Neue Geschäftsmodelle verändern die Kommunikation und die Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern – und das sehr erfolgreich. Plattformen sind auch ein Modell für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, das viele neue Chancen eröffnen kann.
Wie kein anderes digitales Geschäftsmodell haben Plattformgeschäftsmodelle in den vergangenen Jahren die Machtverhältnisse in den Märkten verschoben. So geschehen bei Informationen (Google), in der Kommunikation (Facebook), auf dem Reisemarkt (Booking.com, Airbnb) oder im Handel (Amazon, Alibaba). Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt arbeiten nach dem Plattformmodell, das längst nicht mehr auf Konsumentenmärkte beschränkt ist. Die Vorteile einer Plattform wie sinkende Transaktionskosten, mehr Transparenz und am Ende wachsende Märkte lassen sich auf beinahe alle Branchen übertragen – auch auf die Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte, die noch die Wahl haben, eigene Plattformmodelle aufzubauen, bevor Player aus angrenzenden Märkten wie das GLG-Netzwerk, Legalbase, Smartlaw, Sage oder Intuit die Gelegenheit ergreifen.
Aufgrund ihrer Rahmenbedingungen ist die Steuerberatung gut für ein Plattformmodell geeignet. Ihre Dienstleistungen sind komplex und die Anbieterstruktur heterogen. Entsprechend schwer fällt es den Kunden, den Markt zu überblicken und den besten Anbieter zu finden. Zudem unterliegen diese Dienstleistungen aufgrund der digitalen Technologien, vorhandener Informationssysteme, Standardisierungen und Automatisierungen (wie Robotic-Process-Automation-Systeme bei der Beschaffung, Bearbeitung und Bereitstellung von Daten und Informationen) bei den Mandanten teilweise einem enormen Margendruck und müssen diesen durch höhere Einnahmen ausgleichen. Beide Aspekte liefern den aktuellen, aber noch mehr den künftigen Mandanten genügend Anreize, eine Plattform zu nutzen.
Dominantes digitales Geschäftsmodell
Plattformen sind strategische Geschäftsmodelle mit vielfältigen Märkten, Ökosystemen und Netzwerkeffekten, die Produktgeschäftsmodelle verdrängen und Marktmechanismen verändern.
Um den Erfolg der Plattformmodelle zu verstehen und den Markteintritt potenzieller Konkurrenten zu antizipieren, lohnt zunächst ein Blick auf die Funktionsweise der Plattformen, bevor im Folgenden die Einfallstore in den Markt der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte geöffnet werden. Denn ökonomische Plattformen sind strategische Geschäftsmodelle mit vielfältigen Märkten, Ökosystemen und Netzwerkeffekten, die in der Regel Marktmechanismen verändern. Um ihre Erfolge zu verstehen, müssen ihre Charakteristika klar sein:
- Im Gegensatz zu den klassischen linearen Geschäftsmodellen basieren Plattformmodelle auf Interaktionen zwischen Nachfrage und Angebot oder Produzent und Kunde. Obwohl klassische Produzenten weiterhin gebraucht werden, verlagert sich ein nicht zu unterschätzender Teil der Wertschöpfung von der Produktion auf die Interaktion. Somit werden klassische Produktionsfaktoren entwertet, das Wissen über Akteure und ihre Interaktionen dagegen aufgewertet.
- Plattformen ziehen ihre Stärke aus den Interaktionsdaten und leiten daraus neue Ansätze für zwei- oder mehrseitige Märkte (inklusive der Netzwerkeffekte) ab. Nur wer voraussehen kann, wie eine Marktseite (Nachfrager) reagiert, kann das Geschehen auf der anderen Marktseite (Anbieter) anpassen. Eine Taxi-App wie Uber oder mytaxi muss wissen, wie stark ein Preisnachlass die Nachfrage ankurbelt, um parallel für genügend Angebot an Taxifahrern zu sorgen. Diese Auswirkung von einer auf die andere Marktseite wird als Netzwerkeffekt bezeichnet.
