Zeitreise - 27. März 2024

„DATEV-Genosse 007 wäre sehr zufrieden“

Als vor 58 Jahren sieben visionäre Nürnberger DATEV gründeten, konnten diese die heutige Situation des steuerberatenden Berufsstands nicht voraussehen, hatten aber mit der Genossenschaftsidee den richtigen Riecher. Einer der legendären Sieben war Walter G. Fürsattel. Seine Frau Ursula und sein Sohn Martin, die die Kanzlei Fürsattel & Collegen weiterführen, nehmen uns mit auf eine Zeitreise von den Anfängen bis heute.

Das Interview führte Simone Wastl

DATEV magazin: Frau Fürsattel, die Kanzlei, die Ihr verstorbener Mann Walter G. Fürsattel gegründet hat, die Sie später übernommen haben und die heute Ihr Sohn Martin leitet, besteht seit 1952. Sie selbst waren damals noch ein Kind. Wie sind Sie zur Steuerberatung gekommen?
URSULA FÜRSATTEL: Ich bin 1944 geboren und 17 Jahre jünger als mein verstorbener Mann und war bei seiner Kanzleigründung also erst acht Jahre alt. Ich bin aufs Gymnasium gegangen, habe aber nach drei Jahren das Handtuch geschmissen und dann eine Ausbildung zur Gehilfin im steuer- und wirtschaftsberatenden Beruf bei einem Steuerberater begonnen, aber nicht genau gewusst, was ein Steuerberater macht. Ich wollte in keine große Firma wie mein Vater. Ich wollte kein Rädchen sein. Ich wollte in ein Unternehmen, in dem man etwas bewegen kann. Und so kam ich in die Kanzlei meines späteren Ehemanns.

Wie war es damals, sich in diesem männerdominierten Berufsstand als junge aufstrebende Frau zu behaupten und eigenes Terrain abzustecken?
URSULA FÜRSATTEL: Ich habe mich immer durchsetzen können, mich allerdings nie als emanzipiert gefühlt. Natürlich haben die Männer damals dominiert, aber ich habe mich fachlich weitergebildet, weil ich in meinem Beruf aufgehe. Damit bin ich immer sehr gut gefahren.

Sie waren zunächst als Mitarbeiterin, dann als Ehefrau, später als Steuerberaterin und Teilhaberin in der Kanzlei präsent und arbeiten sogar heute noch täglich mit. Wie haben Sie miterlebt, wie Ihr Mann mit Dr. Heinz Sebiger und den anderen Mitstreitern die Genossenschaftsidee entwickelt hat, die damals neue und unbezahlbar teure EDV für den Berufsstand nutzbar zu machen, aus der 1966 DATEV hervorging?
URSULA FÜRSATTEL: Mein Mann und ich haben 1964 geheiratet. Mein Sohn Martin ist 1965 geboren und mein zweiter Sohn 1966 wurde DATEV gegründet. Dr. Heinz Sebiger und Joachim Matthäus waren die Initiatoren und sehr EDV-affin. Auch die anderen Gründungsmitglieder, Klaus Hartmann, Gerhard Nopitsch, Werner Brandt, Fritz Wintermayr und mein Mann, waren davon überzeugt, dass wir uns die Technik nutzbar machen müssen. So haben wir zunächst einen Rationalisierungsausschuss gegründet und in der Folge mit 65 Steuerbevollmächtigten im Kammerbezirk Nürnberg die Genossenschaft DATEV, um die Buchführung der Mandanten mithilfe der EDV zu erledigen. Es wurde zuvor leidenschaftlich diskutiert, ob daraus eine Genossenschaft oder ein Verein werden sollte. Aber die Genossenschaft war die richtige Entscheidung und Rechtsform, um alle Kollegen einzubeziehen und die Mitglieder zu beteiligen. Es ging dabei nicht um Gewinnmaximierung, sondern um die Nachhaltigkeit der Genossenschaft. Natürlich gab es auch viele Skeptiker, die sagten, niemand würde sich beteiligen, es sei alles viel zu kompliziert und zu teuer. Dabei waren die Kosten ja der Grund, warum sich die sieben Gründungsmitglieder überhaupt zusammengetan haben. Die Frau von Joachim Matthäus und ich, zu der Zeit noch beide keine Steuerberaterinnen, haben die neuen EDV-Möglichkeiten – wenn man heute überhaupt davon reden kann, denn es war Datenvorerfassung mit Lochstreifen – dann in der Praxis angewendet und sozusagen verprobt.

