahn

Auch Dmytro Sonkin macht das nicht, natürlich. Aber er skizziert den langen Weg hin zum 1. April 2021, dem Be­ginn der neuen Arbeitszeit. Zunächst wurden die Mitarbei­ter in die Pläne eingeweiht. „Sie waren natürlich begeistert, wer wäre das nicht bei der Aussicht, nur noch vier statt fünf Tage bei vollem Gehalt arbeiten zu müssen. Aber sie waren auch skeptisch, weil sie unser Arbeitspensum kennen“, blickt Sonkin zurück. Im August 2020 folgte eine Testphase mit drei Mitarbeiterinnen, nach der einige Punkte nachjus­tiert wurden vor dem scharfen Start für alle Mitarbeiter. Im Kern setzt das Modell auf Fokus- und auf Kommunikations­zeiten. „In den Fokuszeiten sollen unsere Mitarbeiter kon­zentriert arbeiten – ohne das Mail-Postfach im Blick zu ha­ben, ohne zu telefonieren, ohne mit irgendjemandem zu sprechen, egal, ob Mandant oder Kollegin.“ Inspiriert für diese Idee wurde Dmytro Sonkin unter anderem von der Deutschen Bahn. „Wenn ich von Dresden nach Berlin fahre, nutze ich den Zug. Die Fahrt dauert zwei Stunden. Zum Glück hat die Deutsche Bahn sehr schlechte Internetverbin­dungen im ICE. So kann ich Mails schreiben und bekomme nicht sofort eine Antwort, weil die Mails erstmal nicht raus­gehen. Ich habe also zwei Stunden fokussierter Arbeitszeit. Das ist super. In diesen zwei Stunden arbeite ich ungefähr 100 Mails ab oder schreibe eine Stellungnahme – das schaf­fe ich sonst an einem kompletten Arbeitstag.“

Zwei Stunden vormittags und eine Stunde am Nachmittag sind für die Fokuszeiten geblockt. In den Kommunikationszeiten stehen unter anderem Gespräche mit Mandanten und Kollegen an. „Allein durch diese und noch ein paar weitere Maßnahmen haben wir in der Testphase gesehen, dass die drei Mitarbeiterinnen in den vier Tagen produktiver waren als vorher und nachher in fünf Tagen. Dabei wollen wir gar nicht produktiver sein. Uns reicht es schon, nicht allzu viel Produkti­vität zu verlieren, wobei wir uns sogar ei­nen Verlust von etwa fünf bis zehn Pro­zent an Produktivität leisten können“, so Sonkin, der die hohe Rentabilität der Kanzlei mit dem Beratungsansatz er­klärt: „Im Schnitt liegt der Anteil am Umsatz einer Kanzlei durch Beratung im einstelligen Prozentbereich. Bei uns macht Beratung 50 Prozent des Umsatzes aus. Wir verkau­fen also Stunden. Unsere Rentabilität liegt bei 50 Prozent, der Durchschnitt bei Kanzleien bei 30 Prozent. Wir können uns also ein paar Einbußen leisten. Und es kann ja auch nicht das Ziel sein, dass wir uns totarbeiten.“

Das Nicht-Totarbeiten sieht in der Praxis so aus: Die Ar­beitszeit beträgt achteinhalb Stunden pro Tag, also 34 und nicht 32 statt 40 Stunden pro Woche. Freitags ist grundsätz­lich frei. Ein Notfallteam hält dann die Stellung und hat da­für montags frei. Jeden Monat übernimmt ein anderes Team die Freitagsschicht. Dass die Erreichbarkeit der Kanzlei durch die Viertagewoche eingeschränkt ist, damit können die Mandanten laut Sonkin gut leben: „Wir verstehen uns als Dienstleister und waren als solcher immer erreichbar. Da mussten auch wir in der Geschäftsführung umdenken. Denn nein, wir müssen nicht immer sofort reagieren. Wir bekommen so viele Mails, SMS, Anrufe, WhatsApp-Nach­richten, da können wir schlicht nicht immer sofort reagieren. Dann würden wir zehn Sachen parallel machen und keine davon richtig. Wir haben allen Mandanten erklärt, dass wir nicht immer sofort reagieren, sondern Zeiten ha­ben, in denen wir nicht unmittelbar erreichbar sind. Damit kommen alle klar, wir haben von keinem Mandanten negati­ves Feedback erhalten.“

