Pflicht­teils­er­gän­zung bei Nut­zungs­vor­behalt - 18. September 2019

Überlegt vorbereiten

Die Über­tra­gung von Grund­stücken zu Leb­zeiten geht nicht selten einher mit dem Nieß­brauch des Schenkers oder dessen Woh­nungs­recht im Anwesen. Mit Blick auf die Pflicht­teils­an­sprüche über­gan­ge­ner Erben kann sich ein solches Vor­gehen aber als Bu­me­rang erweisen.

Bei Verträgen der lebzeitigen Vermögensnachfolge sind Pflichtteilsergänzungsansprüche mit die größten potenziellen Störfaktoren. Werden sie übersehen, falsch eingeschätzt oder können oder sollen sie nicht, etwa mittels Pflichtteilsverzichtsvertrag, aus­ge­schlos­sen werden, drohen dem Erben und unter Um­stän­den auch dem Erwerber möglicherweise noch viele Jahre nach der Zu­wen­dung erhebliche Zahlungs­ver­pflich­tun­gen, mit denen man unter Umständen nicht ge­rech­net hat.

Sicherung der Pflichtteilsansprüche

Die Pflichtteilsergänzungsansprüche sind in den §§ 2325 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Diese Vorschriften haben im Wesentlichen folgenden Inhalt. Hat der Erb­lasser zu Lebzeiten einem Dritten eine Schenkung gemacht, kann der Pflicht­teils­be­rech­tig­te, also beispielsweise der Ehegatte oder ein Kind, im Falle des Tods des Erblassers als Ergänzung seines Pflichtteils einen Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der durch den Erblasser verschenkte Gegenstand dem Nachlass hin­zu­ge­rech­net wird. Mit anderen Worten: Der verschenkte Gegenstand – der sich ja gerade nicht mehr im Nachlass des Erblassers befindet und somit bei der Berechnung des Pflichtteils an sich nicht zu be­rück­sich­ti­gen wäre – wird quasi fiktiv nochmals zum Nachlass des Erblassers hin­zu­ge­rech­net und sodann auf dieser Grundlage der Pflichtteil berechnet. Ein sich so ergebender Mehrbetrag ist dem Pflicht­teils­be­rech­tig­ten aus­zu­zahlen. Dieser Zah­lungs­an­spruch richtet sich primär gegen den oder die Erben, kann aber unter bestimmten Voraus­set­zungen (§ 2329 BGB) auch den Beschenkten treffen. Sinn dieser Vorschriften ist folgender: Für die Berechnung des Pflichtteils wird gemäß § 2311 BGB der Bestand und Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt. Ohne die Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprüche hätte es der Erblasser somit in der Hand, durch lebzeitige Schenkungen sein Vermögen und damit seinen künftigen Nachlass beliebig zu verringern und damit die Pflichtteilsansprüche komplett zu unterlaufen.

Zehnjahresfrist und Abschmelzung

Jedoch ist nicht jede vom Erblasser vorgenommene Schenkung ergänzungspflichtig. Ausgenommen sind zum einen die sogenannten Anstandsschenkungen gemäß § 2330 BGB. Darunter sind kleinere Zu­wen­dun­gen aus besonderem Anlass oder zu besonderen Tagen (Geburtstag, Jubiläum, Weihnachten, Hochzeit) zu verstehen. Zum anderen unterliegt eine Schen­kung gemäß § 2325 Abs. 3 BGB dann nicht der Pflichtteilsergänzung, wenn seit der Leistung des verschenkten Gegenstands zehn Jahre verstrichen sind. Tritt der Erbfall vor Ablauf dieser Zehnjahresfrist ein, so wird die Schenkung für jedes Jahr, das zwi­schen der Schenkung und dem Erbfall liegt, um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Es findet also eine zeitanteilige Abschmelzung des Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­spruchs statt.