- Plattformmodelle verändern die Märkte durch die Etablierung von Allianzen in den dynamischen Ökosystemen und fokussieren auf die Elemente der Transaktion, Innovation und Interaktion. Oft schaffen gerade diese Allianzen die entscheidenden Wettbewerbsvorteile der Plattformen gegenüber klassischen Anbietern, da sie nicht nur Kunden das Leben erheblich leichter machen, sondern neue Werteströme und neue Netzwerkeffekte zwischen den Anbietern erzeugen. Im Ergebnis machen alle Partner im Ökosystem mehr Geschäft als vorher und können die klassischen Anbieter vom Markt verdrängen.
- Einmal etabliert sind Plattformen in der Lage, durch die Nutzung der dynamischen Ökosysteme und Allianzen neue Märkte zu modellieren und bestehende Mechanismen zu verändern, was in der Regel zu einer Verlagerung der Handelsplätze und damit auch des Kapitals führt.
Plattformmodelle für den Berufsstand
In der Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung etablieren sich derzeit ebenfalls moderne Plattformmodelle. Beispiele sind:
- Plattformen für die Vermittlung von Experten
- Billing-Plattformen mit angedocktem Management-Cockpit und Finanzplanungslösungen
- Tax-Plattformen mit angedockten Ökosystemanbietern für Steuerberatung
- Legaltech-Plattformen für einfache Produkte und Services im Bereich der Rechtsberatung mit Verbindung zu den Rechtsanwälten und Rechtsanwaltskanzleien
- Personal-, Equity-Finance- oder Investment-Plattformen mit angedockten Dienstleistern zu unterschiedlichen Bedürfnissen der Kunden wie Finanz- oder Investmentberatung.
Interessante Beispiele sind das GLG-Netzwerk, in dem unterschiedliche Beratungsexperten mit den Kunden zusammengebracht werden, Legalbase oder Smartlaw, die als Rechtsberatungsplattformen einfache Legal-Produkte standardisiert anbieten, Eden MacCallum, die als Plattform unterschiedliche Beratungskompetenzen in einem zwei- und mehrseitigen Markt zusammenbringt, CATALANT, eine Plattform, die mittlerweile 40.000 Topexperten mit den Kunden und einem entsprechenden Ökosystem verbindet, oder Softwareanbieter wie Sage, Xero oder Intuit, die mittels Software in Richtung Plattformökonomie vordringen.
Dabei können selbst kleine Plattformen durch intelligente Ökosysteminteraktionen und -netzwerkeffekte neue Märkte, Möglichkeiten und Geschäftsmodelle entstehen lassen oder die Branche verändern: Geschäftsfelder werden möglicherweise ersetzt, verändert oder erneuert.
Hierbei gibt es für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte sowohl Chancen als auch Risiken. Eine Plattform kann neben der herkömmlichen Geschäftsanbahnung etabliert werden. Sich ausschließlich auf das herkömmliche Modell zu konzentrieren und sich nicht mit Plattformökonomien zu beschäftigen, ist vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Verschiebungen in anderen Märkten nicht empfehlenswert.
Blueprint und Plattformgeschäftsmodelle
Grundsätzlich können unterschiedliche plattformökonomische Szenarien und Geschäftsmodelle in der Industrie etabliert werden, die je nach Ausprägung auch ein nicht destruktives Potenzial haben, sondern gemeinschaftliche, praktisch genossenschaftliche Züge vorweisen. Die folgenden Szenarien sind Beispiele für Ansätze, die je nach Strategie miteinander kombiniert werden können.
- Plattformen mit Fokus auf Teilung der Ressourcen, Kapazitäten und Fähigkeiten
Hier bilden komplementäre Partner aus dem zuvor analysierten Ökosystem eine Allianz, um folgende Kernelemente zu bündeln und zu teilen:- Bündelung und Teilung der Ressourcen der Shared-Services-Anbieter im Bereich Finance and Accounting, Human Resources oder sonstige steuerberatungs-, wirtschaftsprüfungs- oder rechtsberatungsnahe Querschnittsfunktionen
- Kapazitäten der Anbieter aus Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung (Fähigkeiten oder Ressourcen)
- Fähigkeiten wie die Nutzung komplementärer Einheiten (Schulungen und Seminare), Teilung von Erfahrung im Rahmen einer Wertschöpfung
- Plattformen mit Fokus auf Produkt- und Serviceallianz
Ein weiteres Szenario bilden die Allianzplattformen, die Produkte und Services der Ökosystempartner komplementär miteinander ergänzen. Der Plattformbetreiber ermöglicht den Ökosystempartnern, ihre Produkte und Services auf unterschiedlichen Ebenen und mit mehreren Diversifikationsansätzen (horizontal oder vertikal) gezielt über die Plattform miteinander zu kombinieren und ihren Kunden anzubieten. Diese Allianzen stärken auf der einen Seite die gemeinsame Wertschöpfung und auf der anderen Seite die Portfolio- und Sortimentsgestaltung der Partner. Mehr Portfolioangebot führt zu einer besseren Markt- und Bedarfsabdeckung der Kunden, was wiederum mehr Interaktionen und zuletzt steigende Einnahmen durch mehr Netzwerkeffekte zur Folge hat.