Dr. Heinz Sebiger war sich anfangs keineswegs sicher, ob das alles klappen könne, eine Genossenschaft zu gründen, Software zu entwickeln, Rechenzeit auf einem IBM-Großrechner zu mieten. Wie erging es Ihrem Mann? Gelassener Optimismus oder schlaflose Nächte?
URSULA FÜRSATTEL: Der Optimismus hat gesiegt. Dennoch gab es auch Tiefpunkte. Keiner konnte in die Zukunft blicken. Dr. Sebiger hat es aber gut verstanden, die Skeptiker zu überzeugen. Viele haben zunächst über den Rationalisierungsausschuss gelacht. Wir haben das damals als Rückschlag empfunden, dass einige zunächst nicht so mitgezogen haben, wie wir uns das wünschten. Die Bundessteuerberaterkammer beobachtete das Gründungstreiben des Kindes der Steuerberaterkammer Nürnberg genau und wollte dann auch dabei sein. Denn schnell wurde deutlich, dass DATEV eine ganze Menge bewegen kann. Als mein Mann sich bereit erklärt hat, seinen DATEV-Vorstandsposten frei zu machen, um der bundesweiten Entwicklung von DATEV nicht im Wege zu stehen, fiel Heinz Sebiger ein großer Stein vom Herzen.

Wie gestaltete sich die konkrete Zusammenarbeit der Gründungsmitglieder? Wie müssen wir uns die damaligen Arbeitstreffen vorstellen? Sie waren ja auch dabei.
URSULA FÜRSATTEL: Zunächst haben sich alle wöchentlich meist in eigenen Wohnzimmern getroffen. Ich war dabei, weil unsere Kanzlei der Wohnung angeschlossen war und ich mich als junge Mutter um meinen Sohn Martin kümmern durfte, der übrigens immer mit den Schnipseln der Lochstreifen gespielt hat. Und wie gesagt, Frau Matthäus und ich waren als Praktiker begeistert von den neuen Möglichkeiten und haben die Technik verprobt.

Die Kanzlei Ihres Vaters ist gemeinsam mit der Bundesrepublik gewachsen. Was ist von den Anfängen bis heute unverändert geblieben? Kann man die Kanzleiprozesse heute überhaupt mit den damaligen vergleichen?
MARTIN FÜRSATTEL: Gleich geblieben ist, dass wir viel mit Menschen zu tun haben, sowohl mit Mitarbeitern als auch mit unseren Mandanten. Heute arbeiten wir zwar digital, aber unverändert stehen der direkte Austausch und das persönliche Gespräch im Vordergrund. Auch unsere Philosophie, die Werte, die wir leben, haben Bestand. Wir beraten, erbringen unsere Dienstleistungen mit großem Engagement, die gegenseitige Wertschätzung und das Vertrauen stehen im Mittelpunkt unseres Tuns. Diese Grundlagen hat uns mein Vater in die Wiege gelegt. Hingegen sind die Kanzleiprozesse mittlerweile andere, weil sich unglaublich viel in den letzten 45 Jahren entwickelt hat, vom Rechenzentrum über On Premises in die Cloud – und damit auch die Art, wie wir in der Kanzlei arbeiten. Papier und Ordner sind fast verschwunden. Alle Mitarbeiter nutzen iPads. Wir treiben die Digitalisierung voran, weil wir Prozesse verschlanken und damit unsere Dienstleistungen effizienter erbringen können, natürlich auch, um die Zusammenarbeit mit unseren Mandanten zu verbessern. Die neuen gesetzlichen Vorgaben in Sachen E-Rechnung verdeutlichen, dass sich die kaufmännischen Prozesse immer mehr verzahnen. Das bedeutet für Kanzleien und Unternehmen eine massive Veränderung, aber auch eine riesige Chance für einen weiteren Digitalisierungsschub in Deutschland. So werden wir diesen nutzen und unsere Mandanten entsprechend vorbereiten und unterstützen.