Ausnahmen bezüglich der Zehnjahresfrist

Auch ein Wohnungsrecht des Schenkers am verschenkten Grundbesitz kann den Anlauf der Frist nicht verhindern.

Allerdings gibt es praktisch äußerst relevante Konstellationen, in denen die genannte Zehn­jahres­frist nicht zu laufen beginnt. Das ist zum einen der Fall, wenn die Schenkung an den Ehegatten erfolgt. Hier regelt § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB, dass die Frist nicht vor Auflösung der Ehe zu laufen beginnt. Bestand also die Ehe im Zeitpunkt des Tods des Erblassers noch, so ist kein Fristanlauf erfolgt und die Schenkung uneingeschränkt er­gän­zungs­pflich­tig, gleich wie lange diese zurückliegt. Auch sogenannte ehebedingte (unbenannte) Zuwendungen an Ehegatten sind hinsichtlich der Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprüche wie Schenkungen zu behandeln. Zum anderen beginnt die Frist nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zu laufen, solange der Schenker – sei es aufgrund vereinbarter dinglicher Rechte, wie etwa eines Nießbrauchs, oder aufgrund vereinbarter schuldrechtlicher Ansprüche – den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiterhin nutzen kann. Um die Frist in Gang zu setzen, reicht es also nicht aus, dass der Schenker den verschenkten Gegenstand nur formal aus seinem Vermögen ausgliedert, indem er beispielsweise das Eigentum an einem Grundstück überträgt. Er muss vielmehr auch die wesentlichen Nutzungen und Erträge des verschenkten Gegenstands mit weg­ge­ben, also auf diese verzichten. Dies ist insesondere dann nicht der Fall, sodass auch die Frist nicht anläuft, wenn der Schenker sich einen Nießbrauch am verschenkten Objekt vorbehält. Auch ein Woh­nungs­recht des Schenkers am verschenkten Grundbesitz kann – je dessen konkreter Aus­ge­stal­tung – den Anlauf der Frist verhindern.

Der Königsweg des Pflichtteilsverzichts

Damit ist festzustellen, dass gerade die typischen, bewährten und in den meisten Fällen – sowohl zivil- als auch steuerrechtlich – sachgerechten Ver­sor­gungs­ins­tru­mente zugunsten des Ver­äuße­rers bei der lebzeitigen Vermögensnachfolge mit Blick auf die Pflicht­teils­er­gän­zung denkbar ungünstige Folgen haben können. Der Königsweg zur Lösung des Dilemmas ist die Einbindung der Pflicht­teils­be­rech­tig­ten, also in der Regel des Ehegatten und der weiteren Kinder, in den entsprechenden Überlassungsvertrag, und zwar in der Weise, dass sie – regelmäßig aller­dings gegen eine Abfindungszahlung – auf ihre Pflichtteilsansprüche am Nachlass des Veräußerers verzichten. Ein solcher Pflicht­teils­ver­zichts­ver­trag (§ 2346 Abs. 2 BGB) bedarf der notariellen Be­ur­kun­dung und kann das gesamte Pflichtteilsrecht umfassen oder gegenständlich beschränkt auf den überlassenen Gegenstand vereinbart werden, was ausreichend wäre, um die Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprüche bezüglich des konkret überlassenen Gegenstands zu vermeiden. Falls ein Pflicht­teils­ver­zicht nicht gewollt oder nicht erreichbar ist, weil etwa das Verhältnis zu dem betreffenden Pflicht­teils­be­rech­tig­ten angespannt ist oder dieser schlicht die Mitwirkung verweigert, ist allein dies noch kein Grund dafür, das Überlassungsvorhaben aufzugeben. Nun könnte man auf die Idee kommen, die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB in Gang zu setzen, indem im konkreten Fall ein von den Beteiligten gewollter Vorbehalt der Nutzungen – sei es mittels Nießbrauch oder mittels Wohnungsrecht – pro forma nicht vereinbart wird, gleichwohl aber die Nutzung durch den Veräußerer wie gehabt tatsächlich fortgesetzt wird. Von einem derartigen Unterfangen ist jedoch dringend abzuraten. Denn zum einen hindert auch ein still­schwei­gend vereinbartes schuldrechtliches Nutzungsrecht den Fristanlauf, zum anderen riskiert man bei formbedürftigen Rechts­ge­schäften, wie ins­be­son­dere der Grund­stücks­über­las­sung, die Ge­samt­nichtig­keit des Vertrags wegen Formmangels.