Neben den bestehenden Allianzen können über Plattformen ähnlich wie in Ökosystemen auch Allianzen mit Unternehmensberatungen, Gutachtern, Software-Anbietern, Asset- Management-Anbietern, Versicherungsdienstleistern und Banken etabliert werden, die unterschiedliche Varianten und Möglichkeiten der Komplementärlösungen ermöglichen. - Plattformen mit Fokus auf Veränderung der Marktmechanismen und Ökosysteme
Diese Plattformen zielen vorrangig auf die Verlagerung der Interaktions- und Handelsmechanismen ab: Der Plattformbetreiber führt Ökosystempartner zusammen, die über Marktmacht und hohen Kundenzugang verfügen. Die Zusammenführung solcher Allianzpartner erweitert den Marktzugang und die Anzahl der indirekten Kunden, also der Kunden des Ökosystempartners, noch weiter. Die Folge sind wiederum mehr Interaktionen bei den Kunden der Partner, was ebenfalls zu mehr Einnahmen durch die Netzwerkeffekte führt – die Marktmacht steigt, Wertschöpfung wird aus klassischen Geschäftsmodellen abgesaugt, klassische Player vom Markt verdrängt.
Einige Plattformen, etwa CATALANT in den USA oder Alibaba in China, etwa mit Lösungen im Bereich Audit, verändern und verlagern solche Marktmechanismen auf durchaus aggressive Weise, um über die Verlagerung der Interaktionen und Transaktionen beispielsweise nicht regulierte Beratungs- oder Audit-Leistungen indirekt durch die Netzwerkeffekte zu erhalten und klassische Märkte anzugreifen. Doch auch hier liegt eine Chance: Eine Plattform für alle Anbieter der Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung könnte beispielsweise eine wesentliche Marktmacht etablieren, indem neue oder zusätzliche Allianzen (unter anderem aufbauend auf bestehende Lösungen) etabliert und damit alle Ökosystempartner gestärkt werden. - Plattformen mit Fokus auf Software-Lösungen, Daten und Technologie
Hier führt der Plattformbetreiber unterschiedliche Ökosystempartner mit IT-Fokus zusammen, die (unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzrichtlinien) ihre komplementären Daten wie anonymisierte Benchmarkdaten gemeinsam nutzen, analysieren, partnerübergreifend Erkenntnisse daraus erzielen und diese wiederum im Tagesgeschäft einsetzen, um etwa datengetriebene Produkte und Services zu entwickeln.
Ist das Plattformgeschäftsmodell ausgearbeitet, steht die Umsetzung an. Dabei gilt: Hoffnung ist keine Strategie!
Grundsätzlich sind folgende Modelle denkbar:
Ein eigenes Plattformgeschäftsmodell aufbauen: Empfehlenswert für Unternehmen, die als Plattforminitiator und Vorreiter auf dem Markt Plattformmodelle etablieren wollen.
- Eine Plattform mit weiteren Partnern aufbauen: Dieses Modell ist geeignet für Plattforminitiatoren, die im Vorfeld komplementäre Elemente miteinander verbinden und eine gemeinsame Strategie verfolgen.
- Bestehende Plattformen als Absatzkanal nutzen: Grundsätzlich empfiehlt es sich, dass jedes Unternehmen die existierenden Plattformen als einen weiteren Absatzkanal im Rahmen der Absatzkanalstrategie nutzt.
- Plattformen bieten also auch Chancen, klassische Geschäftsmodelle zu ergänzen und innerhalb einer Branche zum Nutzen aller zusammenzuarbeiten. Wer früher beginnt, hat bessere Chancen, den Veränderungen der Märkte aktiv entgegenzutreten.
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