Verspürt man bei den zahlreichen aktuellen Herausforderungen, wie Regulierungen, Bürokratisierung, lahmende Digitalisierung in der Verwaltung oder Fachkräftemangel, nicht ab und an Ohnmacht?
MARTIN FÜRSATTEL: Die Bearbeitung der Corona-Überbrückungshilfen war und ist eine große Herausforderung. Von der Grundsteuerreform möchte ich gar nicht reden. Generell heißt Bürokratisierung, dass die Unternehmen immer mehr Prozesse vom Staat übertragen bekommen, die wir Steuerberater dann abwickeln müssen. Dem Fachkräftemangel begegnen wir, indem wir schon seit jeher den Nachwuchs fördern und ausbilden. Es macht auch einfach Spaß, die Entwicklung junger Menschen zu begleiten. Aber natürlich gehen wir in Sachen Recruiting auch neue Wege wie zum Beispiel Kampagnen über Social Media und Ähnliches.
URSULA FÜRSATTEL: Ich habe das alles erlebt. Wir haben Fachkräfte ausgebildet, mit denen wir seit über 40 Jahren zusammenarbeiten. Es ist herausfordernd, die Richtigen zu finden und zu binden. Wenn man seinen Beruf liebt, findet man immer wieder Optimismus und die Hoffnung, dass es besser wird. Uns macht es einfach Spaß mit unseren Mitarbeitern und Mandanten. So kann ich nach so vielen Berufsjahren auf viele schöne gemeinsame Erfahrungen zurückblicken.

Gibt es bestimmte Momente im Berufsleben Ihres Vaters, die Sie nachhaltig beeinflusst haben?
MARTIN FÜRSATTEL: Mein Vater war ja Vorstand und Aufsichtsrat und dann noch viele Jahre DATEV-Vertreter. Ich erinnere mich noch gut, wie er nach manchen Vertreterversammlungen etwas frustriert über seine Erlebnisse mit den Kollegen berichtet hat. Dennoch bin auch ich seit bereits zwölf Jahren als Vertreter und auch im Vertreterrat aktiv; momentan auch als Prozessverantwortlicher für den Workstream B2C (Business to Consumer). Es macht mir sehr viel Freude, Dinge zu bewegen und nach vorne zu bringen. Man muss Engagement zeigen und kann nicht nur meckern. Das ist der genossenschaftliche Ansatz. Wir haben dank dieser Rechtsform und dank der Gremien die Möglichkeit, etwas zu verändern. Wenn ich eine Software von Microsoft kaufe, kann ich das nicht und bin einfach nur Kunde. Und wir brauchen vor allem junge Steuerberater, die sich einbringen und etwas bewegen wollen. Meine Innovationsunruhe habe ich – wie man sieht – offenbar von meinem Vater geerbt und diese Eigenschaft verbunden mit einer natürlichen Anpassungsfähigkeit ist auch ein Garant für unseren Erfolg

Was bedeutet Ihnen DATEV ganz persönlich und für den steuerberatenden Berufsstand?
URSULA FÜRSATTEL: DATEV ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Denn bei uns stand immer auch die Sicherheit im Vordergrund. Wir werden immer eine DATEV-Kanzlei bleiben. Wenn nicht, dann kündige ich meinem Sohn die Freundschaft. Ich glaube, mein Mann, DATEV-Genosse 007, wäre sehr zufrieden und durchaus stolz darauf, was er mit auf den Weg gebracht hat. Mein Mann hatte die Mitgliedsnummer 007.
MARTIN FÜRSATTEL: Die Genossenschaft ist eine perfekte Rechtsform. Besser und nachhaltiger geht es nicht. Man ist DATEV nicht nur emotional verbunden, man glaubt auch daran, was in der Genossenschaft gemeinschaftlich geschaffen wurde und weiterentwickelt wird.

Sie führen eine innovative Kanzlei mit langer Tradition und der Auszeichnung Label Digitale DATEV-Kanzlei. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in Ihrem Arbeitsalltag?
MARTIN FÜRSATTEL: Das ist in der Tat ein sehr spannendes Thema und beschäftigt uns. So werden wir in naher Zukunft mit einem KI-Spezialisten, der bei uns ein einwöchiges Praktikum macht, die Kanzleiprozesse im Einsatz von ChatGPT beleuchten. Bei den leistungserstellenden Programmen sind die DATEV-Lösungen wie der Automatisierungsservice Rechnungen sicherlich nur der Anfang, aber es zeigt sich schon jetzt, dass sich die Arbeitsweise der Mitarbeiter dadurch weiter verändern wird. So kann uns KI sicherlich unterstützen, dennoch ist das Thema mit gesunder Vorsicht zu betrachten.

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Das Interview gibt es auch als Video.

Zur Autorin

SW
Simone Wastl

DATEV-Geschäftsleitungsmitglied und Head of Corporate Communications

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