Den Wert der Ergänzungsansprüche ermitteln

Gleichwohl kann, wie bereits angedeutet, eine Überlassung mit Vorbehalt der Nutzungen auch in Fällen, in denen ein Pflichtteilsverzicht nicht möglich oder nicht gewollt ist, durchaus akzeptable, ja sogar aus Sicht des Veräußerers und dessen Erben positive Auswirkungen haben. Um dies im konkreten Fall abschätzen zu können, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, wie zum Zwecke der Berechnung von Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprüchen die Wert­er­mitt­lung durchgeführt wird. Das sei nachfolgend am Beispiel der Überlassung einer Immobilie mit Nieß­brauchs­vor­be­halt dar­ge­stellt.

Fallbeispiel

Ausgangspunkt für die durchzuführende zweistufige Berechnung ist das in § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB verankerte sogenannte Niederstwertprinzip.

In einer ersten Stufe ist eine Vergleichsberechnung vorzunehmen. Zu diesem Zwecke werden ermittelt

  1.  der inflationsbereinigte Wert des Grundbesitzes zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung (maßgeblich ist die Eigentumsumschreibung im Grundbuch) und
  2.  der Wert des Grundbesitzes im Zeitpunkt des Erbfalls

Nach dem Niederstwertprinzip ist der niedrigere dieser beiden Werte maßgeblich. Der Nießbrauch bleibt bei dieser ersten Stufe noch unberücksichtigt.
In einer zweiten Stufe wird von dem so ermittelten maßgeblichen Wert nun der ka­pi­ta­li­sierte Wert des Nießbrauchs abgezogen, allerdings nur dann, wenn bei der ersten Stufe der Be­wer­tungs­stich­tag a) maßgeblich war, wenn also der Wert zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung niedriger war. Grund für den Abzug ist, dass der Erblasser ja quasi nur die Differenz zwischen Grund­stücks­wert und Nieß­brauchs­wert aus seinem Vermögen aus­ge­glie­dert hat. War bei der ersten Stufe hingegen der Stichtag b) maßgeblich, ist also der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls niedriger, erfolgt kein Abzug des Nieß­brauchs. Denn in diesem Zeitpunkt ist der Nieß­brauch nicht mehr werthaltig, da er mit dem Tode des Veräußerers erloschen ist.

Fazit

Es zeigt sich also, dass bei einer in­fla­tions­be­rei­nig­ten Wertsteigerung der verschenkten Immobilie auf­grund einer kumulierten Anwendung von Nie­derst­wert­prinzip und Abzug des Nießbrauchs eine durchaus signifikante Reduzierung der Be­mes­sungs­grund­lage für den Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­spruch und damit eine Entlastung des Erben zu verzeichnen ist. In diesem Falle hätte sich eine Überlassung mit Nießbrauchsvorbehalt aus Sicht des Veräußerers und dessen Erben selbst dann gelohnt, wenn die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht angelaufen wäre. Lässt sich also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine solche, den Verbraucherpreisindex über­stei­gen­de Wertsteigerung prognostizieren, ist eine durchaus interessante Gestaltungs­mög­lich­keit eröffnet – unbeschadet dessen, dass der Pflicht­teils­ver­zicht stets erste Wahl sein sollte.

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Zum Autor

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Dr. Michael Eigner

Notar in Bamberg

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