Selbstdisziplin erlernen

Feedback von den Mitarbeitern holen sich die Partner in wöchentlichen Runden. Daraus entstehen kleinere Anpas­sungen, um das Modell zu perfektionieren. Eine der Mitar­beiterinnen ist Alexandra Bläser, die seit zehn Jahren bei SKS als Bilanz- und Lohnbuchhalterin tätig ist. „Die im Rah­men der Viertagewoche eingerichteten Fokuszeiten waren für mich ein Segen. Dadurch kann ich die Aufträge konzent­riert, stressfrei und zusammenhängend abarbeiten. Einge­hende Anrufe und E-Mails bearbeite ich zielgerichtet im Anschluss. Seitdem wir die Viertagewoche und die Fokus­zeiten eingeführt haben, arbeite ich noch effektiver“, resü­miert Alexandra Bläser. Sie betreut viele Unternehmens­gruppen, bei denen sie nun die Zusammenhänge zwischen den Gesellschaften noch konstruktiver gestalten könne.

Der Umsatz hat sich unmittelbar nach Start der Viertagewo­che kaum verändert. Sonkin erklärt sich diesen Umstand auch mit der anfänglich besonders hohen Motivation der Mitarbeiter. „Ich denke, dass die zurzeit wirklich sehr hohe Motivation etwas nachlässt, wenn sich alle an die Viertage­woche gewöhnt haben. Das werden wir dann auch am Um­satz merken“, mutmaßt Sonkin – aber leichte Einbußen sind ja einkalkuliert.

Die einzigen, die nicht ausnahmslos glücklich mit diesem Modellversuch sind, sind die Berufskollegen. „Ich wurde von einigen Kollegen gewarnt, dass die Viertagewoche im Markt nicht gut ankommen wird. Aber das ist mir egal. Mir ist wichtig, dass sie bei unseren Mitarbeitern und beim Ar­beitsmarkt gut ankommt, und das tut sie“, gibt sich Dmytro Sonkin selbstbewusst.

Woran Sonkin und seine Kollegen noch arbeiten müssen, ist die Selbstdisziplin. „Wir sehen, dass einige nicht nach acht­einhalb Stunden den Rechner ausmachen, sondern länger arbeiten und noch im Überstundenmodus sind. Wir stellen deshalb neue Mitarbeiter ein, die ihnen die Arbeit wegneh­men, damit sie keine Überstunden mehr machen müssen.“ Und wie ergeht es dem Chef persönlich? „Auch mir fällt es sehr schwer, abends nicht mehr zu arbeiten und mich an die achteinhalb Stunden zu halten. Aber auch wir Partner haben uns gesagt, dass unsere 60-Stunden-Wochen ein Ende haben müssen. Wir haben alle Kinder, Familien, Hob­bys – und Jahresabschlüsse zu klopfen, ist nun mal kein Hobby. Wir müssen Vorbild sein für unsere Mitarbeiter und gehen langsam in die richtige Richtung“, erzählt Dmytro Sonkin. Mitarbeiterin Alexandra Bläser schlägt in dieselbe Kerbe: „Ich habe gelernt, die Füße auch mal stillzuhalten und Anfragen nicht sofort zu bearbeiten. Durch die fest ein­gerichteten Empfangszeiten unserer E-Mails werden wir nicht permanent von neuen Informationen abgelenkt. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass der Fokus auf die Arbeit nach Feierabend in den Hintergrund rückt. Wir haben drei Tage pro Woche frei – also viel freie Zeit für den Haushalt, Erledigungen, Zeit mit Freunden und Familie und um die Seele baumeln zu lassen.“

Was der SKS dabei hilft, die Viertagewoche umzusetzen, sind die voll digitalisierten Arbeitsabläufe in der Kanzlei. „Wir arbeiten sehr digital, sowohl mit DATEV als auch mit anderen Anbietern, um eine größtmögliche Effizienz zu er­möglichen. Denn DATEV ist nicht überall gut“, so Dmytro Sonkin. Wo DATEV Sonkins Meinung nach nachbessern kann, ist die Digitalisierung. „Ich wünsche mir, dass die ganzen buchhalterischen Tätigkeiten wegfallen. Ich habe auch keine Angst davor. Dann können wir uns noch mehr auf die Beratung konzentrieren“, so Sonkin.

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TG
Thomas Günther

Redaktion DATEV magazin

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