Bei der Gestaltung der Arbeitswelt der Zukunft sind alle Beteiligten mit einzubeziehen, nicht nur Politiker und Sozialpartner, sondern auch die Unternehmen und ihre Beschäftigten. Eine sachliche Debatte ist unabdingbar, damit das Projekt Arbeit 4.0 erfolgreich umgesetzt werden kann.
Seit jeher spiegelt die Arbeitswelt die gesellschaftlichen Strömungen, technologischen Umwälzungen und kulturellen Normen wider. Um ein Zukunftsbild der Arbeitswelt zu skizzieren – was sich als vielschichtige Herausforderung herausstellt – sind die Einflussfaktoren auf Arbeit, Organisation und Unternehmen zu benennen und zumindest annäherungsweise deren zukünftige Auswirkungen zu kennen. Gegenwärtig diskutierte Einflussfaktoren und Trends sind – so in einer Metaauswertung der Trendforschung des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) extrahiert – unter anderem die vernetzte und intelligente Digitalisierung, die Globalisierung, die ökologische Nachhaltigkeit. Kombiniert mit den unternehmerischen Erfolgsfaktoren prägen die Trends den Korridor, die Motivation und die Zielsetzung für die Arbeitsgestaltung der Zukunft. Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die wesentlichen Gestaltungsparadigmen.
Steigerung der Flexibilität
Die zukünftige Arbeitswelt basiert auf einer immer kraftvoller werdenden Flexibilisierung, Vernetzung und Individualisierung der Arbeit. Dimensionen der Flexibilisierung sind Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsstrukturen. Die Möglichkeiten der Vernetzung bieten Mitarbeitern und Führungskräften die Chance, zunehmend orts- und zeitunabhängiger zu arbeiten. Resultierend daraus entwickeln sich vielfältige Szenarien von mobilen und vernetzten Arbeitssystemen. Langfristig wird das nicht nur Büroarbeitsplätze betreffen und neue Anforderungen an Führung und Zusammenarbeit stellen. Betriebliche Arbeitsorganisationen müssen sich auf viel mehr Flexibilität einstellen. Das derzeit in unseren Köpfen vorherrschende Modell der Arbeitsorganisation – eine Gruppe von Beschäftigten mit zugeteilten Arbeitsplätzen und starren Arbeitszeiten, geführt von einer Führungskraft – wird verdrängt von intelligenten und agilen Organisationen. Flexibler Arbeitseinsatz, unterschiedliche Tätigkeiten und nicht mehr starre Arbeitszeiten verdrängen unflexible arbeitsorganisatorische Modelle.
Vernetzte Digitalisierung
Durch eine vernetzte Digitalisierung, am Beispiel in der Vision Industrie 4.0 skizziert, entstehen zahlreiche Wege zur Neugestaltung von Arbeit und damit auch Potenziale für die Ergonomie sowie den Arbeitsschutz. Digitalisierung bedeutet, dass Informationen aller Art elektronisch gehandhabt und vernetzt werden. So entsteht ein leistungsfähiges Informationsmanagement. Das betrifft alle: sowohl Produktions- als auch Wissensarbeit. Assistenzsysteme (Datenbrillen, Tablets, Smartwatches), technische Unterstützungsmöglichkeiten (Mensch-Roboter-Kollaborationen, Exoskelette) sowie weitere Automatisierungsmechanismen werden die Arbeit der Zukunft prägen. Sie ermöglichen beispielsweise, Arbeitspläne und -anweisungen situationsspezifisch je nach Arbeitsfortschritt, Produktkonfiguration und Vorerfahrungen der Beschäftigten aufzubereiten.
Für die Darstellung können im Arbeitsbereich nicht nur Bildschirme, sondern auch Datenbrillen und Projektionen genutzt werden.
Erhalt der Leistungsfähigkeit
Die Bedürfnisse, auf den demografischen Wandel zu reagieren, also Nachwuchskräfte zu gewinnen und die Leistungsfähigkeit einer alternden Belegschaft zu gewährleisten, drängen immer weiter in den Vordergrund. Das geht einher mit einem gesellschaftlichen Wertewandel, der die Mitarbeiterorientierung beeinflusst. Verändern werden sich auch die qualitativen und quantitativen Anforderungen an Personalentwicklung und Qualifikation der Beschäftigten. Lebenslanges Lernen aller Beschäftigtengruppen wird immer wichtiger.
Bisherige Konzepte, etwa das Lernen in kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (KVP) reichen dazu nicht aus. Notwendig sind wirtschaftlich produktive Arbeits- und Unternehmenssysteme, die die psychische und physische Leistungsfähigkeit sowie die Gesundheit der Beschäftigten fördern.
Industrie 4.0 – wie weit sind wir?
Industrie 4.0 bietet immense Gestaltungschancen für Unternehmen, Beschäftigte, Sozialpartner und Politik. Die Nutzung dieser Chancen zum Wohl aller Beteiligten geht mit ebenso großen Erwartungen wie Unsicherheiten einher. Daraus entsteht ein großer Informationsbedarf, den die Studien des ifaa bestätigen. So ist der Begriff Industrie 4.0 in den befragten Unternehmen zwar sehr bekannt, ein klares Verständnis fehlt aber häufig. Die Aktivitäten im Hinblick auf Industrie 4.0 und die Digitalisierung der industriellen Arbeitswelt sind unterschiedlich ausgeprägt und in größeren Unternehmen meist weiter fortgeschritten als in kleineren. Für die mittelständisch geprägte deutsche Wirtschaft bedeutet dies, dass gerade kleinere Unternehmen Bedarf nach Unterstützung haben. Dazu sind – im Gegensatz zu den häufig abstrakten Definitionen von Industrie 4.0 – konkrete Anwendungsbeispiele erforderlich, die es erlauben, wirtschaftliche und praktische Auswirkungen auf das eigene Unternehmen zu übertragen, um sie in dessen strategische Weiterentwicklung einfließen zu lassen.
