Vorsteuerabzug - 17. November 2021

Korrektiv aus Brüssel

Erneut hat der Europäische Gerichtshof eine Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs kassiert. Diesmal ging es um die Verrechnung der von einem Unternehmen gezahlten Umsatzsteuer wegen Erschließungskosten einer Straße, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet wurde.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil in der Rechtssache (Rs.) Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG eine vormalige Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) verworfen, wonach der direkte sowie unmittelbare Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz, der für den Vorsteuerabzug erforderlich ist, stets einen einzelumsatzbezogenen Bezug verlangt. Liegt ein solcher vor – und sei es auch nur in Form einer unentgeltlichen Wertabgabe –, berechtigte bislang allein das Abstellen auf eine nur mittelbare wirtschaftliche Gesamttätigkeit nicht dazu, den Vorsteuerabzug zu bejahen. Der EuGH hat nunmehr klargestellt, dass der für den Vorsteuerabzug notwendige direkte und unmittelbare Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Veranlassung zu sehen ist. Durch diese Klarstellung werden vor allem Erschließungskosten betroffen, die im Zusammenhang mit der Errichtung öffentlich gewidmeter Straßen durch ein Unternehmen stehen, welches auf einem von der Gemeinde erworbenen Grundstück nach Parzellierung baureife Grundstücke mit und ohne Errichtung von Häusern veräußern will. Dabei verpflichtet sich das Unternehmen auf Grundlage eines mit der Gemeinde geschlossenen Vertrags, der Gemeinde die errichteten Straßen unentgeltlich zu überlassen, damit sie – nach öffentlich-rechtlicher Widmung – diese Straßen für den Allgemeinverkehr zur Verfügung stellen kann. Fest steht aber, dass ohne die Errichtung der Straßen eine Veräußerung der Grundstücke ausgeschlossen wäre.

Ausgangsfall

In der Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG ging es konkret um die umsatzsteuerliche Beurteilung von Ausbaumaßnahmen an einer bereits bestehenden Gemeindestraße, welche die Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG für ihren Kalksteinbruch beanspruchte. Auf der Basis vertraglicher Absprachen zwischen der AG und der Gemeinde hatte das Unternehmen die Ausbaumaßnahmen für die Gemeinde kostenfrei zu erbringen, während die (ausgebaute) Straße weiterhin öffentlich gewidmet war und auch der AG uneingeschränkt für den Abtransport des gewonnenen Kalksteins zur Verfügung stand. Der Neuaufschluss und Betrieb des Steinbruchs wurde dem Unternehmen vom zuständigen Regierungspräsidenten unter der Auflage genehmigt, dass die Gemeindestraße erschlossen wird. Strittig war unter anderem der Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit den Erschließungskosten der Gemeindestraße.

Umsatzbezogene oder wirtschaftliche Gesamttätigkeit

Fraglich war zum einen, ob die im Auftrag einer Gemeinde vorgenommenen Baumaßnahmen als Eingangsleistung einen unmittelbaren sowie direkten Zusammenhang mit der ansonsten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen aufweisen oder ob sie mit der unentgeltlichen Überlassung der errichteten Straßen als einer möglicherweise unentgeltlichen Wertabgabe an die Gemeinde in Verbindung stehen. Für den zweiten Fall müsste der Vorsteuerabzug allein deswegen versagt werden, weil hier bereits beim Leistungsbezug beabsichtigt war, die Eingangsleistung nicht für eine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern ausschließlich und unmittelbar für eine unentgeltliche Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) zu verwenden.

Mögliche Gegenleistungen

Fraglich war darüber hinaus, ob eine eventuell von einer Behörde zu erteilende Genehmigung für die wirtschaftliche Tätigkeit, also den Verkauf der baureifen Grundstücke anhand der Vorgaben eines Bebauungsplans, als Gegenleistung für die ansonsten unentgeltlich ausgeführten Baumaßnahmen angesehen werden kann.

Unentgeltliche Überlassung der errichteten Straße

Ebenfalls unklar war zudem, ob die unentgeltliche Überlassung der errichteten Gemeindestraße zu einer steuerbaren unentgeltlichen Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG [vgl. Art. 16 Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL)] führen kann, sofern man unterstellen würde, der Vorsteuerabzug sei wegen des Abstellens auf die wirtschaftliche Gesamttätigkeit des Unternehmers in Form einer Werklieferung auf fremden Grund und Boden möglich.

Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr

Schließlich war fraglich, ob die Möglichkeit der Nutzung der errichteten Straße durch die Allgemeinheit einen Einfluss auf die umsatzsteuerrechtliche Bewertung von Vorsteuerabzug sowie Steuerbarkeit einer unentgeltlichen Wertabgabe beim Unternehmer haben kann.

