Wie wir zusammenarbeiten, verändert sich aktuell rasant. Das gilt nicht nur für Mitarbeiter eines Unternehmens, sondern auch für Partner oder – wie Ana-Cristina Grohnert sagt – Stakeholder eines Unternehmens. Wir sprachen mit der Topmanagerin über die sich transformierende Arbeitswelt, ein neues Verständnis und die dazu notwendige Kultur.
Das Interview führten Kerstin Putschke und Robert Brütting
DATEV magazin: Die Arbeitswelt befindet sich in einer Transformation, nicht zuletzt auch durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen. Was bedeutet das für Unternehmen, die Wirtschaft und vor allem die Menschen?
ANA-CRISTINA GROHNERT: Die vielen und vielschichtigen Krisen, die über uns hereinbrechen, haben die ganze Welt, die Wirtschafts- und Arbeitswelt und viele Menschen vor sehr große Herausforderungen in überwältigender Komplexität gestellt. Ich bin überzeugt, dass wir dieser Komplexität nur mit Partnerschaften und einem ganzheitlichen Ansatz begegnen können. Die besten Lösungen werden nur dann gefunden, wenn wir die Komplexität erkennen, unterschiedliches Wissen zusammenbringen und gemeinsam die richtigen Fragen stellen und so voneinander und miteinander lernen.
Strategische Partnerschaften haben enorm an Bedeutung gewonnen. Warum geht es nicht mehr ohne?
Nachhaltige Transformation und echtes Wachstum können in dieser Zeit meines Erachtens nur noch im Netzwerk entstehen. Denn die vielen Herausforderungen benötigen multiple Perspektiven und die bekommen wir nur, wenn wir möglichst viele Charaktere, Meinungen, Erfahrungsschätze an einen Tisch holen. Wir müssen begreifen, dass wir als Wirtschaftsunternehmen Teil eines Ökosystems sind. Wir können nicht allein oder auf Kosten anderer erfolgreich sein, sondern nur, wenn wir einen Mehrwert für unser Umfeld leisten.
Was sind die Erfolgsfaktoren für eine gelingende Partnerschaft?
Wir müssen sie als echte Partnerschaften begreifen, bei der wir alle in einem Boot sitzen für ein gesundes wirtschaftliches Wachstum. Partnerschaften müssen auf Augenhöhe stattfinden und aus einem genuinen Interesse heraus, etwas für die Partnerschaft beizusteuern. Wer nur auf seinen eigenen Vorteil schaut, wird in Netzwerken und Partnerschaften rasch scheitern.
Welche Möglichkeiten haben Unternehmen noch, auf Krisen zu reagieren? Oder anders gefragt: Welchen Fehler sollten sie nicht machen?
In solch gravierenden Krisen wie der aktuellen denken viele Unternehmer an eine Restrukturierung ihrer Organisation. Das ist erst einmal nicht verkehrt. Aber Restrukturierung bedeutet keine pauschale Kosteneinsparung um einen definierten Prozentsatz, sondern eine intelligente und ganzheitliche Neuaufstellung. Sie muss geleitet sein von den Fragen, wie man sich in verändernden Märkten optimal bewegen muss, wie man sich an seinem Standort optimal vernetzen und vor allem wie man seine Stakeholder hinter sich bringen kann.
Gerade jetzt ist es wichtig, sich als Unternehmen krisenfest aufzustellen. Das bringt strategische Fragen mit sich: Welche Geschäftsmodelle tragen auch über die kommenden fünf Jahre hinaus? Welches Organisationmodell muss ich implementieren, um anpassungsfähig und resilient zu sein? Welche Kompetenzen und technischen Ausstattungen benötigen wir dafür? Wie werde ich zu einer ständig lernfähigen Organisation? Dafür sind häufig Reorganisationen und Investitionen nötig, die viele Unternehmerinnen und Unternehmer in der Krise allerdings scheuen.
Welche Stakeholder sprechen Sie hier an?
Stakeholder sind alle Teilnehmer des Ökosystems, die vom eigenen ökonomischen Handeln betroffen sind. Das sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kundinnen und Kunden, Anwohnerinnen und Anwohner, Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartner und noch viele mehr. Alle diese Personen müssen verstehen, wohin die Reise geht, und an die gemeinsame Vision glauben. Dann ist langfristiges, gesundes Wachstum möglich – auch in einer Krise. Insofern müssen wir noch vernetzter denken und arbeiten, eine Kultur des permanenten Lernens und Wissenstransfers schaffen und unsere Unternehmungen als Teil eines Ökosystems begreifen, der nur dann überleben kann, wenn das gesamte System funktioniert.
Unternehmen können also nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn sie sich als Teil eines Ökosystems begreifen. Ein Unternehmen muss einen Mehrwert für Kunden, Mitarbeiter und Geschäftspartner liefern. Was macht Unternehmen aus Ihrer Sicht auch ökonomisch erfolgreich?