Mobile Arbeit auf dem Vormarsch
Mobile Arbeit steigert die Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie die Attraktivität des Unternehmens.
Durch die zunehmende Digitalisierung befindet sich die Arbeit im Wandel. Mobiles Arbeiten gewinnt für bestimmte Berufsgruppen und Tätigkeiten an Bedeutung und verdrängt den klassischen Büroarbeitsplatz sowie die Bedeutung der Präsenzkultur. Als mobile Arbeit wird eine Beschäftigungsform bezeichnet, in der die Mitarbeiter ihre Arbeit an beliebigen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten erledigen können und dafür keinen festen Arbeitsplatz im Unternehmen benötigen. Dieser kann beim Kunden, auf Dienstreisen im Hotel oder in der Bahn sowie zu Hause liegen. Dadurch unterscheidet sich die mobile Arbeit von der Telearbeit (Homeoffice), die größtenteils ortsgebunden erfolgt. Mobile Arbeit steigert die Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie die Attraktivität des Unternehmens. Zeitliche und räumliche Dimensionen eröffnen Unternehmen und Beschäftigten neue Wege, Beruf und Privatleben erfolgreich miteinander zu vereinbaren, die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhöhen, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und diese langfristig an das Unternehmen zu binden.
Die Einführung von flexibler und mobiler Arbeit erfordert jedoch eine bedarfsgerechte und maßgeschneiderte Arbeitsorganisation sowie betriebsindividuelle Regelungen. Dabei geht es in erster Linie um die Festlegung von betrieblichen Rahmenbedingungen, die für eine erfolgreiche Einführung und Gestaltung mobiler Arbeit wichtig sind. Für die Unternehmen bedeutet das konkret:
- mit arbeitsbezogener Erreichbarkeit offen umzugehen
- transparente und verbindliche Regeln zu schaffen
- Erwartungen an Führungskräfte und Beschäftigten klar zu formulieren
- Beschäftigte zu unterstützen und zu qualifizieren
- Eigenverantwortung der Beschäftigten zu fördern sowie
- der Fürsorgepflicht nachzukommen
Veränderte Unternehmenskultur
Die Digitalisierung verändert Arbeitsinhalte, -prozesse und -umgebungen. Zweifelsfrei setzt die erfolgreiche Implementierung neuer Arbeitswelten eine entsprechende Unternehmenskultur voraus. Der Mensch ist das höchste Gut des Unternehmens. Dieser Satz ist nicht neu, in der Arbeitswelt der Zukunft wird seine Bedeutung jedoch zunehmen. Dieses Vermögen wird nachhaltig eingesetzt, entwickelt und wertgeschätzt.
Der demografische Wandel sowie der technische Fortschritt werden diese Entwicklung unterstützen und zu einer humanorientierten und effizienten Arbeitswelt beitragen. Die technischen Möglichkeiten tragen zudem dazu bei, dass Erwerbsarbeit stärker individualisiert und an persönliche Rahmenbedingungen angepasst werden kann.
Chancen und Risiken
Die Arbeitswelt der Zukunft wird für den Menschen also geprägt sein von zunehmender Individualisierung – sowohl der Produkte und Dienstleistungen als auch der Arbeit und ihrer Bedingungen. Für die Beschäftigten bedeutet die Digitalisierung mehr Flexibilität, anspruchsvollere Tätigkeiten, eine an die eigenen Ansprüche angepasste Informationsbereitstellung und die Erleichterung bei monotonen Routinetätigkeiten. Neben einer erhöhten Informationsverfügbarkeit verbessert die Digitalisierung die Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse im Unternehmen. Kurzum: Die Digitalisierung bietet viele überzeugende Chancen. Bei all dem Optimismus können wir es mit der Digitalisierung aber auch übertreiben. Keinesfalls dürfen wir die Arbeit in der digitalen Zukunft so gestalten, dass wir – die Menschen – nur noch Anhängsel von digitalen und intelligenten Systemen und Maschinen sind. Insoweit ist eine moralisch und ethische Grundsatzdebatte geboten, die einerseits die zahlreichen Vorteile der Digitalisierung, andererseits aber auch arbeitsschutzrelevante Aspekte berücksichtigt.
Fazit und Ausblick
Wie sich die Beschäftigungsformen und Arbeitstätigkeiten im Detail verändern werden und welche Rolle der Mensch als Akteur in der Arbeitswelt der Zukunft dann tatsächlich spielen wird, kann derzeit noch nicht eindeutig festgemacht werden. Dazu scheint die zukünftige betriebliche Umsetzung der Industrie 4.0 sowie der künstlichen Intelligenz noch zu vage. Nach überwiegender Meinung von Unternehmensexperten und Wissenschaftlern wird der Mensch aber in der Industrie 4.0 auch weiterhin steuernde, durchführende und überwachende Tätigkeiten vornehmen – eine vollkommen menschenleere Fabrik erwarten nur wenige Experten. Denn die Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland steigt derzeit trotz zunehmender Digitalisierung weiter kontinuierlich.
Fotos: Aerial3, aurielaki; Ara Hovhannisyan; MicrovOne; VeYe / Getty Images