Förder­zweck der Ge­nos­sen­schaft - 23. Mai 2018

Wem gehören die Plattformen?

Nach­haltig er­folg­reich sind Or­ga­ni­sa­tio­nen, denen es gelingt, voraus­schauend auf Ent­wick­lungen zu rea­gieren und die gleich­zeitig in der Lage sind, das zu be­wah­ren, was sie be­son­ders macht und wofür sie stehen.

Vorausschauend zu reagieren, erfordert kluge Weichenstellungen, wenn sich technologische Innovationen oder gesellschaftliche Umbrüche abzeichnen, die das eigene Geschäftsmodell angreifen können. Besonderes zu bewahren, heißt, seinen Markenkern und das Vertrauen seiner Stakeholder zu verteidigen, diese gleichsam strategisch und organisatorisch in ein neues Zeitalter zu überführen. Aktuell stellt sich diese Herausforderung mit der digitalen Transformation für viele Unternehmen, auch für DATEV.

Genossenschaftlicher Member Value

Genossenschaften schaffen über drei Wege Werte für ihre Mitglieder: wett­be­werbs­fähige Produkte und Leis­tun­gen mit garantierten Qualitätsstandards (unmittelbarer Member Value), Entscheidungs- und Kontroll­rechte sowie die Aus­schüt­tung von Ge­winn­anteilen, Dividenden oder Rückvergütungen (mittelbarer Member Value).
Es ist der nachhaltige Member Value, der über die Perspektiven der Genossenschaft entscheidet. Mit dem in der Genossenschaft Erwirtschafteten ist sicherzustellen, dass auch morgen die Mitglieder noch gefördert werden können, und zwar durch die Entwicklung neuer Dienstleistungen, Produkte und Pro­zesse sowie durch or­ga­ni­sa­to­rische Weichenstellungen. Die Bewährungsprobe vieler Genossenschaften ist heute die digitale Trans­for­ma­tion.

Plattformen gewinnen

Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz ­bedeuten für Unternehmen einerseits einen hohen Investitionsbedarf, andererseits sind sie Anlass für die Grün­dung agiler Unternehmen, die Portale betreiben, die Bestehendes herausfordern und Neues ermöglichen. Sie verändern die Organisation der Wertschöpfung sowie die Koordination von Transaktionen. Für viele Unternehmen entstehen neue Wett­be­werber, gegen die kaum zu gewinnen ist. Portale entfalten über ihre Netzwerkeffekte eine Sogkraft, zusätzliche Nutzer anzuziehen: je mehr Anbieter, umso interessanter für die Nachfrager und je mehr Nachfrager, umso interessanter für die Anbieter. Diese Eigendynamik fordert Anbieter ohne Zugang zu Portalen heraus. Geschäftsmodelle werden angegriffen, weil sich Plattformen in die Wert­schöpfungskette einklinken, zusätzliche Stufen aufbauen oder Leistungen direkt absorbieren. Dies zeigte sich zuerst im Handel – Händlersterben und Online-Handel –, inzwischen bei vielen Dienstleistungsunternehmen. Die GAFA-Gruppe (Google, Amazon, Facebook, Apple) steht nur für die größten und bekanntesten Plattformen. Viele andere, spezialisiert und agil, sind erfolgreich.