Nur wenn wir gesamtheitlich als Wirtschaft und Gesellschaft aufeinander achtgeben und für gute und faire Rahmenbedingungen sorgen, haben wir auch als Individuum und als einzelnes Unternehmen Aussicht auf Erfolg. In der Vergangenheit waren viele Unternehmen auf kurzfristige Erfolge fokussiert, eine Steigerung des Shareholder Value, das Abjagen von Marktanteilen, die Maximierung des eigenen Gewinns zulasten von Geschäftspartnern oder Mitarbeitern. Wir müssen nun in der Wirtschaft beginnen, uns nicht mehr am Shareholder Value zu orientieren, sondern die Gesamtheit aller Stakeholder einzubeziehen. Dazu gehören Kunden, Mitarbeiter, Lieferketten, Standortkommunen sowie staatliche und nichtstaatliche Organisationen. Und diese erweiterte Perspektive ist nur mit Diversität möglich, wenn die Potenziale jedes einzelnen einbezogen und genutzt werden. Vielen Unternehmen ist gar nicht klar, über welchen Schatz sie verfügen. Wichtige Entscheidungen oder Innovationsprojekte werden exklusiv von einem kleinen Kreis von Führungskräften oder sogenannten High Performern angegangen – und das Potenzial der übrigen Mitarbeiter bleibt ungenutzt. Darauf spielt der Titel meines Buchs „Das verborgene Kapital“ an.
Wie muss sich die Kultur wandeln, damit Unternehmen nicht nur nach Gewinnmaximierung streben, sondern verstehen, dass jedes Handeln Auswirkungen auf alle anderen hat, beziehungsweise dass die Einsicht reift, dass wir alle bereits in einem Ökosystem miteinander agieren?
Das kurzfristige Gewinnstreben hat viel mit Zielvereinbarungen und Gratifikation zu tun. Solange Unternehmenslenkerinnen und -lenker an kurzfristigen KPI gemessen und entsprechend vergütet werden, werden sie auch genau diese kurzfristigen Erfolge zu erzielen suchen. Deshalb stehen häufig Familienunternehmen besser da, weil hier die Eigentümerinnen und Eigentümer mit langem Horizont planen. Die Sicht auf das eigene Unternehmen als Teil eines großen Ganzen erfordert einen neuen Mindshift, eine neue Unternehmenskultur. Auch dazu habe ich viel in meinem Buch „Das verborgene Kapital“ geschrieben. Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt.
Für die Transformation der Arbeitswelt wird allgemein der Begriff New Work verwendet. Was verstehen Sie darunter und ist das der richtige Ansatz beziehungsweise die Voraussetzung für Zusammenarbeit generell?
Der Begriff New Work ist leider schon ein bisschen abgenutzt und wird vielfach vor allem in Bezug auf mobiles Arbeiten verwendet. Viele Unternehmen haben während der Pandemie Microsoft Teams eingeführt und denken sich „So, jetzt sind wir New Work!“. Ernstgemeintes New Work hat aber Implikationen auf die gesamte Unternehmenskultur. Da geht es um Wertschätzung, um hierarchiefreies Denken, um Respekt gegenüber den Mitarbeitern und ihrem Leben außerhalb der Firma, um gemeinsame und geteilte Visionen, um eine Kultur des Miteinanders und voneinander Lernens. So eine New-Work-Kultur einzuführen, erfordert viel Geduld und Kraft, alle Bereiche und Hierarchie-Level müssen mitspielen – das ist kein Schönwetterprojekt von HR und der Kommunikationsabteilung. New Work hat viel mit Führung und Führungsverständnis zu tun. In vielen Unternehmen werden Mitarbeiter noch in internen Wettbewerben regelrecht verheizt, mit Bonussystemen, die die völlig falschen Anreize schaffen. Gute Führung hat viel mit Enabling zu tun, also dem motivierenden In-die-Lage-Versetzen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Führungskräfte müssen sich als Coaches ihrer Mitarbeiter verstehen, nicht als ihre Kontrolleure. Werte spielen bei New Work auch eine wichtige Rolle: Identifiziere ich mich mit den Werten, die mein Arbeitgeber vertritt? Leben meine Führungskräfte die Werte vor, die sich das Unternehmen auf die Fahne schreibt? All das ist für mich New Work – ein wirklich umfassend neues Verständnis der Zusammenarbeit.
Wie wird sich die Umbruchszeit dieser Transformation gestalten und welchen Status quo prognostizieren Sie?
Umbruchphasen sind häufig unbequem. Hier kommt es auf Transparenz und Kommunikation an. Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise seit 20 Jahren in einem Unternehmen tätig ist, hat er in der Zeit vermutlich sechs bis acht häufig schlecht umgesetzte Transformationen miterlebt. Da ist es kein Wunder, dass zunächst keine große Bereitschaft besteht, sich auf die nächste Veränderung einzustellen. Deshalb ist es extrem wichtig, wirklich jeden Mitarbeiter auf dem Weg mitzunehmen, mit umfassender Kommunikation, aber auch mit Partizipation. Jeder soll sich selbst mit seinen Ideen in den Veränderungsprozess einbringen sollen. Dann ist die Akzeptanz deutlich höher.