EuGH-Entscheidung

Der EuGH hat klargestellt, dass ein Zusammenhang zwischen Eingangsleistung und wirtschaftlicher Tätigkeit, der für den Vorsteuerabzug notwendig ist, nicht im Sinne einer einzel-umsatzbezogenen Zuordnung, sondern im Sinne einer wirtschaftlichen Veranlassung zu sehen ist. Der EuGH sah die Arbeiten zu der Errichtung beziehungsweise dem Ausbau der Gemeindestraße als unerlässlich für den Betrieb des Kalksteinbruchs – sowohl praktisch als auch rechtlich – an. Der durch den Betrieb des Steinbruchs hervorgerufene Schwerlastverkehr konnte allein nur durch den Ausbau der Gemeindestraße ermöglicht werden. Die Kosten, die mit den Arbeiten der streitgegenständlichen Gemeindestraße in Zusammenhang standen, waren unstreitig Kostenelemente der steuerpflichtigen Ausgangsumsätze der AG, weshalb dem Unternehmen der Vorsteuerabzug zustand. Voraussetzung bleibt aber natürlich die Ausführung solcher Umsätze im Rahmen der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, die als steuerpflichtige oder gemäß § 15 Abs. 3 UStG steuerfreie Umsätze den Vorsteuerabzug nicht ausschließen.

Vorteile der Allgemeinheit irrelevant

Irrelevant war für den EuGH dagegen, dass neben der AG auch die Allgemeinheit die ausgebauten Gemeindestraße – kostenfrei – befahren kann. Zum einen wurden die Arbeiten zum Ausbau der Gemeindestraße nicht für die Bedürfnisse der betreffenden Kommune oder des öffentlichen Verkehrs durchgeführt, denn es ging primär darum, die ausgebaute Gemeindestraße an den Schwerlastverkehr anzupassen, veranlasst durch den Betrieb des Kalksteinbruchs. Zum anderen konnten die für den Ausbau der streitgegenständlichen Gemeindestraße entstandenen Kosten mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der AG als Steuerpflichtige in Verbindung gebracht werden.

Unmittelbarer Zusammenhang

Voraussetzung für einen vollumfänglichen Vorsteuerabzug, der durch den Ausbau der Eingangsleistungen ausgelöst wird, ist jedoch, dass die Arbeiten zum Ausbau der Gemeindestraße auf das erforderliche Maße beschränkt waren, um den Betrieb des Kalksteinbruchs zu gewährleisten. Sofern die Arbeiten jedoch darüber hinaus gegangen wären, hätte der direkte und unmittelbare Zusammenhang teilweise nicht bestanden und der Vorsteuerabzug wäre nur für die objektiv erforderlichen Kosten zu gewähren gewesen.

Genehmigung ist keine Gegenleistung

Der EuGH sieht zwar in der Vereinbarung über den Ausbau der Gemeindestraße ein Rechtsverhältnis (grundsätzlich Voraussetzung für einen Leistungsaustausch), das auch gegenseitige Verpflichtungen zwischen AG und Gemeinde begründet. Er verneint jedoch daraus abgeleitet einen Rechtsrahmen, innerhalb dessen gegenseitige Leistungen – Ausbau der Gemeindestraße und Erteilung der Genehmigung zum Betrieb des Kalksteinbruchs – ausgetauscht werden. Zum einen sei die Genehmigung durch die Bezirksregierung erteilt worden, während die ausgebaute Straße der Gemeinde gehörte. Zum anderen sei die Entscheidung, die Genehmigung zum Betrieb des Steinbruchs ein einseitiger Hoheitsakt gewesen, der eben kein Rechtsverhältnis begründen könne, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht würden.

Trotz Vorsteuerabzug keine unentgeltliche Wertabgabe

Aus den zuvor getroffenen Aussagen zum Vorsteuerabzug, dem Zweck des Ausbaus der Straße, der keine Dienstleistung, sondern eine Werklieferung ist, sowie der Verneinung einer Gegenleistung eröffnet sich grundsätzlich der Anwendungsrahmen des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG. Aus den Eingangsleistungen betreffend den Ausbau der Gemeindestraße steht der AG der Vorsteuerabzug zu, ungeachtet der Frage, ob die Weitergabe für die Zwecke des Unternehmens erfolgt oder nicht. Die Übertragung der Leistung (Ausbaumaßnahmen) auf die Gemeinde erfolgte unentgeltlich und die streitgegenständliche Straße wurde durch die Gemeinde unentgeltlich dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestellt. Der EuGH verneinte dagegen die Steuerbarkeit gem. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG (Art. 16 MwStSystRL) mangels einer Entnahmehandlung durch die AG. Die Arbeiten zum Ausbau der Gemeindestraße hätte schließlich den Bedürfnissen des Unternehmens gedient. Das Ergebnis der Arbeiten, also der Ausbau einer Straße zur Aufnahme des Schwerlastverkehrs, hervorgerufen durch den Betrieb des Kalksteinbruchs, käme in erster Linie den Bedürfnissen der AG zugute.

Zusammenfassung und Fazit

Der EuGH bejaht zum einen den Vorsteuerabzug aus den Errichtungskosten und stellt hierbei auf die wirtschaftliche Gesamttätigkeit des Unternehmers ab, er verneint eine Gegenleistung in Form der Genehmigung und gleichzeitig eine unentgeltliche Wertabgabe durch die unentgeltliche Überlassung des Ausbaus der Straße an die Gemeinde.

Zum Autor

Prof. Dr. Hans Nieskens

Steuerberater und Rechtsanwalt sowie Vorsitzender des UmsatzsteuerForums e. V. Gutachter für steuerrechtliche Fragestellungen und Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren.

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