Plattformen haben Eigentümer

Die etablierten Unternehmen, dies können auch erfolgreiche Steuer­be­ra­tungs­kanz­leien sein, laufen Gefahr, dass sich eine Plattform zwischen sie und ihre Kunden (Mandanten) schiebt. Sie kann Vergleichsportale, Ver­mitt­lungs­portale, Peer-to-peer- Plattformen (P2P), Beratungs- oder Abwicklungsroboter anbieten. Die Wahr­schein­lich­keit, dass solche Leistungen auch nachgefragt werden, steigt mit der digitalen Affinität der Kunden und dem Ausmaß ihrer Bindung an das Unternehmen. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass der Anteil der Digital Natives zunimmt, ihr Sicher­heits­be­dürfnis steigen wird und dass ihre differenzierten Biografien auch steuer­recht­liche Konsequenzen mit sich bringen können. Diese Faktoren bestimmen, wie groß der Teil von Wert­schöp­fung, Einkommen, Honoraren und Kunden ist, die vom Unternehmen zur Plattform umverteilt oder von dieser neu gewonnen werden. Auch Plattformen haben Eigentümer. Diese gewinnen, was die Eigentümer der etablierten Unternehmen verlieren, weil für deren Leistungen weniger bezahlt wird, und sie gewinnen, weil sie es sind, die nun den Zugang zum Kunden haben. Zur letztlich erfolgsentscheidenden Frage wird also, wem die Plattform gehört.

Genossenschaftliche Plattformen

Für Genossenschaften sind strategische Weichenstellungen mit technischen und organisatorischen Investitionen notwendig, die nachhaltigen Member Value erzeugen, damit sie in der digitalen Zukunft Werte für ihre Mit­glieder schaffen können. Als Herausforderungen für etablierte Unternehmen ­wurde herausgearbeitet, dass sie durch Plattformen Aufträge und Einkommen verlieren. Somit ist es notwendig, die Plattform in die eigene Wert­schöp­fungs­kette zu integrieren und gleichzeitig ihr Eigentümer zu sein. Nur dann bleibt die Wertschöpfung im Unternehmen und bleiben die Einkommen bei seinen Eigentümern, kann ihr Markt sogar wachsen. Die Wert­schöp­fungs­kette ge­nos­sen­schaft­licher Mitglieder ragt in ihr gemeinsames Unternehmen hinein und wird dort quasi gebündelt. Dies ist eine geradezu ideale Voraussetzung, die bestehende Infrastruktur, deren Eigen­tümer die Mitglieder sind, als Fundament für eine eigene Plattform zu nutzen. Zudem ist in ge­nos­sen­schaft­lichen Statuten geregelt, wem der Kunde am Ende der Wertschöpfungskette gehört: dem Mitglied, und daran ist nicht zu rütteln.

Regeln und Vertrauen

Ein Portal definiert einen neuen Zugang zu neuen und alten Kunden. Daher wird ein Regelpaar erforderlich. Die Genossenschaft muss als Anbieter der Plattform Zugang erhalten, und es muss sichergestellt sein, dass die Mitglieder die Leistung erbringen und die Honorare erzielen. Dass manche Leistungen automatisiert werden, bringt Vorteile für die Eigentümer der Plattform. Es erfolgt hingegen keine Umverteilung zu externen Ge­sell­schaftern oder Investoren. Während der Hebel für die Zukunft der Genossenschaft der nachhaltige Member Value ist, sind selbstverständlich auch die beiden anderen Wertkomponenten betroffen. Eine eigene Plattform wird das Leistungsportfolio aufwerten (unmittelbarer Member Value), sollte sich finanziell positiv auswirken und wird den Einfluss der Mitglieder auf die weitere Entwicklung sichern (mittelbarer Member Value).

DATEV-Plattformstrategie

Die DATEV hat eine Plattformstrategie kombiniert mit einem Steuerbürger-Szenario entwickelt. Diese berück­sich­ti­gen die hier skizzierten Anforderungen für die digitale Transforma­tion einer Genossenschaft. Dabei kann die DATEV für die Umsetzung des Konzepts zwei wichtige Faktoren nutzen. Ihre Marke zeichnet eine hohe Reputation im Hinblick auf ­Sicherheit und Seriosität aus. Für die strategisch wichtigen Weichen­stellungen einer Plattform kann die DATEV ihre digitalen Kompetenzen ebenso nutzen wie den Zugang zu verlässlichen Partnern und das einzigartige Wissen, was der Berufsstand benötigt.

Zur Autorin

Prof. Dr. Theresia Theurl

Professorin für Volkswirtschaftslehre und Dekanin der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Westfälischen-Wilhelms-Universität sowie geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen

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